Tichys Einblick
Brigadegeneral a.D. rechnet ab

Bei Hart aber Fair: „Wir haben Putin nichts entgegenzusetzen als folgenlose Rhetorik“

Bei Hart aber Fair trifft die düstere militärische Realität auf moralische Sprücheklopferei. Dabei sind es die gleichen, die immer gegen Aufrüstung etc. waren, die nun meinen, man könne Putin mit besonders rabiaten Worten stoppen.

Screenshot ARD: Hart aber Fair

In der Ukraine geht der Krieg unvermindert weiter. Ein Ende ist nicht in Sicht. Wieder talkt „Hart aber Fair“ dem Ukraine-Konflikt hinterher. Wie der russische Präsident Wladimir Putin gestoppt werden kann, war am Montagabend die Frage von Frank Plasberg. Eine Lösung könnten nach Meinung der Gäste weitere diplomatische Gespräche sein. Doch das ist zahnlos: Denen verweigert sich Putin nämlich – zumindest gegenwärtig.

Woran liegt das? Brigadegeneral a.D. Erich Vad wirft in der Sendung auch der Nato mangelnde Gesprächsbereitschaft vor. Der ehemalige militärische Berater Angela Merkels kritisiert den Westen. Er liefert auch einen realistischen Blick auf die diplomatische Lage: Gespräche führen könnte nur Washington. Brüssel stehe weitestgehend blank und zahnlos da: Putin respektiere nur militärische Stärke, die EU-Europa nicht habe. „Putin reagiert auf Militärmacht. Die haben die Amerikaner. Wir in Europa sind Habenichtse. Wir haben Putin nichts entgegenzusetzen als folgenlose Rhetorik.“

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Überrascht habe Putin der Widerstand der Ukraine. Moskau habe es nicht geschafft, die Ukraine in den ersten 72 Stunden zu überrumpeln. „Das gibt den Ukrainern Hoffnung“, sagt die Grünen-Politikerin und Publizistin Marina Weisband, die in Kiew geboren ist. Dort lebt ihre Familie noch immer. Sie spricht täglich mit ihren Angehörigen und beschreibt deren Situation: „Die Menschen versuchen, ruhig zu bleiben und nicht in Panik zu verfallen.“ Den Krieg nehmen sie sogar mit Humor, erzählt sie. Sie habe gefragt, wie es den Kindern ihrer Verwandten in Kiew gehe. Die Antwort: Ihr schwerhöriger Onkel Kolya drehe einfach den Fernseher laut auf, dann würden sie die Schüsse nicht hören. Die Menschen bereiteten sich auf eine Belagerung vor, sie horteten Lebensmittel und Wasser. Eine Flucht aus Kiew sei nicht mehr möglich, das sei physisch zu gefährlich, so Weisband. Man höre Geschichten von Frauen, die aus ihren Autos geworfen worden seien, dann wären die Autos beschlagnahmt worden. „Nicht unbedingt von der Armee – es ist im Moment alles Mögliche auf den Straßen unterwegs“, beschreibt die Politikerin die Situation in der ukrainischen Hauptstadt. Und sie fasst zusammen: „Die Menschen werden weiter kämpfen. Je mehr Putin demonstriert, was für stalinistische Maßnahmen er im eigenen Land durchzieht, desto mehr wird den Ukrainern klar, dass dort für sie keine Zukunft ist, nachdem sie die Demokratie erkämpft haben.“
Schayani trifft auf Flüchtlinge aus der Ukraine 

Politikwissenschaftler Christian Hacke nennt den „grimmigen Selbstbehauptungswillen“ der Ukrainer „heldenhaft“. Dass in Deutschland die Menschen in einem Belagerungsfall ähnlich reagieren würden, hält er für ausgeschlossen. „Bei uns herrscht ein struktureller Pazifismus,“ zitiert er treffend den Historiker Sönke Neitzel. Die deutsche Diplomatie habe den Fehler gemacht, sich zu wenig für eine neutrale Ukraine einzusetzen, ist sich Hacke sicher. „Wir sind nicht ganz unschuldig, wir haben einiges provoziert bei Putin“. Der Westen provoziere eine Reaktion des Diktators und zeige gleichzeitig Schwäche. Unterm Strich stellt er fest: „Es geht hier nicht um gut und böse, sondern darum: Wie kommen wir hier raus?“

Diese Sicht teilt der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour nicht. Der Außenpolitiker gerät direkt mit Hacke aneinander, schüttelt den Kopf, widerspricht. Putin ginge es nicht um die Ukraine alleine. Würde er nicht gestoppt werden, könnte er auch andere Länder überfallen. „Es ist wichtig, die Ukrainer zu unterstützen, weil sie für die Demokratie kämpfen“, sagt er. Allerdings werde es ein militärisches Eingreifen der Nato im Moment nicht geben. „Eine direkte Konfrontation zwischen der Nato und Russland ist eine Rutschbahn in den dritten Weltkrieg.“

Sendung 03.03.2022
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Das nukleare Risiko schätzt Brigadegeneral a.D. Vad anders ein: Im Kalten Krieg habe die Nato dies bei konventioneller Unterlegenheit immer angedroht, das gleiche sei jetzt – unter umgekehrten Vorzeichen – der Fall. Trotzdem kritisiert der Militär die eskalatorische Rhetorik mancher westlicher Medien und Politiker. „Wir kriegen keine militärische Lösung hin“, sagte er. „Wir müssen eine politische Lösung finden und wenn wir Putin als hysterisch bezeichnen, ist das nicht möglich“. Gemeinsam mit Christian Hacke bringt Vad einen relativ kühlen Realisten-Blick auf die Situation – das ist, verglichen mit vorangegangenen Sendungen, neu.

Forderungen nach einer Flugverbotszone, wie sie die Journalistin und ehemalige DLF-Moskaukorrespondentin Gesine Dornblüth aufgestellt hatte, watscht der Offizier fast arrogant ab. „Das kann man doch nicht mit Russland machen. Das bedeutet doch ganz klar Krieg“. Dornblüth erwiderte, sie habe nur die Frage in den Raum geworfen: „Wir wollen keinen Krieg, aber wir haben doch schon Krieg“, sagte sie.

Denn die Realität des Krieges fernab von deutschen Redaktionsstuben ist brutal: Das zeigt auch die ARD-Reporterin Isabel Schayani, die in Polen über die Flüchtlingsströme berichtet. Sie war unter anderem bereits in Migrantenlagern in Moria. Doch das jetzt, diese Flüchtlinge, das ist etwas anderes, merkt auch sie. „Die Kinder sind im Schock“, berichtete sie. „Sie merken, dass ihre Eltern ihnen keine Sicherheit mehr geben können.“ Sie wirkt durch ihre Begegnungen mit den Geflüchteten vor Ort völlig benommen. „Ich begreife das nicht“, sagte sie immer und immer wieder.

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