Tichys Einblick
Der Wunsch nach Heimkehr

Bei Hart aber Fair: Der Unterschied zwischen ukrainischen Flüchtlingen und den Migranten von 2015

Bei Hart aber Fair wird über Flüchtlinge und mit Flüchtlingen aus der Ukraine diskutiert. Plasberg hat schon die alten Willkommens-Sprüche herausgekramt, muss aber feststellen: Die Ukrainer wollen Ukrainer bleiben und zurück in ihre Heimat, sobald es geht.

Screenshot ARD: Hart aber Fair

Bei „Hart aber Fair“ zeigen nahbare Berichte über Flüchtlinge und private Helfer die riesigen Löcher in der staatlichen Antwort auf die neue Flüchtlingsfrage auf. Sie offenbaren, dass man im politmedialen Wolkenkuckucksheim von Wünschen, Selbstbild und Realität der Hunderttausende Ukrainer keine Ahnung hat: Während zentrale Fragen und Probleme noch absolut unbeantwortet sind, will man aus ihnen schon neue Deutsche machen.

Seit Wochen tobt der Krieg in der Ukraine – und die Zahl der Flüchtlinge wächst beständig. Allein in Deutschland sind nach offiziellen Zahlen bereits über 270.000 angekommen, die Schutz vor Putins Armee suchen. „Heute soll es um die Menschen gehen“, meint Frank Plasberg in der Einleitung zu „Hart aber Fair“ – fernab von außenpolitischen oder geostrategischen Debatten. Bereits vor zwei Wochen hatte man in der Show über die Flüchtenden aus der Ukraine gesprochen. Seitdem dürfte sich ihre Zahl de facto vermutlich verdoppelt haben. Die Sendung zeigt persönliche Schicksale und die Situation von helfenden Privatleuten. Über allem steht die Frage: Ist der Staat fähig, diese Aufgabe zu lösen?

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„Weltspiegel“-Journalistin Isabel Schayani sieht das aktuell nicht so. Sie übt Kritik an den Verantwortlichen: Diese gingen „zu gechillt, fast schon im Yogamodus“ an die Aufgabe heran, meint die Moderatorin und Reporterin. Man sei sich offensichtlich des Umfangs der Herausforderung nicht bewusst. Schayani prangert zu Recht an, dass es gar keine strukturierte Reaktion gäbe. Zum Beispiel die Registrierung von Flüchtlingen, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser laut eigenen Aussagen für unzumutbar hält.

Das Bild, dass Schayani zeichnet, wird auch von Heike Jüngling bestätigt. Sie ist Lokalpolitikerin und in der nordrhein-westfälischen Stadt Königswinter für die ankommenden Flüchtlinge zuständig. Auf die wichtigsten Fragen fehlten nach wie vor Antworten, meint sie: von der Kostenerstattung für die privaten Helfer über die ärztliche Versorgung bis hin zu Schul- und Kitaplätzen für die Flüchtlinge. „Die Strukturen müssen her, die Regeln müssen her. Wir sind über einen Monat nach Kriegsausbruch und haben genau für die Menschen, um die wir uns kümmern müssen, die wichtigsten Antworten nicht parat.“

Joachim Herrmann will hingegen lieber ein anderes Bild zeichnen. „Von Chillen kann keine Rede sein“, entgegnet er Frau Schayani. Bayern habe die Situation voll unter Kontrolle, meint der Innenminister des Freistaates. „Wir müssen jetzt diesen Menschen helfen und tun es auch.“ Ähnlich beschreibt das Luise Amtsberg. „Ich habe nicht den Eindruck, dass entspannt mit der Situation umgegangen wird“, meint die Menschenrechts-Beauftragte der Bundesregierung. Der Staat müsste so schnell wie möglich handeln. Von heute auf morgen werde das aber nicht funktionieren, räumt die Grünen-Politikerin ein. Das erinnert an Katja Kipping, die vor zwei Wochen an gleicher Stelle den vielen privaten Helfern sagte, dass sie einen langen Atem benötigen würden. Da grüßt 2015: Zunächst viel privater Hilfsbereitschaft steht eine staatliche Chaos-Antwort gegenüber.

„Wann fahren wir wieder heim?“

Diese private Hilfsbereitschaft bekommt durch das Ehepaar Kroß ein Gesicht. Julia und Max Kroß nahmen fünf Ukrainer in ihrer eigenen Wohung auf. Auf 150 Quadratmetern leben jetzt zusätzlich ein Mädchen mit Mutter und Großvater sowie zwei weitere Frauen aus dem Kriegsgebiet. Plasberg fragt Frau Kroß nach ihrem Alltag. „Welcher Alltag?“, entgegnet sie nur lachend. Es gebe viel zu organisieren. Unter anderem Behördengänge, SIM-Karten, Essen. Der Zuschauer lernt zwei Bürger kennen, die Hals über Kopf ihre Tür völlig Fremden geöffnet haben: Noch am Nachmittag des ersten Kriegstages beschloss das Ehepaar, Flüchtlinge aufzunehmen.

Viele der Konsequenzen wurden ihnen erst später klar: mehr Kosten, mehr Verbrauch, mehr Müll. Doch sie bereuen ihre Entscheidung keinesfalls. Kommunikation laufe vor allem über Übersetzer-Apps ab. Lachend erzählt Julia Kroß, dass sie seit der Ankunft ihrer Gäste keinen Tag mehr hätten kochen müssen – das würden die Ukrainer übernehmen. „Gäste“ – so wird oft über die Ukrainer gesprochen, die nun in Deutschland sind. Und so sehen sie sich oft auch selbst.

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Einer dieser Gäste ist an diesem Abend auch Gast im Studio: Oksana Ilchenko ist mit ihrer Mutter und ihrer Tochter aus Kiew nach Deutschland geflohen und bei Privatleuten untergekommen. Ihr Einzelgespräch mit Plasberg ist nahbar und emotional – immer wieder weint sie, wenn sie von ihren Erfahrungen, Ängsten und Gedanken erzählt. Von der Mutter, die sie jeden Tag frage: „Wann fahren wir wieder heim?“ Von der Tochter, die jetzt in Deutschland endlich wieder ihre Kindheit leben könnte. Vom Mann, der als Armee-Offizier in Kiew seinen Dienst für die Heimat tut, in die sie unbedingt wieder zurück möchte. Sie dankt Deutschland aus ganzem Herzen und will doch nicht bleiben – ein Konzept, dass zumindest Plasberg gar nicht zu begreifen scheint. Der lotet in seinen Fragen schonmal die Einbürgerung für eine Frau aus, die mit ganzem Herzen Ukrainerin ist und bleiben will.

Dass diese Flüchtlinge nicht die Migranten aus 2015 sind, ist klar: Kriegs- und Rechtssituation, Demographie und geographische Herkunft sind völlig anders. Und trotzdem wird der Vergleich angestellt – manch einer im Studio und auch mancher Zuschauer scheint die Unterschiede zwischen beiden Situationen überhaupt nicht erkennen zu können. Schnell ist von Rassismus die Rede: Syrer, die schon länger hier wären, könnten sich durch die Hilfsbereitschaft für die Ukrainer beleidigt und diskriminiert fühlen. Als wäre derjenige, der lieber eine Frau mit Kind anstatt eines jungen Mannes aufnehme, dadurch irgendwie ein schlechter Mensch.

Die moralischen Standards des Elfenbeinturms wirken in dieser Sendung genauso deplatziert, wie sie es in Wahrheit auch sind. Die großen und leeren Worte der Politik- und Medienvertreter erzeugen zwischen den realen Berichten von Flüchtlingen, Helfern und unmittelbar Verantwortlichen ein vielsagendes Echo. Oksana Ilchenko beispielsweise würde in einem Monat gerne schon wieder in der Ukraine sein, erzählt sie – dann, wenn sie in Deutschland eigentlich ihren Registrierungstermin hätte.

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