Tichys Einblick
Unfehlbar wie der Papst

Corona: Öffentlich-rechtliches Ballett

Wurde Corona zunächst noch als „reine Panikmache“ heruntergespielt, haben sich „nun die Fakten geändert“. Die Meinung der öffentlich-rechtlichen Medien aber nicht: statt einer Entschuldigung und Richtigstellung verteidigen sie ihren Unfehlbarkeisanspruch.

imago Images

Dass die römische Kirche nicht geirrt hat und niemals irren wird, weiß der Katholik spätestens seit dem Dictatus Papae aus dem 11. Jahrhundert. Mit der Säkularisierung haben andere Autoritäten das Ruder übernommen. In der Corona-Krise verteidigen die öffentlich-rechtlichen Medien nicht nur ihr Recht auf Gebührenerhöhung, sondern auch einen Unfehlbarkeitsanspruch, der selbst dem Canossa-Papst Gregor VII. Tränen in die Augen getrieben hätte. Rückblick: Ende Januar, Anfang Februar schwappt die chinesische Corona-Epidemie über das Fernsehen ins deutsche Wohnzimmer. Die Bilder von menschenleeren Millionenstädten, mit Masken ausgestattete Menschentrauben und Desinfektionsmittel sprühenden Einsatztruppen gehen um die Welt. Die Frage, was die Seuche in einer global vernetzten Welt für uns Europäer bedeuten könnte, beantworten gleich mehrere Zweigstellen des ÖRR einhellig: reine Panikmache.

Noch am 10. März warnte die ZDF-Sendung Frontal 21 vor Hysterie – und lädt Wolfgang Wodarg als Kronzeugen vor, der diese These unterstützt. Das heute-journal berichtete am 30. Januar von einem „Corona-Virus-Hype“, geschürt von Rechtspopulisten, die damit die „Erregungs- und Angstgesellschaft“ treffe. Die „heute-show“ machte sich am 31. Januar über die Corona-Epidemie lustig. Den Vogel schoss das Magazin „quer“ vom Bayerischen Rundfunk: Moderator Christoph Süß analysierte eine „kollektive Hypochondrie“. In einem Feature setzt eine „quer“-Kollegin noch eins drauf: die Corona-Hysterie sei der Jagd nach Klickzahlen und Versuchen von rechts geschuldet, den Staat zu destabilisieren. Zitat Süß: „Wir haben eine freie Presse. Kann sich jemand vorstellen, die BILD würde tatsächlich schweigen, wenn sie etwas zu verkünden hätte, nur weil Jens Spahn es befohlen hat?“

Der ÖRR kann sich nicht irren

Nicht befohlen, aber zumindest angestoßen hat die Medienwende die Kanzlerin höchstpersönlich. Kaum machte Merkel am 11. und 12. März den Ernst der Lage klar, drehten auch die Pressevertreter Pirouetten wie bei einem sowjetischen Ballett. Wodarg gilt seitdem als Verschwörungstheoretiker, „heute-show“-Moderator Oliver Welke vermeldet voller Ernst, dass sich etwas „geändert habe“ und „quer“ gibt Tipps zum Händewaschen. Da das Internet jedoch nie vergisst, knallten den Verantwortlichen bald die Peinlichkeiten des Vormonats auf die Füße.

Hätte der ÖRR nicht die Aufgabe gehabt, die Menschen zu informieren, vorzubereiten, statt Corona als Panik oder rechte Verschwörungstheorie herunterzuspielen? Die Angesprochenen sind beleidigt und beklagten sich, dass Kommentare von vor sechs Wochen herausgegraben würden. In einer Stellungnahme sieht sich „quer“ von „rechten Trollen“ angegriffen. Stellvertretend für die gesamte Zunft verkündet das Magazin: „Die Faktenlage hat sich geändert.“

Ähnlich patzig reagiert ZDF-Nachrichtensprecherin Dunja Hayali, als sich eine Userin auf Twitter über das monatelange Herunterspielen der Epidemie beschwert. Hayali: „die Welt“ hätte die ganze Sache unterschätzt. Vor vier Wochen habe das niemand kommen sehen. Auf den Hinweis, dass man sich offenbar nicht für die Lage in Italien interessiert habe, entgegnet die Moderatorin, dass man auf allen Kanälen über Italien berichtet habe. Offensichtlich ist es die eine Sache, ob man Nachrichtensprecherin, die andere, ob man Nachrichtenleserin ist. Entschuldigung, Richtigstellung, Eingeständnis des Versagens – Fehlanzeige. Wenn sich stattdessen nicht die Meinung von Journalisten, sondern die Faktenlage ändern muss, weil sich der ÖRR per definitionem nicht irren kann – dann ist das ein dicker Hund.


Dieser Beitrag ist zuerst bei Die Tagespost erschienen

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