Tichys Einblick
"Die Gasumlage kippt"

Bei Anne Will: FDP-Chef Christian Lindner versucht den Aufstand gegen Robert Habeck

Finanzminister Christian Lindner hat eine mediale Gegenoffensive gestartet. Bei Anne Will kündigt er eine andere Energiepolitik an. Nun muss er sich nur gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) durchsetzen. "Nur".

Screenprint: ARD/Anne Will

Archive sind keine Freunde von FDP-Funktionären. Sie zeigen zum Beispiel liberale Justizminister, die das Ende der Corona-Maßnahmen versprechen, um dann „die härtesten Maßnahmen“ in Europa zu liefern. Nun spielt die Redaktion der Talkshow Anne Will so einen falschen Freund des liberalen Finanzministers Christian Lindner ein: In dem ist er zu sehen, wie er selbstbewusst Journalisten antwortet, es gebe keine Rechtsbedenken gegen die Gasumlage, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) könne sie einführen. Es ist gerade mal vier Tage her, dass Lindner sich als Verteidiger der Gasumlage inszenierte.

Mit diesem Einspieler holt die Redaktion die Luft raus aus Lindners Auftritt. Wer ihn wenige Sekunden vorher in der Sendung gesehen hat, ohne den Zusammenhang zu kennen, der konnte glauben, Lindner sei ein knallharter Vertreter liberaler Wirtschaftspolitik: Die Gasumlage müsse weg. Das bisher gespeicherte Gas gehe zurück in den Markt, um so das Angebot zu steigern und den Preis zu senken. Atom- und Kohlekraftwerke sollen weiterlaufen und gemeinsam mit den Partnern der EU müsse man Rohstoffe künftig günstiger einkaufen. Zack. Ein Ende der grünen Wirtschaftspolitik. Der Chef der Liberalen hat gesprochen.

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So wäre es. Wenn es den Einspieler nicht gäbe. Der zeigt, dass Lindner noch vor vier Tagen was komplett anderes gesagt hat. Oder wenn Moderatorin Anne Will nicht zu den negativen Folgen der Gasumlage die berechtigte Frage stellen würde: „Das fällt Ihnen jetzt erst auf?“ Nein. Er habe in seinem Ministerium einen Arbeitsstab zum Thema Gaspreis-Bremse installiert. Wann? „Vor einiger Zeit“. Christian Lindner ist ein führender Vertreter der Generation Politiker, denen Sprachregelungen wichtiger sind als konkrete, zielführende Politik. Die Schulden „Sondervermögen“ nennt und dann meint, sich dank dieses sprachlichen Kniffes dann noch als Haushalts-Sanierer profilieren zu können.

Doch Anne Will holt die Luft aus Christian Lindner nicht nur dadurch raus, dass sie zeigt, was er früher gesagt hat. Auch das, was er in der Sendung sagt, lässt die Hoffnungen liberaler Wähler gleich wieder sterben: Ob es denn nun auch zu dem von Lindner beschriebenen Politwechsel tatsächlich kommen werde? „Das ist eine Frage, die kann ich nicht alleine beantworten.“ Das hört sich nach der FDP des Justizministers Marco Buschmann an, der in der Corona-Politik auf ganzer Linie Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nachgibt, um sich dann in die Behauptung zu retten: Ohne die FDP wäre alles noch viel schlimmer gekommen. Auch Marco Buschmann gehört zu der Generation Politiker, die meinen, Sprachregelungen ersetzten Politik.

Inhaltlich lässt sich viel Negatives über Habeck oder Lauterbach sagen. Aber sie sind durchsetzungsfähig. Die FDP stellt nur Leichtmatrosen wie Lindner, Buschmann oder Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Die kennen sich in der medialen Welt aus, setzen wie Lindner geschickt in der Bild am Sonntag eine Schlagzeile wie „Die Gasumlage kippt“, wenn sie abends zu Gast bei Anne Will sind. Doch es sind Sprachregelungen. Die tatsächliche Politik sieht danach meist anders aus.
Und selbst bei Anne Will, wo er eigentlich ein Heimspiel hat, demonstriert Lindner, welch ein Leichtgewicht er ist. Eine Woche zuvor war dort Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zu Gast. Sie ließ sich zu Beginn der Sendung zuschalten, hatte die Aufmerksamkeit für sich alleine, setzte ihre Punkte und war weg, bevor die Runde ihre Inhalte zerreden konnte. Sie inszenierte sich als Spitzenpolitikerin, die über der Ebene thront. Lindner sitzt in der Ebene.

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Nach seinem Auftritt am Anfang bleibt er und diskutiert. Mit dem Landespolitiker Karl-Josef Laumann (CDU). Mit der Journalistin Julia Friedrichs. Und mit Clemens Fuest. Der ist Präsident des Ifo-Instituts. Das ist formal unabhängig, lebt aber von Steuergeldern. In letzter Konsequenz sitzt da der oberste Finanzwart des Staates und diskutiert öffentlich mit seinem Berater. Baerbock lässt das nicht mehr mit sich machen. Lindner schon.

In der Runde geht es um eine „Gaspreisbremse“. SPD-Chefin Saskia Esken versteht in Interviews darunter staatliche Zuschüsse, die den Preis dann subventionieren. Lindner sieht den Verkauf des gespeicherten Gases als solche Bremse. In der Runde bekommt er andere Vorstellungen zu hören. Doch Lindner verspricht: „Eine Gaspreisbremse ist für mich kein Anlass, eine Ausnahme von der Schuldengrenze zu machen.“ Er verteidige die Schuldenbremse. Das ist die Sprachregelung dafür, dass der Staat laut Verfassung immer weniger Schulden machen darf, um letztlich dann kostendeckend zu arbeiten.

Lindner wird diese Schuldenbremse verteidigen. Mit der gleichen Konsequenz, wie Buschmann das Ende der Corona-Maßnahmen durchgesetzt hat. Mit der gleichen Beliebigkeit, mit der sich Lindner innerhalb von vier Tagen als Befürworter und als Gegner der Gasumlage inszeniert. Spricht also viel dafür, dass der Staat auf die Wirrungen, die im Winter drohen, mit zügellosen Schulden reagieren wird. Aber die Sprachregelung dazu wird Weltklasse sein.

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