Tichys Einblick
Neue Modelle entstehen

Digital und Boulevard-TV: Springer rationalisiert radikal – und investiert immens

Rationalisierungsgerüchte werden bei Springer nun schmerzlich wahr: Die Einschnitte sind gewaltig. Gleichzeitig wird weiter groß investiert – markenübergreifend, digital und audiovisuell.

imago images / Waldmüller

Ein Erdbeben gibt es beim Verlag Axel Springer. Die „einst als eine Art Zukunft der Zeitung gestartete“ („meedia.de“) „Welt Kompakt“ wird vollständig eingestellt. Eingestampft werden auch die Print-Regionalseiten „Hamburg“ der Tageszeitung „Die Welt“. Diese Regionalausgabe bleibt allerdings für die Online-Ausgabe der „Welt“ erhalten, ebenso für die digitalen und gedruckten Seiten der „Welt am Sonntag“ („WamS“).

Die Springer-Vetriebstochter „Media Impact“ soll es in Kürze nicht mehr geben. Der Vermarktungsableger „Sales Impact“ muss mindestens einige Federn lassen: Der Standort Hamburg wird personell ausgedünnt, berichtet das „Hamburger Abendblatt“.

„Bild“ schluckt „BamS“, die „Bilanz“ verschwindet ganz

„Bild“ und „Bild am Sonntag“ („BamS“) fusionieren de facto zu einer Gesamt-Redaktion. Die bisherige „BamS“-Chefredakteurin Marion Horn soll bereits kurz „vor dem Absprung“ sein, munkeln Medienbeobachter. Julian Reichelt, Springers neuer großer Macher für den Boulevard, übernimmt die operative Leitung beider Redaktionsgruppen.

Das Wirtschaftsmagazin „Bilanz“ hört auf zu existieren, der bisherige Redaktionsleiter Klaus Boldt – schon seit einiger Zeit der einzige „feste“ Journalist bei der Zeitschrift – will der Verlag offenbar im Hause halten: Er wird nun wohl Chefreporter bei der „Welt“.

In Gefahr, eingestellt zu werden, ist die „Audio Video Foto Bild“. Sie könnte bald integriert werden in die „Computer Bild“. Bei „Auto Bild“ und „Computer Bild“ heißt die „neue Strategie: Konzentration auf die beiden Haupttitel und erfolgreiche Spezialmagazine“ („kress.de“). Das Magazinprojekt „Bild Politik“ wird endgültig „eingemottet“. („meedia“)

In der Hauptstadt konzentriert sich die „B.Z.“ in Zukunft ganz auf regionale Inhalte, die künftig auch an die Berlin-Redaktion von „Bild“ geliefert werden. Umgekehrt produziert „Bild“ zukünftig die wesentlichen Beiträge für die überregionalen Seiten“ der „B.Z.“. Insgesamt sollen sich die Kosteneinsparungen bei der Springer AG auf 50 Millionen Euro nur im Bereich News Media National belaufen.

Große Investitionen für Digitales, ein Contributoren-Modell und einen markenübergreifenden Newsroom

Der Verlag will freilich auch erheblich investieren. Allein in den nächsten drei Jahren sollen mehr als 100 Millionen Euro in „Wachstumsprojekte“ bei „Bild“ und „Welt“ fließen, deren digitale Angebote massiv ausgebaut werden sollen.

Bei der „Welt“ wird Springer ein „Contributoren-Modell“ mit einem Netzwerk aus Experten und Kommentatoren anschieben. Zudem erfolgt anscheinend im kommenden Jahr der Umzug des Verlages in den Berliner Axel-Springer-Neubau. Dort soll es einen gemeinsamen Newsroom für Fernsehen, Digital und Print geben. Ein markenübergreifendes Sport-Kompetenzzentrum wird offenbar seine Beiträge auf die jeweiligen Marken „Welt“, „Bild“ und „Sport Bild“ zuschneiden.

Neues Kabel-TV bei Springer – nach dem Vorbild von „Vice“ und „Vox“?

In vorderster Front der Reformprojekte steht eine „Live-Video-Strategie“ für „Bild“. Diese Medienmarke soll dabei zu einer Plattform für News, Entertainment und Sport gepusht und auch auf TV-Bildschirme gebracht werden, schreibt Springer in einer Mitteilung. Angeblich soll bald bis zu 18 Stunden täglich Fernsehen gesendet werden.

Das Nachrichtenentertainment unter der Marke „Bild“ wird allem Anschein also mehr umfassen als nur ein paar einzelne Sendeformate. Anscheinend ist sogar an die Realisierung eines Kabel-TV gedacht. „Von einem TV-Sender nach klassischer Machart wollen die ‚Bild’-Leute aber nichts wissen: Die Kosten für Studios, Übertragungswagen und Maske würden die potenziellen Einnahmen weit übersteigen“ („Der Spiegel“)

Geplant ist, die Live-Übertragungen durch eigene Reporter weiter zu professionalisieren, dezidiert auszuweiten und umfassend in Technik und Kapazitäten zu investieren. Man wolle dabei Fernsehen machen, „das aus dem Herzen unserer Reporter kommt“, so Julian Reichelt auf einer Verlagsversammlung. Dem „Spiegel“ sagte Reichelt noch etwas deutlicher: „Wir wollen das Land, die Welt, die Politik und den Alltag der Menschen so zeigen, wie es die Leute erleben, und nicht so steril und weichgespült wie teilweise bei den Öffentlich-Rechtlichen.“

Dazu gab es bei Springer kürzlich einen größeren Test: eine Live-Berichterstattung eines achtköpfigen „Bild“-Teams aus dem Amazonasgebiet. Die Reporter belieferten nicht nur direkt die Boulevardzeitung mit Texten – gedruckt wie online –, sondern sie berichteten gleichzeitig detailliert mit gedrehten Live-Videos.

Vorbild für „Bild-TV“ könnten die Medienunternehmen „Vice“ und „Vox“ werden. Eine unmittelbare Zusammenarbeit mit der TV-Schwestermarke „Welt“, dem Fernseh-Nachrichtenkanal des Springerverlags, ist offenbar nicht geplant. Springer hatte 2013 den TV-Newssender „N24“ übernommen, der später in „Welt“ umbenannt worden ist. Der „Welt“-Nachrichtensender hat jedenfalls schon viel Erfahrung im TV-Geschäft.

Das meiste Geld macht Springer längst mit Digital-Portalen

Den mit Abstand größten Teil der Gewinne holt das Medienhaus Axel Springer inzwischen in der digitalen Welt. Was vor einigen Jahren viele Beobachter nicht für möglich gehalten haben: Ebenfalls mit digitalem Journalismus lässt sich Geld verdienen. Selbst die neuen Nachrichtenplattformen „Upday“ und „Politico“ sollen kurzfristig profitabel werden, das Wirtschaftsportal „Business Insider“ sei es seit 2018, sagt Vorstandschef Mathias Döpfner.

Die finanzielle Melkkuh freilich sind seit langem die digitalen Anzeigenportale von Springer. Die „Welt“ stellt dazu fest: „Insgesamt trugen die journalistischen Angebote im vergangenen Jahr noch knapp ein Drittel zum operativen Ergebnis bei, zwei Drittel kommen aus Anzeigenangeboten wie der Stellenbörse Stepstone und dem Immobilienportal Immowelt im Segment Classifieds Media.“ Döpfner erklärte dazu schon im März, „Stepstone“ und die „Immowelt“ seien mittlerweile das „wirtschaftliche Rückgrat des Verlags“.

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