Tichys Einblick
Medien-Framing

Gute Demo, böse Demo: In Berlin “Rangeleien” – in Kassel “massive Auseinandersetzungen”

Wenn in Kassel Querdenker mit der Polizei aneinandergeraten, ist das eine “massive Auseinandersetzung”. Hingegen kam es nach einer ausschreitenden Berliner Demo gegen das Mietendeckel-Urteil zu “Rangeleien”.

picture alliance/dpa | Christoph Soeder

Viele Medien messen offenbar mit zweierlei Maß. Während bei der Corona-Demo in Kassel von “massiven Auseinandersetzungen” die Rede war, gab es bei Berliner Protesten gegen das Mietendeckel-Urteil “Rangeleien”. Etwa schreibt die Berliner Morgenpost: “Am Rande der Veranstaltung kam es vereinzelt zu Rangeleien.” Und t-online titelt “Tausende demonstrieren in Berlin – Rangeleien mit der Polizei” – ganz so, als handele es sich um eine harmlose Rauferei zwischen Heranwachsenden.

Den Vogel schoss ein Reporter des Tagesspiegel ab. Auf Twitter berichtete er von “Szenen, die ich so in Berlin lange nicht mehr erlebt habe” und fuhr fort: “Einzelpersonen scheinen am Ende der Demo auf Gewalt aus, die Polizei ist in der Unterzahl.” Im Tagesspiegel-Artikel findet sich diese Einschätzung aber nicht. Die Eskalation der Proteste gerät dort beinahe zu einem Nebenaspekt. Zwar meldet der Tagesspiegel Flaschenwürfe, Pfefferspray-Einsatz und Festnahmen, stellt aber gleichzeitig lapidar fest: “Es kam zu Rangeleien.”

Eine Mitteilung der Polizei berichtet indes von weit mehr Gewalt. Zwar sei die angemeldete Versammlung am Donnerstagabend “überwiegend störungsfrei” verlaufen, heißt es. Aber nachdem die Versammlungsleitung die Demo aufgelöst hatte, warfen ehemalige Teilnehmer aus einer 100-köpfigen Personengruppe Flaschen und Steine auf Polizisten. “Auch kam es aus dieser Gruppe heraus zu direkten körperlichen Angriffen, zum Teil mit Holzlatten”, ist zu lesen. Polizeibeamte setzten Zwangsmittel und Pfefferspray ein.

Im Umfeld befanden sich rund 1.000 Personen, von denen “polizeifeindliche Sprechchöre” ausgingen. Später blockierten 100 Demonstranten die Fahrbahn des Hermannplatzes, “einhergehend mit Sachbeschädigungen durch polizeifeindliche und linksextreme Schmierereien”, berichtet die Polizei.

Dreizehn Polizisten wurden laut den Angaben verletzt, konnten ihren Dienst aber fortsetzen. 48 Demonstranten nahm die Polizei fest, “unter anderem wegen des Verdachtes des besonders schweren Landfriedensbruches, des tätlichen Angriffes, der Gefangenenbefreiung, des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, der Sachbeschädigung und wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz”, ist zu lesen.

Man stelle sich einmal vor, Querdenker wären mit Holzlatten auf die Polizei losgegangen, hätten polizeifeindliche Parolen angestimmt und Sachen beschmiert. Die Tonalität der Medienberichterstattung wäre wohl eine ganz andere gewesen.
Zuletzt hatten viele Medien ausführlich über Zusammenstöße zwischen der Polizei und Querdenkern berichtet. Etwa im Falle einer Demo gegen die Corona-Maßnahmen in Kassel. Der Tenor war damals ein ganz anderer: Statt Rangeleien sprach die Bild von einem “Randale-Mob” und der Focus empörte sich über “massive Ausschreitungen” (TE berichtete). Kaum ein Medium erwähnte eine Mitteilung der Polizei, welche der Darstellung widersprach. Demnach zeigten die Teilnehmer “insgesamt eher keine erkennbare Tendenz zu gewalttätigen Aktionen” und kamen augenscheinlich “überwiegend aus dem bürgerlichen Lager”.

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