Tichys Einblick
Koalitionsbildung im Studio

Bei Anne Will: Brautschau für Armin Laschet

Markus Söder ist ebenso dabei wie Ministerpräsidentenkollege Volker Bouffier und Saskia Esken, Parteivorsitzende der SPD, selbsternannte Antifa-Freundin. Also los mit einer weiteren Wahlwerbesendung für die passende Koalition mit Lindner und Habeck als potentielle Koalitionäre.

Screenprint ARD/Anne Will

Vier Gäste sind von den Regierungsparteien, dazu kommen Christian Lindner (FDP) und Robert Habeck (Grüne) als potentielle Koalitionäre. Da RTL mit „Bauer sucht Frau“ uneinholbar vorne liegt, eine weitere Art Partnertausch-Sendung bei der ARD: Wer will mit wem koalieren? Wer darf mit Markus, der Saskia langweilig findet? So wünscht sich das Anne Will. Opposition in Deutschland, die nicht ja zu so einer Koalition sagt, gibt es einfach nicht, darf es nicht geben, weder AfD noch Linke. Brautschau also für Markus unter den Bauerstöchtern mit den meisten Hektar.

Anne Will macht also Wahlkampf. Und nein, sie macht ausnahmsweise mal keine Corona-Maßnahmen-Werbeveranstaltung für die Bundesregierung, sie diskutiert ohne die Stimmen der Opposition die Wahl des NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet zum Parteivorsitzenden der CDU. Das wird jetzt wohl so weiter gehen, bis der Drops gelutscht ist, also bis zum Wahlabend, so dieser stattfindet. Oder einigt man sich gleich im Studio?

Robert Habecks Grüne schwächeln ein bisschen in Umfragen, aber bis zum Herbst ist ja noch Zeit, dank öffentlich-rechtlicher und altmedialer Hilfe wieder aufzusatteln. Eigentlich geht Demokratie anderes. Der öffentlich-rechtliche Auftrag ist nicht erfüllt.

Ach so, Anne Will fragt in diese Runde: „Führung in Krisenzeiten – welche Politik braucht Deutschland jetzt?“ Und sie will wissen, welches Signal im Superwahljahr vom neuen CDU-Vorsitzenden Laschet ausgehen wird.

Anne Will traut sich sogar von einem „Machtwechsel“ zu sprechen, während sich parallel das Glamour-Portal VIP.de nicht schämt, öffentlich zu fragen: „Anne Will: Botox im Gesicht?“ Tatsächlich aber sind Gesichtszustände ebenso Nebensache geworden wie Inhalte und echte Debatten.

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Markus Söder ist aus München zugeschaltet. Volker Bouffier möchte, dass sich Laschet und Söder um Ostern herum einigen, wer den Kanzlerkandidaten macht. Ansonsten wäre der Parteitag „so toll“ gewesen. „Toll“ war es, „richtig toll“. Bouffier spricht von „Armin“. Ja, man duzt sich, soll der Zuschauer hier denken, dass Laschet ein Kumpeltyp ist? Also duzt euch privat, aber lasst so etwas im Fernsehen bitte weg.

Söder ist dran und fand den Parteitag auch „gut“. Er selbst hätte „Armin herzlich gratuliert.“

Anne Will diskutiert über Ranglisten, die Söder als Kanzlerkandidat vor dem eher hemdsärmligen Laschet sehen. Die Frage, ob nicht wider Erwarten doch Rot-rot-grün irgendwie eine Mehrheit bekommen könnte, steht gar nicht mehr zur Debatte, die SPD hat sich schon vollständig aufgegeben. Auch Habeck schweigt dazu, obwohl er da längst hinblinzelt.

Zwar sagt Söder noch, das man nicht einfach nur „einen Gemischtwarenladen“ anbieten könne. Aber – das vergisst er – dort immerhin gibt es eine Auswahl. Die Angebote im Gemischtwarenladen bei Anne Will sind alle aus derselben Produktionshalle.

Robert Habeck lächelt die ganze Zeit zu Söders Ausführungen, als könne man eine zukünftige Zusammenarbeit herbei lächeln. Anne Will sagt: „Wir haben die Vorsitzenden alle hier sitzen.“ Das stimmt natürlich nicht. Weder Jörg Meuthen noch Tino Chrupalla sind für den Oppositionsführer anwesend, auch die Linke fehlt.

Was für ein Satz von Anne Will: „Markus Söder hat ja schon in meine Karteikarten gucken können, keine Ahnung, wie er es gemacht hat.“ Söder hatte sich quasi eine Frage selbst beantwortet, die noch nicht gestellt war. Ja Frau Will, woran könnte das wohl liegen? Möglicherweise an ihren erwartbaren Fragen?

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Robert Habeck bringt dann tatsächlich gleich mal diese fast vergessene Union-FDP-Koalition ins Spiel. Der grüne Parteichef sieht in solchen Sendungen immer so aus, als wären sie ihm direkt lästig: Der Schwiegersohneffekt, er kommt brav zum Kaffee, um sich vorstellen, und hat sich sogar die Haare gekämmt. Diese leichte Sprachhemmung hilft noch dabei. Und sein Auftritt sagt auf der Metabene: Ach, der Herr Autor möchte bitte zurück in seinen Elfenbeinturm – wenigstens solange noch, bis er endlich sein Ministerium hat.

Und dann darf Christian Lindner (FDP) endlich. Ja doch, er ist der beste Redner von allen in der Runde, aber wo sind belastbare Inhalte? Die Nichtwahl von Herrn Merz sei auch eine Richtungsentscheidung, weiß Lindner. Er hat jede Menge Blumensträuße dabei, wie das bei Brautschau so zu sein hat, von Laschet über Söder bis Habeck, jedem wird geschmeichelt, jeder bekommt sein Fett, nur die SPD geht leer aus. Aber Saskia Esken ist ja noch nicht einmal zu Wort gekommen.

Aber dann darf sie auch mal in die Kumpelrunde bei Anne sprechen. Sie will wissen, ob die CDU nun wirklich zur Ruhe kommt. Ob denn mit der Wahl von Laschet wirklich die Richtungsentscheidung vorläge. Sie spricht von der CDU als großer Volkspartei, klar, von der SPD kann man es ja längst nicht mehr behaupten. Und sie hat ja Recht. Die mit Merz Unterlegenen toben, solange sie das bei Twitter noch dürfen.

Volker Bouffier hat eine schöne sonore Elmar-Gunsch-Stimme. Die dann aber viel weniger schön klingt, wenn der hessische Ministerpräsident tatsächlich behauptet, die Rede zur Wahl von Laschet sei die „Rede seines Lebens“ gewesen. Was für ein langweiliges Leben der Mann ansonsten haben muss.

Habeck erinnert noch einmal daran, dass da eine Person vor Armin Laschet im Amt war, nämlich Annegret Kamp-Karrenbauer. Habeck warnt die Union, die Stärke, die ihr jetzt noch unter der Bundeskanzlerin zugeschrieben wird, wäre kein Automatismus. Vermutlich hat er da Recht. Die Spaltung der Union ist an diesem Sonntag unüberhörbar. Aber: Das wussten wir auch schon.

Spätestens nach 20 Minuten ist dazu alles gesagt. Nun beginnt die Wiederholung der Wiederholung des Gesagten nur mit anderen Worten. Die Menschen, so Lindner, „müssen individuell mitgenommen werden“. Hilfe, es gibt tatsächlich kein Entkommen! Wir werden alle zwangsweise mitgenommen, auf den Arm genommen. Es ist ein Drama ohne Bürger. Und ohne Opposition.

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Weil dann aber alles gesagt ist, kommt auch noch Karl Lauterbach ins Spiel. Er ist in jeder Talkshow, neuerdings ohne selbst physisch anwesend zu sein. Esken findet Lauterbachs Stilllegungsidee der Bundesrepublik „eine Chance für die Ökologie, für die Vereinbarkeit von Leben und Beruf, wie wir immer so schön sagen“, sagt sie tatsächlich. Früher war die SPD die Partei der Arbeitnehmer – jetzt derjenigen, die 100 Prozent Kurzarbeitergeld beziehen. Dass da was schief gehen könnte – zu viel für Esken. Schließlich kommt das Geld doch vom Staat, oder? Oder von den Reichen? Aber da die auch nicht arbeiten und niemand für sie? Man wundert sich über soviel Unverstand, bis Söder kommt.

Söder will dann wieder den Lockdown verlängern, Impfen bitte massiv verstärken, mehr Impfstoff nicht nur bestellen, sondern auch produzieren und „verimpfen”. Jawohl, dann macht mal. Und was man noch verbessern will, sei das Thema Homeoffice. Und dann müsse man auch auf diese mutierten Versionen des Virus schauen. Man dürfe aber auf keinen Fall aufhören, so Söder, bevor die gesamte Therapie abgeschlossen ist. Wie schon am selben Ort zuvor zeigt Söder, dass er der bessere Lauterbach ist. Beide haben keinen medizinischen Schimmer, aber Söder ist das noch egaler als Lauterbach, er haut es halt einfach raus. Und tatsächlich: ganze Satzfragemente wiederholen sich aus vorangegangenen Sendungen! Ist das nur auswendig gelernt oder schon gespenstisch?

Lindner fordert wenigstens, dass, „drastische Eingriffe in die Grundrechte doch im Parlament debattiert werden müssen und nicht hier.“ Da hat er Recht. Das ist die Folge eines Parlamentsbetriebs, in dem alle nur noch auf Brautschau sind und mögliche andere Meinungen nicht dabei. Christian Lindner vermisst aber noch etwas: nämlich die Schnelltests. So hätte er auch nichts dagegen gehabt, vor der Sendung einen Schnelltest zu machen, es gab aber keine. „Da haben wir um Handlungssicherheit im Alltag zu bekommen, noch etwas nicht ausgeschöpft.“ Seine Kritik, dass die Dinge nicht im Parlament diskutiert würden, verhallt.

Saskia Esken ist derweil wieder mal froh, nicht so viel sagen zu müssen. Sie scheint direkt zu fürchten, dass Anne Will – huch – möglicherweise gleich wieder irgendwas von ihr wissen will, was am nächsten Tag in der Zeitung stehen könnte. Wo Lindner um jede Zeile bettelt, duckt sich Esken lieber weg. Man muss sagen nach ihren Einlassungen zum totalen Lock-Down: Besser ist es.

Im Überbietungswettbwerb um die härtere Lösung will Lindner die FFP2-Maske bundesweit. Aber ist eigentlich schon geklärt, ob das nun Einwegmasken sind oder nicht? Wie oft müssen die gewechselt werden und wer kommt auf die Idee, dass es davon genug für alle gäbe? Später sagt Lindner, alle acht Stunden müsse die FFP2 entsorgt werden.

Die Sendung mäandert durch alle Corona-Themen, unübersehbar wächst ja der Widerstand gegen Maßnahmen, die nicht nachvollziehbar und willkürlich erscheinen – Rodeln gesperrt für Kinder. „Sie können nicht ein Land mit Polizei durchregieren.“, rodelt da der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier herum – ja da sind wir aber alle zusammen sehr dankbar.

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Das Zitat des Abends kommt dann doch von Habeck. „Dann schleicht sich ein Sound ein wie: Wir haben das im Griff und ihr böse Bevölkerung gehorcht nicht. Das ist nicht gut.“ Er bezog sich damit auf eine Tendenz bei politischen Entscheidungsträgern, die Schuld für nicht sinkende Infektionszahlen nahezu vollständig den Bürgern in die Schuhe zu schieben, statt auch mal staatliches Versagen zu thematisieren.

Volker Bouffier erzählt ungerührt weiter, dass in der nächsten Ministerpräsidentenrunde am Montagabend auch Wissenschaftler aus England dabei sein werden. Gleichzeitig würde man auch schauen, was andere Länder machen, und das kann nur eines bedeuten: Weitere Verschärfung, wobei bisher genau diese Politik krachend gescheitert ist. Aber was bedeuten Fakten schon? Nein, überzeugend ist das alles leider nicht.

Anne Will erinnert daran, das wir mittlerweile die selben Todeszahlen hätten wie die USA, aber die wären so für ihre Maßnahmen kritisiert worden. Das ist interessant, denn hier ist es auf einmal nicht mehr Trump, der dafür Lorbeeren einheimsen könnte, da sind es die USA im Allgemeinen. Wie viele Sendungen hat Anne Will zuvor gemacht, Donald Trump dafür verantwortlich zu machen?

Kurz vor Schluss verbreitet Söder noch das Gerücht, dass sich das mutierte Virus aus England besonders über offene österreichische Skipisten verbreitet hätte. Er selbst sei zuvor gescholten worden, seine Pisten nicht aufgemacht zu haben. Es ist ein riesiges Dilemma mit diesem Mann: Auch hier geht es ihm wieder nur darum, sich selbst vor der Bundestagswahl richtig zu positionieren. Ansonsten läuft das immer selbe Söder-Tonband ab, lediglich mit ein paar Updates aus dem RKI. Die Sendung wird zu ihrer eigenen Wiederholung.

Söder erinnert sich an irgendetwas, das im März war. Aber auch da war schon Pandemie. Die Zeit geht den Menschen verloren, die jungen Leute sind am meisten betroffen, die Alten sterben weg. Und es bleiben die immer selben an der Regierung, denn die Kanzlerin hat jetzt so etwas wie einen Avatar ins Rennen geschickt. Auch Anne Will ist noch Anne Will, aber das ist kaum beruhigender als alles andere.

Und die Brautschau ist zu Ende. Die Braut willig. Aber nicht hübsch.

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