Tichys Einblick
Echte Regierungskritik im ZDF

Bei Illner wird ein hilfloser Peter Altmaier voll in die Zange genommen

Drei Frauen, von denen man es nicht unbedingt erwartet hätte, prangern das Versagen der Regierung bei den Kleinunternehmern an: "unverzeihlich" sei das, was da passiert ist. Selbst Illner steigt irgendwann ein: „Sie haben ein Versprechen gebrochen!“

Screenshot ZDF: Maybrit Illner

Dass an die Illner-Redaktion der eine oder andere Hollywood-Träumer verloren gegangen ist, kann man sich schon denken, wenn man die Zwischenspieler anschaut – Filter, charakteristische Musik, Animationen – das ganz große Kino, damit auch der letzte Zuschauer versteht, welche Meinung er zu den Fakten zu haben hat – normalerweise. Dieses Mal hat sich das ganz große Kino aber nicht auf die Zwischenspieler beschränkt. Denn in der gestrigen Illner-Sendung, so scheint es, wurde mit einer Live-Improvisation von „Drei Engel für Charlie“ ein alter Klassiker wieder auf die Leinwände der Heimkinos gebracht. Drei Frauen, unter anderem mit dem Weltstar Katarina Witt in der Hauptrolle, haben Peter Altmaier und die Politik der Bundesregierung in Fetzen gerissen.

Peter Altmaier ist übrigens unser Wirtschaftsminister. Das wissen Sie vielleicht, aber er scheint das gerne zu vergessen. Gestern schien er sich über die Konsequenzen seiner Versäumnisse noch nicht ganz im Klaren gewesen zu sein: er spricht wenig über die Interessen der Wirtschaft, viel über die Gefahr des Virus. Während die anderen Gäste „vom nackten Überleben“ im Bezug auf Kleinunternehmer sprechen, sagt er: „Ich hab schon die Vision, dass es möglich sein wird, das ein oder andere zu öffnen“. Na, wenn er schon Visionen hat … Für alles, womit die Gäste ihn konfrontieren will er nicht verantwortlich sein. Das geht sogar so weit, dass er an einer Stelle gar behauptet, die Vorschriften haben nicht die Politiker, sondern „wir alle zusammen“ bzw. die Europäische Union gemacht. Klar, die Bundesregierung hat damit nichts zu tun.

Heft 03-2021
Tichys Einblick 03-2021: Es reicht.
Und dass die Novemberhilfen so schlecht ausgezahlt wurden, das „tut mir auch vom Herzen leid“, aber da geht es nun mal „nach Recht und Gesetz“. Da sitzt ein Vertreter des Kabinetts Merkel IV allen Ernstes gemütlich und spricht zu einer Nation, die seit vier Monaten das Haus kaum verlassen darf. Der etliche Grundrechte genommen wurden – mit der Folge, dass viele von ihnen nicht wissen, wie sie morgen ihre Familie ernähren sollen. Einer Nation, die entmündigt und auf die Grundbedürfnisse reduziert wurde. Zu diesen Menschen spricht er und schafft es wirklich, ohne rot zu werden, in die Kamera zu sagen, dass er ihnen das Geld, das er ihnen schuldet, nicht auszahlen kann, weil es ja schließlich „nach Recht und Gesetz“ laufen soll.

Aber glücklicherweise blieb diese Dreistigkeit nicht ohne Protest. Der ließ auch gar nicht lange auf sich warten. Die drei Angreifer, das sind Katarina Witt – ehemalige Olympia-Siegerin im Eiskunstlauf, heute Unternehmerin – , Dagmar Rosenfeld – Chefredakteurin der Welt – und Sina Trinkwalder – Gründerin der ökosozialen Textilienfirma „Manomama“. Eine sehr bunte Mischung, bei der einem aber nicht langweilig wurde. Vielleicht hat der Lockdown mich weicher gemacht und ich gebe mich schon mit dem Mindesten zufrieden, aber ich war gestern richtig glücklich. Eigentlich wollte ich die Sendung erst gar nicht weiter schauen, als ich gesehen habe, dass Katarina Witt da ist. Der Lockdown setzt mir schon genug zu, da muss ich nicht auch noch dabei zusehen, wie eine meiner Kindheitsheldinnen mich auch noch enttäuscht. Man sagt ja immer „Triff nie dein Idol“. Umso erleichterter bin ich, dass ich nicht enttäuscht wurde, ich kann also nur hoffen, dass Sie mir meine kindliche Begeisterung im Folgenden nachsehen werden.

„Sie haben ein Versprechen gebrochen!“

Dagmar Rosenfeld beginnt Altmaier in die Mangel zu nehmen: „Es wird Zeit für Lockerungen oder Lockerungsperspektiven, das ist bisher unterlassen worden. Wir hangeln uns von Lockdown zu Lockdown. Der Lockdown ist aber nicht alternativlos.“ Wie die Auszahlung der Hilfen laufen, empfindet sie als „unverzeihlich“. Genauso wie sich sämtliche Politiker mit Schuldzuweisungen vor Verantwortung drücken. Katarina Witt fordert eine faire Strategie, mit der alle aufmachen dürfen. Dass nur Friseure auf dem Plan stehen, empfindet sie nicht nur als unfair, sondern als unverständlich. „Es ist ein Ausspielen, wenn man jetzt priorisiert. Es geht um die kleinen Betriebe, die über Jahre ihre Steuern gezahlt haben.“ Sina Trinkwalder hat nicht so viel gesagt, aber dafür war vor allem ihre Mimik unbezahlbar. Immer wenn Peter Altmaier wieder versuchte, sich mit einer Mischung aus Dackelblick, sanfter Stimme und hohlen Phrasen aus dem Schlamassel herauszuwinden, sah man sie, wie sie zunehmend weniger versteckt lachte und lachte. So ging es dem Zuseher auch.

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Und sie teilte aus: „Ich hab das Gefühl, hier ist nur einer im Lockdown und das ist das Wirtschaftsministerium. Nach dem Motto: lieber nix machen.“ Peter Altmaier ringt nach Luft, aber Argumente wie „Wir haben seit November sechs Milliarden Gelder ausgezahlt. Und die Novemberhilfen werden seit fünf Wochen von den Ländern ausgezahlt. Ich mache kein name- und blame-game.“ oder „Wir haben Fehler gemacht. Wer macht das nicht in so einer Situation. Aber wenn ich mir andere Länder angucke, zum Beispiel Frankreich, – da sind mehr Menschen gestorben.“ – das wirkt nicht gerade überzeugend. Selbst Illner schlägt irgendwann zu: „Sie haben ein Versprechen gebrochen!“ klagt sie an.

Selbst bei einer ehemaligen Sportlerin, der Chefredakteurin einer Tageszeitung und einer linken ökosozialen Unternehmerin ist angekommen, wie sehr die Regierung versagt hat – wenn das mal nichts heißen mag. Dazu kam Siegfrid Russwurm (Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie) mit seinem Statement „Ich glaub da geht noch mehr, Herr Altmaier“ und der parteilose Rostocker Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen. Der ist eigentlich selbst ein Freund des Lockdown, doch er konnte Altmaier zahlreiche Strategien um die Ohren hauen, mit denen man sich sowohl um die Wirtschaft, als auch für die Todeszahlen kümmern kann.

Nicht zu vergessen: Diese Sendung wurde im ZDF ausgestrahlt. Dessen Zuschauer haben gestern ein fünf gegen eins Match gegen die Regierung zu sehen bekommen. Wenn sogar hier der Regierungsvertreter K.O. geschlagen wird, dann dürfte der Unmut selbst hinter den dicken Mauern des Bundeskanzleramts zu hören sein. Hoffen darf man ja.

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