Tichys Einblick
Energiekrise

FDP-Politiker Johannes Vogel bei Anne Will: „Das Land ist katastrophal planlos“

Fehlende Energie und unbezahlbar teure Lebensmittel. Der Winter wird für manchen herb. Auch weil diejenigen weiterhin felsenfest von ihren Positionen überzeugt sind, die bisher mit ihren Einschätzungen stets daneben lagen - wie sich in der jüngsten Sendung von Anne Will zeigte.

Screenprint ARD / Anne Will

Derzeit häufen sich die Gipfel und die wichtigen Leute sind unterwegs. Deswegen darf bei Anne Will die zweite Reihe ran: etwa Johannes Vogel, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP im Bundestag oder Jens Spahn, gleichermaßen die Verkörperung für die Merkel-Jahre wie für den stotternden Neustart der CDU. Die Zeit schickt eine Anhängerin grün-roter Politik – gut davon hat die Wochenzeitung ja auch genug. Und wenn es um viel reden, ohne was zu sagen, geht, darf Kevin Kühnert nicht fehlen.

Der Generalsekretär der SPD sagt in nur einer Sendung Sätze wie:
– „Der nächste Winter kommt bestimmt.“
– „Wir müssen ja jetzt mit der Realität, die da ist, umgehen.“
– Oder: „Hinterher ist man ja immer schlauer.“

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Zu letzterem ließe sich sagen: Jein. Ja. Fehler einräumen ist in diesen 20er Jahren so modern wie es die Bubi-Kopf-Frisur in den letzten 20er Jahren war. Die Wirtschaftsexpertin Claudia Kemfert kritisiert, dass die Bundesregierung sich nicht spätestens nach dem Kriegsbeginn darauf vorbereitet habe, dass Wladimir Putin den Gashahn abstellt: „Wir hätten uns besser vorbereiten müssen.“ Das ist Kritik. Vor allem am Wirtschaftsminister. An einem Grünen. An Robert Habeck.

Diese Delegitimierung lässt Anne Will nicht zu. Es werde gleich darum gehen, bremst Will Kemfert aus, „wie wir es noch besser hätten machen können.“ Noch. Besser. In der ARD sagt niemand etwas Schlechtes über Robert Habeck. Der hat es mindestens gut gemacht und jetzt reden wir drüber, ob das überhaupt noch besser geht.

Doch die anderen Gästen springen Will nicht bei. Nicht mal Habecks Koalitionspartner. Nicht Kevin „Hinter ist man ja immer schlauer“ Kühnert. Und schon gar nicht Johannes Vogel. Der FDP-Politiker stellt der Bundesrepublik ein vernichtendes Zeugnis aus: „Das Land ist katastrophal planlos.“ Auf viele zentrale Aufgaben sei es nicht vorbereitet. Vogel und Kühnert gehen Wills Versuch von Habeck abzulenken nur so weit mit, dass sie in Sachen Probleme auf die verheerenden 16 Jahre unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verweisen. Und dann bemüht die Ampel-Koalition Will, Kühnert und Vogel eine spektakuläre Logik. Dass die Ampel sich nach dem Kriegsbeginn nicht auf einen Gas-Boykott vorbereitet habe, dürfe die CDU nicht kritisieren, weil die damals schon für Sanktionen waren.

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Stimmt. Das ergibt keinen Sinn. Aber das tut so vieles nicht, was Politiker in Talkshows sagen. Das gilt sogar für Journalistinnen. Gerade für Journalistinnen. Anna Mayr von der Zeit beklagt, dass es keine Möglichkeiten gebe, Entlastungen zu Geringverdienern zu bringen: Man habe ja ihre Kontonummer nicht. Keiner lacht sie dafür aus. Keiner nimmt sie an die Hand und sagt, doch. Die zahlen Steuern ans Finanzamt, das hat die Nummer, sind die Geringverdiener mit den Steuern oder Abgaben an den Staat im Rückstand, sperrt der sogar das Konto. So bleibt denn die Expertise unwidersprochen im Raum stehen, dass der Staat nichts für Geringverdiener tun könne, weil er deren Kontonummern nicht habe.

Immerhin ein Dilemma zeigt Anne Will so auf. Wenn auch unfreiwillig: In der deutschen Medienlandschaft kommen vor allem grün-rote Stimmen zu Wort – die es auch in der Linken und weiten Teilen der CDU und FDP gibt. Unter Medienvertretern ohnehin. Doch eben die Vertreter einer grün-roten Politik haben sich massiv geirrt: in der Energiepolitik, in der Einschätzung Russlands, in der Verteidigungspolitik, in der Landwirtschaftspolitik, in der Wirtschaftspolitik … Mit dem 24. Februar mussten die grün-roten Vertreter ihre Fehler eingestehen. Stichwort „Zeitenwende“.

Seitdem sind neue Fehler passiert, die sie jetzt wieder eingestehen wie eben bei Anne Will: Deutschland hat tatsächlich nicht damit gerechnet, dass Putin von sich aus den Gashahn zudreht. Das Land hat weiterhin Gas verstromt, statt es zu speichern. Kohlekraftwerke wurden nicht sofort hochgefahren. Statt Ressourcenschonung zu fördern, gab es ein „Entlastungspaket“ mit einem Tankrabatt oder einem Neun-Euro-Ticket. Auch diese Fehler werden wieder eingeräumt. Nur: Die Gleichen, die vor und nach dem 24. Februar falsch gelegen haben, geben weiter den Ton an. In diesem Punkt sind wir hinterher eben auch nicht schlauer.

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Das zeigt sich besonders an den Themen, über die Anne Wills Runde hinweggeht: Steuersenkungen? Während der Quatsch mit den fehlenden Kontonummern als wahr stehen bleibt, spricht niemand diese Möglichkeit an. Obwohl die FDP und die CDU im Studio vertreten sind. Fracking? Auf keinen Fall in Deutschland, sagt Kemfert. In den USA ok. Aber dass man es transportieren müsse, sei ja dann auch blöd. Kohlekraftwerke nutzen? Da müssen wir dann aber auch über das Klima reden.

Bliebe noch die Atomkraft. Die Königin der Tabu-Themen in Sendungen wie Anne Will. Zu der bekennt sich Vogel. Grundsätzlich. Doch der FDP-Politiker vermeidet den klaren Satz, er sei für eine Verlängerung der Laufzeiten. Die Frage nach der Verlängerung stelle sich und er würde sie mit ja beantworten, nähert er sich einer Position. Wie Vogel diese Position formuliert, lässt darauf schließen, wie konsequent er sich für diese einsetzen will: Die FDP zieht mit eingezogener Rute in diese Beißerei und sie wird am Ende auf dem Rücken liegen und die Beine in die Höhe strecken – die bevorzugte Stellung der Liberalen in der rot-grünen Bundesregierung.

Wie es nun weitergeht? Irgendwas mit Energiesparen und erneuerbare Energien ist die Antwort der Runde. Mayr sagt, wo es langgehen wird: „Wir werden ein Weniger managen müssen. Es wird ein Weniger irgendwie verteilt werden müssen.“ Auch hier widerspricht keiner der Zeit-Journalistin. Dass es die Ampelkoalition nicht hinbekommen wird, dass die CDU auch keine Lösungen für die Probleme hat, die sie selbst 16 Jahre lang angehäuft hat – dass weiß die Runde also schon jetzt. Und wenn dann über den Winter Menschen hungern, frieren und ihre Häuser verlieren, dann ist man ja wenigstens hinterher schlauer – und macht mit den falschen Einschätzungen trotzdem unbeirrt weiter.

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