Tichys Einblick
„Beethoven oder Burka - Braucht Deutschland eine Leitkultur?"

Bei Maischberger: Talkshow-Fußball, Grundgesetz und Handschlagkultur

Der Politologe Bassam Tibi hat den Begriff Leitkultur Ende der 1990er Jahre in die Debatte eingeführt. Besser gesagt: einführen wollen. Sie wurde auch bei Maischberger nicht geführt, weil in den grundlegenden Dingen keine Klarheit besteht.

Screenshot: ARD/Maischberger

Ich möchte hier vorab aus meinen Sympathien keine Mördergrube machen – bei Maischberger an diesem Mittwochabend werde ich konzentrierter zuhören, was die Publizistin Birgit Kelle zu sagen hat. Nein, nicht etwa, weil ich weiß, dass das Herz der Familie Kelle für die Arminia schlägt und unsere Eintracht am Wochenende in Bielefeld dem Aufstieg in die erste Bundesliga drei Punkte näher kommt, die Kelles also enttäuscht sein werden, sondern deshalb, weil ich von Frau Kelle weiß, dass sie in solchen Talkshows den Ball immer besonders hoch spielt. Eine echte Stürmerin also.

Nun weiß natürlich auch, wer öfter schaut, dass einer wie der Stern-Verteidiger Hans-Ulrich Jörges auch bei Frauen munter reingerätscht, als kämpfe er wie die Arminia gegen den Abstieg in die Drittklassigkeit. Dafür wünsche ich Birgit Kelle vorab ganz parteiisch die Verteidigungsqualitäten unserer Eintracht (beste der Liga).

Weiter mit auf dem Feld sind neben Maischberger der bayrische Innenminister Joachim Herrmann (CSU), die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD), die Profi-Tänzerin und Schauspielerin Motsi Mabuse. Frau Mabuse wuchs in Südafrika auf und kam mit 18 Jahren nach Deutschland. Sawsan Chebli hat palästinensische Wurzeln und ist gläubige Muslima. Schlägt ihr Herz für die Hertha oder für Union? Nach eigenem Bekunden schlägt es bei der waschechte Berlinerin „Ohne Wenn und Aber“ für das deutsche Grundgesetz.

Warum nun diese ganzen Fußball-Anspielungen? Weil es in dieser Diskussionsrunde um deutsche Leitkultur geht. Und weil der Kollege Roland Tichy bei phoenix gerade zum selben Thema in etwa erklärte, mit der Leitkultur und dem Grundgesetz sei es wie beim Fußball: „Wenn man die Regeln kennt, ist man noch lange kein Fan, das Herz muss dabei bluten wie beim Wallasch für seine Eintracht und bei Frau Kelle für die Arminia.“ Oder so ähnlich.

Anpfiff! Zwar nur zu 75 Minuten, aber da müssten doch auch unter widrigen Umständen ein paar saubere Tore für die bessere Mannschaft fallen, auch wenn man befürchten darf, dass es mal wieder ohne neutralen Schiedsrichter über die Bühne gehen muss. Wird Birgit Kelle vorab als einzige die Nationalhymne mitsingen? Wir lauschen nun ergriffen zum Titel der dieswöchigen Sendung: „Beethoven oder Burka – Braucht Deutschland eine Leitkultur?“

Jugendliche geben sich die Faust oder klatschen ab, sagt Birgit Kelle zum Thema Händedruck. Aber wenn ihn einer verweigern würde, weil ich eine Frau bin, würde ich darauf bestehen.

 

„Wer integrieren will, muss wissen in was“, erklärt der bayrische Innenminister. „Wir müssen uns selbst bewusst sein, was unser Leben ausmacht.“

Hans-Ulrich Jörges will noch zwei Sätze vorausschicken. Es werden fünf oder sechs. Die zehn Punkte Thomas de Maizières in der BamS würden das Land spalten, seien antiislamisch, machten nur Wahlkampf usw..

Leitkultur würde leiten wollen. Regelvorgeber und Bittsteller halt, findet Sawsan Chebli. Das wäre ein Machtkampf zwischen alten Herren, was de Maizière da anschiebt. Die Frage, woher kommst du und woher kommen deine Eltern, müsse irgendwann aufhören. Briefeschreiber würden ihr sagen, sie würde nie eine echte Deutsche werden. Da könne sie sich noch so anstrengen.

Nicht die gewachsene Kultur muss sich ändern, erwidert Birgit Kelle. Wir können doch aber nicht ignorieren, was bei den anderen ankommt, erwidert Sawsan Chebli und fordert also Empathie ein. Motsi Mabuse musste die deutsche Hymne bei der Einbürgerung singen können, sagt sie, fand sie aber „OK“. Singen will sie aber nicht in der Sendung. Orthodoxe Juden würden einem auch nicht die Hand geben, weiß Sawsan Chebli. Das zu tolerieren gehöre doch auch zu Deutschland.

Also dann mal rüber zu de Maizières plakativem Satz: „Wir sind nicht Burka.“ – zur entschärften Version von „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ Und schon bollert Jörges gegen Kelle, weil sie sich noch mal gegen die Burka ausspricht als frauenfeindlich. Sawsan Chebli hat in Deutschland noch keine Frau mit Burka gesehen. Das gehört nicht zu Deutschland, weiß auch sie. Aber was sie dem Innenminister vorwirft, ist der Film, der dann bei den meisten Deutschen ablaufen würde, Burka sei gleich Islam. „Das werfe ich ihm vor als Stimmungsmache.“ Burka ist irrelevant, weiß wiederum Herr Jörges. Eine Diskussion also, wie in Talkshows gefühlt hundert Mal zu viel geführt. Jörges war sicher auch etliche Male dabei. Einmal zu viel. „Lieber Herr Jörges …“, sagt Innenminister Herrmann lächelnd, „dieser Satz ist doch kein Generalangriff auf unsere Muslime.“

Was ist nun also deutsch? Die Frage ist leider verloren gegangen. Burka gibt es zwar kaum, aber sie wird immer wieder neu herbeigeredet. Eine Sehnsucht nach etwas, was man übereinstimmend ablehnen kann?

Für Sawsan Chebli reicht das Grundgesetz. Damit könne man doch prima leben. Wir seien doch schon viel weiter als nur dort, wo de Maizières nun debattieren will. Für sie ist die Frage der Leitkultur sogar schon überflüssig.

Warum ist es falsch zu sagen, wir sind ein christlich geprägtes Land? Jörges spricht dagegen von der Gleichwertigkeit der Religionen. „Die Zeiten des reinen Christentums sind vorbei.“ Sitten und Gebräuche seien keine Wertedebatte. Homosexuelle seien heute in die Gesellschaft integriert. Da rege sich keiner mehr auf. Das allerdings mögen manche Muslime heute so sehen, wie früher noch viele Katholiken.

Birgit Kelle möchte etwas sagen, Jörges wird einfach etwas lauter. „Sitten und Gebräuche sind doch wichtig, das Grundgesetz reicht doch nicht aus“, sagt Birgit Kelle. „Das macht doch die Identität eines Bürgers nicht aus.“ Sich an Recht und Gesetz zu halten, sei eine Selbstverständlichkeit. Jörges will dazwischen, aber dann darf erstmal Sawsan Chebli. Sie findet den Umgang mit der deutschen Geschichte gut, obwohl sie uns aufoktroyiert wurde. Ach, klingt das nicht „rechtsradikal“? Mal weiter hören.

Aber da dreht Jörges durch: Sawsan Chebli hätte doch gerade die Verantwortung für den Judenmord mit übernommen, erklärt er anerkennend, als würde das irgendein Integrationsmodell, irgendeine Identitätsvorstellung jemals einfordern wollen. Mal davon ab, dass er Sawsan Chebli da möglicherweise falsch verstanden hat.

Maischberger muss jetzt daran erinnern, dass immer noch Mehrheiten unter den muslimischen Migranten ihre Religion über den Staat stellen. Sawsan Chebli findet es erschreckend, dass sich die dritte Generation viel schwerer mit Deutschland identifizieren kann. Jörges weiß wieder genau Bescheid, darf aber zum Glück nicht. Kurze Zäsur, verlangt Sandra Maischberger und stellt Sawsan Cheblis Leben in einem Einspieler vor.

„Wo kommen sie eigentlich her?“, als Frage, kann ja auch am Namen liegen, meint Sandra Maischberger zu der Politikerin. Damit könne sie mittlerweile souverän umgehen, meint Chebli.

Du bist kein echter Deutscher, da sei eben so ein Gefühl. „Wir essen Currywurst wie Döner“ weiß Jörges. Und er hätte Dunkelhäutige auf Englisch angesprochen, die in fließendem Deutsch geantwortet haben. Das müssten wir lernen. Was denn nun? Egal.

Birgit Kelle erzählt davon, dass sie in Rumänien die Deutsche war und in Deutschland die Rumänin. Aber sie wäre in Rumänien in einer deutschen Kultur aufgewachsen. Maischberger hat im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst und meint, dann hätte Kelles Familie ja eine Parallelgesellschaft aufgebaut. Als deutsche Spätaussiedlerin?

Könner können miteinander
Integration: Maizières Leitkultur-Thesen oder Kompetenz der Geholten?
Ja, es ist kompliziert mit uns Deutschen. Sicher brauchen wir eine Leitkultur. Das ist deshalb so untrennbar mit der Zuwanderung verbunden, weil der Begriff ohne muslime Zuwanderung überhaupt nicht denkbar wäre. Nicht denkbar sein müsste. Ohne den Integrationsauftrag, ohne den Wunsch einer klaren Abgrenzung zum Fremden hin – beides spielt hier eine Rolle – keine Leitkulturdebatte. Eine Chance? Wird der mittelmäßige Hundertmeterläufer erst zum Sprintstar, weil man die Wölfe auf ihn hetzt? Auf jeden Fall wirken viele Beiträge zur Leitkultur gehetzt, aufgesetzt, taktierend oder gar bundestagswahltaktisch.

Der Politologe Bassam Tibi hatte den Begriff Leitkultur Ende der 1990er Jahre in die Debatte eingeführt. Die Notwendigkeit einer Leitkultur in Deutschland begründete er damit, dass die deutsche Identität bisher durch Ethnizität definiert sei. Das dürfte der Schlüssel zu dieser Debatte sein, der hier nicht aufgenommen wurde. Jörges wird das ganz zum Schluss sogar so ähnlich in die Runde rufen, aber dann ist es zu spät.

Die nicht besprochene Frage ist also, ob es zuvor eine, irgendwie völkisch (Ethnizität) bestimmte Leitkultur gab, die nun modernisiert werden soll oder muss. Das würde allerdings voraussetzen, dass die bisherige Leitkultur irgendwie beschreibbar ist. „Abendbrot“ und „Wandertag“ sind da sicher kaum hilfreicher, als „Tupperabend“ oder „Dönerbude“.

Jeder weiß etwas anderes. Wie hier in der Runde. Nun kommt noch Erika Steinbach ins Spiel und Hermann soll sich für Steinbach rechtfertigen. Und Gott oder Allah oder sonst wem sei dank ist die Sendung dann auch vorbei.

Und was ist nun mit Fußball? Ach ja: Real hat zwar auf ZDF gerade verloren gegen Atlético, aber ist trotzdem im Finale der Champions League. So ist das eben manchmal im Leben, mitunter ist es wichtig, die Vorgeschichte zu kennen um die Gegenwart besser zu verstehen. Der blonde Jörges ruft immer noch. Irgendwas von einem andauernden Kampf der Germanen. Und dann geht das Licht aus in Deutschland.