Tichys Einblick
Wechsel

BILD-Chef Reichelt – gefeuert mit großen Buchstaben und kleinen Belegen

Endlich ist die Bild-Zeitung wieder gezähmt! Mit dem bisherigen Chefredakteur Julian Reichelt wurde das Blatt pointiert kritisch. Sein Nachfolger Johannes Boie wird es schwer haben, das Blatt nicht so gefällig zu machen, wie sich Regierungen ihre Zeitungen wünschen.

picture alliance / Bernd von Jutrczenka/dpa

Jahrzehntelang war die Bild-Zeitung beides: Karrieremacher und Menschenvernichter. Ihre Chefredakteure hoben den Daumen bei ihnen wohlgefälligen Schauspielern, Politikern oder Unternehmern. „Bild, BamS, Glotze“ reichten dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder, um einen Wahlkampf zu entscheiden. Aber Bild vernichtete auch Karrieren. Wenn Bild den Daumen senkte, war es vorbei mit dem Betreffenden; das erfuhr beispielsweise der frühere Bundespräsident Wulff, den Bild aus dem Amt jagte – mit Vorwürfen, die sich später als weit übertrieben und an den Haaren herbeigezogen erwiesen. Wer Bild-Chef war, war mächtig. Gottgleich konnte er Menschen erheben oder dieselben auch wieder zerstören. Manche mögen sich als Akteure in einem Drama der griechischen Sagenwelt gefühlt haben.

Bild auf Damen-Kurs

Später wurde Bild zahm. Die Frauenfreundschaft zwischen Bild-Verlegerin Friede Springer, für die im Casino des Verlags immer ein Tisch gedeckt war, und Bundeskanzlerin Angela Merkel führte dazu, dass Bild die Aktion „Refugees Welcome“ startete. Bild bejubelte die Kanzlerin und ihre Entscheidung, Deutschland bedingungslos für Zuwanderung zu öffnen. Auch bei anderen Themen wurde Bild zur dressierten Hauskatze im Kanzleramt, der man mit Rücksicht auf die Polstermöbel auch noch die Krallen gezogen hatte. Die Auflage sank wohl auch deswegen beschleunigt von fast fünf Millionen auf etwa eine Million.

Gegründet hatte Alt-Verleger Axel Springer das Blatt am 24. Juni 1954 mit der Idee, gedrucktes Fernsehen an die Kioske zu bringen. Bild war, was der Name besagte: ein Bilderblatt. Je mehr Fernsehen in die Wohnstuben flimmerte, umso mehr verschrieb sich das Blatt den großen Buchstaben. Je lauter, je besser. Nein, es war nicht immer alles die reine Wahrheit, was da in Schlagzeilen gegossen wurde. Oft genug war es mehr Erfindung als Wahrheit. Nur einige Prinzipien durften nie verletzt werden: die Treue zu Israel, das Bekenntnis zur Demokratie. Ansonsten war dem Blatt nichts heilig, und schon gar keine Regierung.

Die Revolution frisst ihre Kinder

Es ist makaber, dass jetzt Bild-Chefredakteur Julian Reichelt entlassen wird wegen fragwürdiger Vorwürfe – nichts davon bewiesen oder gerichtsnotorisch. Er wird entlassen aufgrund eines medial befeuerten Entrüstungssturms – damit erleidet er genau jenes Schicksal, das Bild anderen angedeihen ließ. Wobei Reichelts letzte Tat war die Einführung von Bild-TV – Fernsehen laut, schrill und grell wie die Zeitung. Wurde er damit endgültig zu gefährlich? Hat er damit seinen Sturz heraufbeschworen, einen Sturz, so willkürlich wie die Attacken von Bild auf Stars, die Bild erst zu solchen gemacht hatte? Jetzt wurde Reichelt gefeuert mit großen Buchstaben und kleinen Belegen; ganz nach Bild-Art.

Eine Medien-Story
BILD, BamS und Glotze wieder auf Linie für die Regierung
Nun war diese Art des People-Journalismus gerade nicht Reichelts Spezialität. Ursprünglich Kriegsreporter zog er in den Krieg mit der Bundesregierung und ihren Machenschaften; kritisierte Energiewende und Flüchtlingspolitik, Inflation und die Missachtung der Nöte kleiner Leute durch die Berliner Elite saturierter Westentaschenpolitiker. Es gab kaum einen anderen Chefredakteur, der seine Redaktions-Hundertschaften so bedingungslos in die Aktualität trieb; Tarifverträge taugen nicht für dieses Gewerbe, und Redaktionsbeamte trägt es da schnell aus der Kurve. Ein Feldbett hatte er in seinem Chefbüro aufgeschlagen; das verstörte die Anhänger eines Redaktionskurses, der zwischen 9 Uhr morgens und 5 Uhr nachmittags seine Berufung darin sieht, vorgefertigte Regierungserklärungen ins Blatt zu heben. Das war Reichelt nicht; da musste der Knall her, möglichst mehrere, täglich.

Er kämpfte auch gegen Cancel Culture und einen Staat, den sein Verleger Mathias Döpfner laut einem durch die New York Times geleaktem Schreiben zunehmend als DDR 2.0 ansieht. Schon musste sich Döpfner für diese zugespitze Bemerkung in einer privaten Mail rechtfertigen; es sei nur Spaß gewesen. Solche Zugeständnisse sind Zeichen von Schwäche.

Möglicherweise stürzt also auch Döpfner darüber; denn die „Kolleg:innen“ in den anderen Medien riechen das Blut. Die Meute jagt den früheren Leitwolf, gnadenlos. Dann müssen sie in Zukunft nicht mehr aushalten, dass ihnen die Zeitung mit den großen Buchstaben ihren eigenen Opportunismus vorhält, wenn die Blätter am Kiosk nebeneinander liegen. Dann herrscht wieder Stille am See, keiner macht Wellen und die Regierungsflottille kann unter dem Jubel ihrer Blätter ungestört weiterziehen.

In einer Art Fernwirkung hat der Schlag gegen Bild auch andere getroffen – die Ippen-Gruppe, jenes scheinbar unscheinbare Imperium aus 200 regionalen Tageszeitungen, die Dirk Ippen über Jahrzehnte gesammelt hat wie andere Briefmarken. Er hat eine „Investigativ-Reportage“ abgelehnt, die Reichelts Sünden beschrieben hat. Ausgerechnet die Frankfurter Rundschau, eine auf gedruckte Weinerlichkeit geschrumpfte Frankfurter Stadteil-Zeitung aus der Ippen-Gruppe, wollte den Bericht drucken, durfte nicht und tobt jetzt: „Das Verbot widerspricht allen Regeln der unabhängigen Berichterstattung. Die Entscheidung verletzt den Grundsatz der Trennung von Redaktion und Verlag.“ Es ist bezeichnend, dass die linksradikalen Schreiber die Unabhängigkeit der Redaktion vom Anzeigenhunger des Verlags in einen Art Freibrief umdeuten. Aber Medien sind Tendenzbetriebe wie sonst nur Kirchen – der Verleger bestimmt die Linie der Blätter, nicht der Volontär.

Jetzt sollen Köpfe rollen – Dirk Ippen soll aufs Altenteil, Springer-Boss Mathias Döpfner die Präsidentschaft des Zeitungsverlegerverbands abgeben. Journalisten betteln darum, an die Zensurkette der Regierung gelegt zu werden, statt in freien Verlagen ein freies Wort führen zu dürfen. Der Deutsche Journalistenverband, immer ganz vorne dabei, wenn es um die Exekution der Zensur im Sinne der Einheitsmeinung geht, fordert Döpfners Rücktritt. Es war auch für TE leichter, wenn wir am Sonntag einen Missstand beschrieben haben, und am Montag kam dann die Dampframme von Bild. Deutschland befindet sich in einem Meinungskampf, der erbarmungslos ausgetragen wird.

Johannes Boie – ein feinnerviger Intellektueller übernimmt

Ob Reichelts designierter Nachfolger Johannes Boie seinen Kurs fortsetzt? Wenn eine Führungsfigur gefallen ist, wird es nicht einfacher für den Nachfolger; umso mehr, weil ja auch Döpfner deutlich angeschlagen ist. Boie ist ein sehr guter Journalist, ein kluger, vernünftiger und durchaus konservativer Mann; klar auf Reichelt-Linie. Aber er ist ein eher feinnerviger Intellektueller, kein Straßenkämpfer.

„Koks, Schnaps und Weiber“ – das ist der Stoff, aus dem – und wohl auch mit dem – eine Boulevardzeitung gemacht wird. Grenzen verschwimmen. Diese Bild wird vielen fehlen, die sie in den letzten Jahren mit scharfer Regierungskritik wieder zurückgewonnen hatte, und die Rechthaber, die Doppelpunkt-Genderisten und Langweiler werden triumphierend ihre Tassen mit biologisch angebautem und fair gehandeltem Kamillentee anstoßen.

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