Tichys Einblick
Ein Herz und eine Seele

„Ekel Alfred“ wird 50 Jahre alt

Die Serie „Ein Herz und eine Seele“ ging vor 50 Jahren zum ersten Mal auf Sendung. Die Hauptfigur „Ekel Alfred“ griff die SPD-Regierung scharf an, wurde dadurch Kult und die Deutschen lernten, was eine Sitcom ist.

IMAGO / Allstar

Drei Worte genügen und die Fans wissen, von welcher Serie die Rede ist: „du dusselige Kuh“. Derart wenig liebevoll nennt Alfred Tetzlaff seine Frau Else. Und auch sonst ist er keine Seele von Mensch: Im Supermarkt betrügt er, im Park pinkelt er vor den Augen von Frauen in die Büsche, seinen Schwiegersohn überzieht er mit Schimpfwörtern, von denen „langhaarige bolschewistische Hyäne“ noch eines der freundlicheren ist und über die Regierung flucht er so wüst, dass es Innenministerin Nancy Faeser (SPD) heute unter „Hass und Hetze“ vom Verfassungsschutz beobachten ließe.

Kurzum: „Ekel Alfred“ ist extrem unterhaltsam. So unterhaltsam, dass die Serie „Ein Herz und eine Seele“ zu einen der größten TV-Erfolg der 70er Jahre wird. Noch heute zeigen ARD-Sender regelmäßig Folgen wie „Silvesterpunsch“, „Rosenmontagszug“ oder „Besuch aus der Ostzone“. Im Januar 1973 startet „Ein Herz und eine Seele“ im WDR, der damals noch WDF hieß. Erst mit der zwölften Folge zieht Alfred in die ARD um – und ist in Farbe zu sehen. Von den ersten elf in Schwarz-Weiß gedrehten Episoden lässt die ARD einige in Farbe nachdrehen. Wobei das Wort Dreh nicht exakt treffend ist. Die Folgen werden live eingespielt. Das ermöglicht den Machern, aktuelle Ereignisse kurzfristig ins Drehbuch einzubauen.

Dafür braucht es hervorragende Schauspieler. Über die verfügt der Serienschöpfer Wolfgang Menge in der ersten Staffel: Elisabeth Wiedemann gibt eine treudoofe Else, die zum einen zeigt, wie Menschen unter Alfred leiden. Die mit ihrer Naivität aber auch für Pointen und erhellende Momente sorgt: „Heinrich Böll? Ist das nicht der neue Goethe?“ Hildegard Krekel spielt ihre rebellische Tochter Rita, die den sozialdemokratischen DDR-Flüchtling Michael Graf geheiratet hat – aber immer noch buchstäblich unter dem Dach der Eltern lebt.

Diether Krebs verkörpert diesen „Michi“ mit einem Understatement, der den Erfolg der Serie erst möglich machte. Denn diese Zurückhaltung eines der großartigsten Schauspieler der Bonner Republik ermöglicht es Hauptdarsteller Heinz Schubert erst, so richtig Gas zu geben und „Ekel Alfred“ zu einer der Kultfiguren des deutschen Fernsehens zu machen. Menge setzt stark auf zeitkritischen Humor, den meistens Alfred aussprechen darf: „Die Nationalmannschaft ist nicht das Bundeskanzleramt“, da werde nichts an die Kommunisten verraten. Es gibt aber auch Slapstick-Momente, etwa wenn sich Alfred in der Küche die Zehennägel schneidet und diese im Rotkohl landen. Oder Wortwitz wie: „Wenn du nach Paris kommst, verhalte dich wie ein Pariser.“

Obwohl die Rolle des Alfreds dankbar ist, wird sie von prominenten Schauspielern abgelehnt. Gert Fröbe schiebt Zeitgründe vor, Harald Juhnke sagt offen, er wolle „keinen Proleten“ darstellen. Gut zehn Jahre später spielt Juhnke dann „Sigi der Straßenkehrer“. Auch ein Prolet. Aber der wird in Abenteuer verwickelt und erobert schöne, reiche Frauen. Zuvor hat sein Arbeitsalltag nichts mit Hundekot oder versifftem Sperrmüll zu tun, sondern ist dank Sigis Humor tritratrulala lustig-bunt. So funktioniert deutscher Humor 1984.

So funktionierte deutscher Humor erst recht noch 1973. Die Deutschen lachten damals nur, wenn es ihnen staatlich erlaubt und deutlich als Humor gekennzeichnet war: Zu Dieter Hallervorden oder Klimbim mit Slapstick oder zu Kabarett mit staatstragendem Humor. Am einfachsten war es, wenn dem Witz ein Tusch folgte, der die Pointe als solche deutlich zu erkennen gab. Mit Alfred konnten daher 1973 viele Kritiker nichts anfangen und es entspann sich die sehr deutsche Debatte, ob „Ein Herz und eine Seele“ jetzt Sozialkritik sei oder ein Vehikel, um rechtsextremes Gedankengut aussprechen zu können. Dass Kunst mehrere Aspekte haben kann, überforderte und überfordert noch heute die Schwarz-Weiß-Denker des deutschen Fäuetongs.

Serienschöpfer Menge begriff den Zeitgeist richtig. Den Proleten in den Mittelpunkt der Erzählung zu holen, war angesagt. Ein Jahr vor Ekel Alfred lief im WDF die Serie „Acht Stunden sind kein Tag“ an. Regisseur Rainer Werner Fassbinder stellte darin den Arbeitsalltag von Fließbandarbeitern dar. In der für ihn üblichen lebensfrohen Art: mit depressiven Schwarz-Weiß-Bildern, bei deren Anblick sich der Zuschauer literweise Schnaps wünscht, um sich diese Optik sowie die Tristesse der Handlung schön saufen zu können.

„Ein Herz und eine Seele“ spielt in dem gleichen Milieu: triste Reihenhaussiedlung in Wattenscheid, beengte Verhältnisse, muffiges Möbiliar und Menschen, die von öden Jobs nach Hause kommen. Rita verkauft Kosmetik im Kaufhaus, Michi ist Feinmechaniker und Alfred arbeitet in der Warenannahme. Aus dem gleichen Stoff wie Fassbinder macht Menge eine Sitcom. In der keine fünf Minuten vergehen, ohne dass dem Zuschauer ein echter Lacher geboten wird. In dem Alltags-Probleme der 70er Jahre humorvoll aufgearbeitet werden: Die Telefonzelle, die nicht zu lange besetzt werden darf. Sich Essen nach Hause liefern zu lassen, was damals noch ein Staatsakt ist. Oder sich auf ein gemeinsames Reiseziel für den Sommer zu einigen.

Versuche, sich an Ekel Alfred anzulehnen, hat es später mehrere gegeben. Alle scheiterten. Aus einem einfachen Grund: Alfred ist zwar ein Klischee, anhand dessen eine bestimmte, alt-rechte Geisteshaltung gezeigt werden soll – und erfolgreich gezeigt wird. Aber Menge bricht aus diesem Klischee immer wieder aus, indem er zeigt, dass das Leben eben deutlich vielfältiger als im Klischee ist: Das beginnt mit Michi, der zwar linke Ideen hat, aber vor einem linken Regime geflohen ist. Das geht mit Michis Vater weiter, der zwar aus der DDR kommt, aber sich mit Alfred in der Kneipe verbrüdert, während beide bei reichlich Schnaps Wehrmacht-Geschichten austauschen. Und endet in einem Moment, in dem sich die Zuschauer sogar mit dem Ekel identifizieren können: Als der anfängt zu heulen, weil seine Tochter und sein Schwiegersohn über seinen Kopf hinweg das Haus verkaufen wollten. Durch solche Brüche des Klischees macht Menge seinen Alfred echt – und sehenswert. Bis heute.

„Ein Herz und eine Seele“ war die erste deutsche Sitcom: Wenige Darsteller auf geschlossenem Raum, feste Charaktäre und Pointen, die auf diese Charaktäre anspielen. Ein Genre, in dem die Deutschen über die Jahrzehnte gesehen nur wenig gerissen haben. Menge hat seine Serie an das englische Vorbild „Till Death Us Do part“ angelehnt – aber mit Themen wie SPD oder Wehrmachts-Sentimentalität eingedeutscht. Ähnlich machte es später Ralf Husmann mit „Stromberg“, welches auf „The Office“ zurückging. Mit „Stromberg“ und „Ein Herz und eine Seele“ wären dann auch schon so ziemlich alle deutschen Sitcoms genannt, die nicht auf dem beschönigenden Tritratrulala-Humor eines „Sigi, der Straßenkehrer“ aufbauen.

Drei Jahre nach der erfolgreichen ersten Staffel versuchte sich Menge an einer zweiten: Helga Feddersen sprang für Wiedemann ein, Klaus Dahlen für Krebs. Damit funktionierte die Serie nicht mehr. Sie war auf das harmlose Slapstick-Niveau der allermeisten deutschen Comedy-Formate heruntergezogen. Die ARD brach den Versuch nach vier Folgen ab. Zurecht. Schön ist allerdings die Idee für die 25. und letzte Folge von „Ein Herz und eine Seele“: Alfred kommt vor Gericht und muss dort seinen gesamten Lebenswandel und Stil rechtfertigen. Ein Ende, das gut 20 Jahre später auch einem gewissen Jerry Seinfeld widerfährt.

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