Tichys Einblick
Urlaubszeit ante portas

Bei Hart aber Fair: Gesundheitsapostel gegen Todesengel

Weil es ja nun wirklich nichts Substantielles zu bereden gab, wurden größtenteils die Sorgen verunsicherter Bürger besprochen. Doch warum Karl Lauterbach seine Fliege für immer abgelegt hat, weiß man nun dank einer Zuschauerfrage.

Screenshot ARD

Der Psychologe Stephan Grünewald registriert derzeit eine aufgewühlte Corona-Gesellschaft: Gesundheitsapostel gegen Todesengel. Als ersterer fungierte bei Plasbergs Hart aber Fair Karl Lauterbach, der ja auch in der SPD dieses Amt bekleidet. Todesengel müsste dann wohl Wolfgang Kubicki gewesen sein.

Gleich zu Beginn der Sendung versuchte eine Jung-Reporterin vom WDR den Reisenden im ersten Ferienflieger (komplett ausgebucht) nach Mallorca vor dem Abflug gleich mal die Urlaubsstimmung zu vermiesen. Wie man sich so fühle als Versuchskaninchen? „Versuchskaninschen?“, antwortete eine resolute Dame, „in der Düsseldorfer Altstadt iset schlimmer.“

Karl Lauterbach „wäre niemals mitgeflogen, jeder könnte infiziert sein.“ Die Reiselockerung sei halt ein Experiment. Kann gut gehen, muss aber nicht. Außerdem setzt der Gesundheitsapostel auf die zweite Welle. Und dann irritiert er uns mal wieder, diesmal mit der Einschätzung, dass die zweite Welle nicht so groß sein würde wie die erste, bei der 8.000 Deutsche starben. Daraus soll man sich nun einen Reim machen.

Wolfgang Kubicki ist bekanntlich Vertreter der Partei, die ganz andere Sorgen als Corona hat (FDP bei 4% in den Umfragen!). Das ganze Leben sei ein Lottospiel, sagte er fatalistisch, aber gutgelaunt. Außerdem habe die GroKo entschieden, dass es keine zweite Welle gebe, „sonst würde ja das ganze Konjunkturprogramm keinen Sinn machen“.

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Als „beobachtende Journalistin“ wurde Christina Berndt vom Süddeutschen Beobachter vorgestellt, die Herrn Lauterbach sogleich in allen Punkten recht gab. „Für den Einzelnen mag das Risiko sehr gering sein“, klagte sie über die Ferien-Flieger, „aber denken die auch an die anderen?“ Es blieb einem Michael – in der Sendung werden immer wieder Zuschauer mit ihren Anfragen an die Redaktion eingeblendet – vorbehalten, die Bigotterei der süddeutschen Beobachterin zu entlarven: Wenn zigtausende dichtgedrängt auf Anti-Rassismus-Demos herumlaufen, kein Veranstalter zur Rechenschaft gezogen wird, und Politiker das dann anderntags auch noch lauthals begrüßen, „wie soll ich das ernst nehmen?“ Dazu weiß Frau Berndt nichts zu sagen, was ihr keinen Ärger in der antirassistischen Redaktion einbringen würde, aber Karl kennt bei dem Thema keine antirassistischen Verwandten: Ein „Sargnagel für die Disziplin“ sei das. „Gerade das laute Rufen setzt viele Viren frei!“

Norbert Fiebig vom Reisebüroverband DRV kam kaum dazu, Liquiditätshilfen für die kleinen und mittelständischen Reiseveranstalter anzumahnen, die er seit Monaten von der Politik verlangt, denn er musste für die Lufthansa gerade stehen, die sich wohl mit der Erstattung stornierter Reisen schwertut, obwohl die LH doch staatliche Gelder bekäme. Dabei setzen LH und andere größere Reiseunternehmen wohl auf die in der Politik diskutierten Reisegutscheine, „wie es sie in 12 anderen Ländern gibt“ (Fiebig).

Professor Lauterbach hingegen fände ein Wort des Dankes vom Reisepräsidenten angemessen, schließlich haben „wir“ TUI (Sitz in SPD-Country) massiv unterstützt. „Außerdem bürgen wir ja für jeden Kredit.“ Die kleinen Firmen bekommen trotzdem keinen Kredit, jammerte der Präsident, aber da hört ihm keiner zu.

Weil es ja nun wirklich nichts Substantielles zu bereden gab, wurden größtenteils die Sorgen verunsicherter Bürger besprochen.

Eine Frau Özkan fragte nach einer möglichen Rückholaktion (wenn zweite Welle) aus der Türkei. Fiebig: Jeder Pauschal-Reiseveranstalter macht‘s. Und ein eingeblendeter LH-Chef durfte sogar vollmundig eine Homecoming-Garantie aussprechen, Nachfragen wollte er nicht gestatten.

Eine Zuschauerin aus dem Homeland NRW wollte wissen, „ob man gezwungen werden kann, im August einen Fuerteventura-Urlaub anzutreten, den man vor Corona gebucht hat“.
Annabel Oelmann von der Verbrauchzentrale Bremen, ein weiterer Gast der Sendung sagte: Ja, man kann. Weil es keine Reisewarnung mehr gebe, sondern nur einen Reisehinweis.
DRV-Präsi Fiebig klagte daraufhin, wir bräuchten wieder differenzierte Einschätzungen zu den Reiseländern „wie früher aus Außen-Ministerium“, nicht Pauschalurteile wie jetzt. Aber „differenziert“ kann Maas leider nicht, wie bekannt sein sollte.

Ein Michael will seine verspätete Hochzeitsreise im Oktober nach Bali machen. Verbraucherschützerin Oelmann rät abzuwarten. Studieren geht über stornieren.

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Weg mit Goethe und Schiller?
Frau Berndt vom Beobachter erfreute dann die Runde mit Studien, wie man sie wohl in der Süddeutschen finden kann, von 80%iger Zustimmung für die Maßnahmen der Regierung und wie viele Todesfälle wir gehabt hätten, wenn wir den Laden nicht dicht gemacht hätten. Der Gesundheitsapostel dann noch, Schweden sei auf ganzer Linie gescheitert, und Plasberg schob die rhetorische Frage nach, ob wir „anders als in der Flüchtlingskrise“, diesmal alles richtig gemacht hätten, weil wir bei Corona so toll kontrovers diskutierten. Das fanden alle, obwohl der Psychologe, wie ein Theologe ohne Zölibat, ein wenig Wasser in den Wein mischte mit der „aufgewühlten Gesellschaft“.

Die Ohnmachtserfahrung durch Corona ließe manchen nicht das Virus, sondern den Staat als Gegner sehen, „um aus der Ohnmacht herauszukommen“. Er sehe eine ähnliche Polarisierung wie 2015, plus Verschwörungstheorien. Aber auch Worte des Trostes fand Grünewald im rheinischen Singsang. Wie in Hell- und Dunkeldeutschland normal habe er in „Tiefendiskussionen“ herausgefunden, dass für die einen Corona „eine ungeheure Zumutung“ (für Merkel übrigens sogar eine „demokratische Zumutung“) gewesen sei, für andere, „Rentner und Beamte“ (Kubicki: und Abgeordnete) hingegen die „schönste Zeit“, mit Wandern und Gärtnern.

Wer am Ende wen eine Woche nach Malle mitnehmen würde, wollen wir Ihnen ersparen, verehrte Leser, stattdessen, wie bei Plasbergs Hart aber Fair üblich, mal eine Leseranfrage beantworten. Frau S. aus München will wissen, warum Karl Lauterbach seine Fliege für immer abgelegt hat.
Wikipedia schreibt, weil Lauterbach sich ohne Fliege „eine höhere Akzeptanz seiner Einschätzungen bei jüngeren Zuschauern verspricht“. Vielleicht wäre es da noch schlauer, in eine andere Sendung zu gehen, denn Plasberg hat seit Jahren Probleme damit, junges Publikum zu finden für Hart aber Fair.
Gute Nacht.


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