Tichys Einblick
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Der britische Stolz zum Thronjubiläum der Queen quält besonders die woken Deutschen

Siebzig Jahre Elisabeth II. Das britische Empire feierte vier Tage lang sein Staatsoberhaupt und seine Tradition. Ein Jubiläum, dem die Deutschen mit Skepsis zuschauten – besonders die Woken.

IMAGO/i images

Am deutschesten ist Deutschland donnerstags. Um 22.50 Uhr. Da läuft „Die Carolin Kebekus Show“. In der ARD. Humor mit Haltung. So bewirbt der Sender das tatsächlich. Klingt verkrampft, ist aber in Wirklichkeit sehr verkrampft: Sympathie-Bekundungen zu rot-grünen Posititonen und Witze über Friedrich Merz wechseln sich ab. Das Publikum wird zum Applaudieren angehalten. Das tut es auch. Pflichtgemäß. Es sind schließlich Deutsche. Doch Lachen, Lachen fällt ihnen schwer. Selbst auf Befehl. Deswegen spielt die Redaktion Lacher vom Band ein. Und sogar das ist noch so lieblos dahin gerotzt – so wie die gesamte Sendung. Die Lacher werden nicht mal synchron zur Pointe eingespielt. Dilettantismus mit Haltung.

An diesem Donnerstag greift Kebekus die Feiern zum 70-jährigen Thronjubiläum der Queen auf. Es folgt dem Gag-Muster der Show: Konservativ ist blöd. Lacher vom Band. Dass die Queen in Ländern des Commonwealth wie Kanada oder Australien gefeiert wird, mag Kebekus nicht verstehen. In ihrem Weltbild sind das Kolonialisierte, die den Imperialisten nicht gut finden können. Darum strickt sie „Gags“, dass das konservativ ist und daher dumm. Lacher vom Band.

Zu gerne würde das deutsche Haltungsfernsehen Wermut in den Sekt schütten. So betonen die Reporterinnen gerne, dass die Zustimmung zur Monarchie in Großbritannien bei den Jüngeren keine Mehrheit mehr habe. Vor allem die öffentlich-rechtlichen Straßenreporter tun das. Gut. Es ist immer noch ein Vielfaches des Anteils an Zuschauern, die ARD und ZDF in der gleichen Zielgruppe erreichen – selbst in der schwindenden Menge derer, die überhaupt noch fernsehen. Doch Zahlen und Selbstkritik stören im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nur. Und darum geht es hier auch nicht.

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Viel spannender ist die Lust woker Deutscher, den Briten, dem Commonwealth und dem Rest der Welt den Spaß am Thronjubiläum vermiesen zu wollen. Vor allem weil es in einem Land stattfindet, das hierzulande Thema einer Feindbild-Kampagne war. Ist gar nicht mal so lange her. Vor der Corona-Kampagne und als Zwischenspiel zum Klimaschutz-Thema schworen die deutschen Haltungs-Medien die Bürger auf beziehungsweise gegen das Vereinte Königreich ein. Der Brexit, so der Tenor, zeige, wie dumm die Bevölkerung, wie zerrüttet die Demokratie und wie fertig die Wirtschaft dort sei. Das Pfund werde dramatisch in den Keller stürzen, eine „Schwellenland-Währung“ sein, sagte unter anderem der Focus voraus. Auch würden die Bewohner verhungern, weil die Regale leer blieben. Ohnehin sahen die deutschen Medien „die Führerin der freien Welt“ in Berlin sitzen, London war in der Weltgemeinschaft für sie bestenfalls noch ein Mitläufer.

Nun. Sie haben sich geirrt. Großbritannien steht gut da. Vergleichsweise. Nach zwei Jahren Corona. Das Pfund ist deutlich stabiler als der Euro. Und da sich nun eine Erhöhung des Leitzinses als unausweichlich anbahnt, da ist es nicht Großbritannien, dem die Staatshaushalte von Portugal, Spanien oder Italien auf die Füße zu fallen drohen. Auch funktioniert der britische Rechtsstaat. Die Justiz in London gibt sich deutlich mehr Mühe, Boris Johnson für eine Party in den Corona-Tagen dran zu kriegen, als es die Justiz in Hamburg tut, wenn es darum geht, die Rolle des Bundeskanzlers in der Wirecard-Affäre zu klären – oder die Berliner Justiz, die sich offenbar nur wenig darum schert, eine ordnungsgemäße Bundestagswahl in ihrer Stadt durchzusetzen.

„Gegen Deutschland darfst du erst feiern, wenn du mit dem Pokal im Mannschaftsbus sitzt.“ Dieses Bonmot stammt vom englischen Stürmer Gary Lineker. Es trifft zu. Aber nur innerhalb des Stadions. Außerhalb haben die Deutschen oft die Briten für erledigt gehalten – doch am Ende hatten die Drei Löwen dann den Pokal in der Hand. Metaphorisch gesprochen. Denn wenn Großbritannien triumphierte, ging es um mehr als Fußball – es ging um das reale Leben. Und ja: Wir sind beim „Dritten Reich“ und seinem Welteroberungskrieg, der neben der Wolga auch an den Klippen von Dover scheiterte. Wer das Verhältnis zwischen Deutschen und Briten verstehen will, kommt an deren Krieg miteinander nicht vorbei.

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Den Deutschen ist aus der Niederlage ein Minderwertigkeitskomplex entstanden. Dass dieser die Nationalisten trifft, ist wenig verwunderlich und braucht daher nicht groß erklärt zu werden. Deutlich spannender ist, wie dieser Komplex die woke, vermeintlich internationale Linke quält. Eigentlich müssten sie darüber stehen und den 9. Mai als „Tag der Befreiung“ feiern. Das wissen sie. Deswegen tun sie es auch. Für die Fassade. Doch in den woken Deutschen brodelt der Komplex. Wer sich durch die eigene (vermeintliche) moralische Überlegenheit definiert, den wurmt es besonders, dass er ein Urenkel der Mörder von Auschwitz und Treblinka ist.

Daher rührt der ganze intellektuelle Aufwand, den Krieg nachträglich moralisch gewinnen zu wollen. In Deutschland ist es ein eigenes journalistisches Genre, die „USA und die neuen Nazis“ in einen Zusammenhang zu stellen – um so die alten, eigenen Nazis vergessen zu machen. Deswegen leiten wir aus Barack Obamas Worten ab, dass Angela Merkel die „Führerin der freien Welt“ sei, obwohl das weit über das hinaus geht, was der ehemalige amerikanische Präsident tatsächlich gesagt hat. Und so erklärt sich auch, warum eine Haltungs-Unterhalterin wie Kebekus das Lacher-Tonband quält, um ihr Unverständnis für die Commonwealth-Idioten auszudrücken, die immer noch die Queen feiern.

Deutschland hat einen Bruch in seiner Geschichte. Es musste 1945 mit seinen Traditionen brechen. Der Teilstaat, der in den 1860ern die anderen Staaten zu einem zweiten deutschen Reich zusammenführte, verschwand nicht nur aus den Atlanten. „Preußisch“ galt seit 45 als Schimpfwort und als das gilt es heute immer noch. Auch wenn wir immer noch mehr von den Preußen in uns haben, als den woken Linken lieb sein kann – weil sie sich davon gerne frei sprechen würden: die Provinzialität, die so gerne als Weltläufigkeit gesehen werden würde. Der Untertanengeist. Der manische Wunsch, in einer Reihe stehen zu wollen. Wenn auch nicht militärisch. Sondern intellektuell. Weshalb auch zu Klimaschutz, Corona oder Ukraine keine zweite Meinung mehr zugelassen wird. Ebenso wenig wie zum Brexit.

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Diesen Bruch in seiner Geschichte hat Großbritannien nicht erlebt. Über der Parade zu Ehren der Queen wehte der Union Jack – die gleiche Flagge wie auf den Schauplätzen des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Auch in den Staaten des Commonwealth sind historische Linien ungebrochen. Zumindest in denen mit einer britischen Leitkultur wie Australien, das Feiertage kennt, die Eckdaten der Kolonialisierung preisen – zumindest tun sie das aus Sicht von Carolin Kebekus. Für die Australier ist es schlicht der Weg aus einem Gefangenenlager in die freie Welt. Wobei es nicht nur die fehlende Scham ist, die Großbritannien nach 1945 eine kulturelle Kontinuität ermöglichte. Anders als Deutschland war das Vereinte Königreich schlau genug, seine kulturellen Träger nicht zu ermorden oder zu vertreiben. Mit Folgen.

Als Großbritannien die Kultfigur James Bond etablierte, setzte Deutschland zur gleichen Zeit Heinz Erhardt und Hans-Joachim Kulenkampff aufs Rad. „Mit dem Rad, mit dem Rad, mit dem Rad, Kamerad“ statt Shirley Basseys sexy „Goldfinger“-Geraune. „Immer die Radfahrer“ ist nach wie vor fester Bestand des öffentlich-rechtlichen Qualitätsfernsehen ebenso wie die „Lümmel“-Filme oder „Drei Mann in einem Boot“ – „Marianne, du hast es uns angetan, weil keine bisher war wie du“, Tusch, „Maaarianne und bist du auch nur ein Kahn …“.

Es waren die 1990er und die 2000er Jahre, in denen Deutschland kulturell zu Großbritannien aufschließen konnte. Mit „Anatomie“ oder „Lola rennt“ entstanden Filme, die auch Menschen außerhalb der ARD-Provinz schauen wollten. Techno und Eurodance prägten die Musik und mit der Loveparade gelang den Deutschen eine Veranstaltung, die junge Menschen aus der ganzen Welt anzog. Es war kein Zufall, dass Deutschland genau in den Jahren kulturell boomte. Für zwei Jahrzehnte waren sie mit sich selbst im Reinen, flaggten sogar selbstbewusst ihre Fahne. Bevor der grüne Rollback ansetzte, der die Deutschen wieder dazu brachte, sich selbst zu hassen.

Nun ist die Insel kein Utopia. Dort leben die Menschen mit den gleichen Problemen wie in Deutschland: Der Umbruch von der Industrie- ins DIgitalzeitalter hat in Großbritannien ein abgehängtes Prekeriat geschaffen. Wohlstandsverwahrverloste Kinder, die zwar den Wohlstand behalten wollen, aber dessen Grundlage in Frage stellen, gibt es in Manchester genauso wie in Leverkusen. Und die Rassismus-Debatte reicht sogar bis ins Könighaus, wo die Schwiegertochter des Thronfolgers gerne die Karte zieht, um in den Schlagzeilen zu bleiben. Wo auch schon mal die Statue des „Kolonialisten“ Winston Churchill niedergerissen wird. Der Fall des Führers der freien Welt im Krieg gegen Hitler stieß in Deutschland auf besonders großes Interesse. Kein Wunder. Gehört die „Führerin der freien Welt“ ihrer Meinung nach doch ohnehin nach Deutschland.

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