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Goodbye, Genosse Winfried

Ministerpräsident Kretschmann spricht in der ARD über seine Zeit als Maoist

Früher Staatsfeind als Kommunist, heute grüner Ministerpräsident. Die ARD lässt am kommenden Montag unter dem Titel "Jagd auf Verfassungsfeinde" auch Kretschmann zu Wort kommen – in den 1970er Jahren ein bekennender Maoist.

Winfried Kretschmann, bei einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa), Dez. 2021

picture alliance/dpa | Marijan Murat

In den 70er Jahren war die westdeutsche Linke gespalten und in einer Krise: Die fröhlich optimistische Aufbruchstimmung der Studentenrevolte war vorbei; der Terrorismus und die damit verbundene Gewaltfrage spaltete die Bewegung. Auch die Tristesse des realexistierenden Sozialismus auf ostdeutschem Boden half nicht gerade. Als dann die RAF mithilfe ihrer palästinensischen Verbündeten den Terror auf einfache Touristen ausweitete, brach die Unterstützung endgültig zusammen.

Trotzdem oder gerade deswegen blühten die K-Gruppen in der Bundesrepublik auf. In denen versammelten sich meist nicht einmal ein Dutzend Aktivisten: Die Marxistischen Trotzkisten wurden gegründet, bekamen Krach, einer verließ die Gruppe und rief die Leninistischen Maoisten ins Leben, die sich wiederum auch zerstritten, ein Teil davon bildete dann die Trotzkistischen Leninisten und ein anderer die Maoistischen Marxisten. Und so ging das Wechselspielchen munter weiter – einen realen politischen Einfluss hatte das nicht mehr.

In diesem Spielchen, das wie die Parodie aus „Das Leben des Brian“ wirkte, nur ernst gemeint war, war einst auch Winfried Kretschmann politisch zuhause. Seine Gruppen hießen: Sozialistisches Zentrum, Kommunistische Hochschulgruppe oder „Kommunistische Studentengruppe / Marxisten-Leninisten“. Dem angehenden Lehrer drohte ein Berufsverbot. Denn auf den Terror der RAF hatte die SPD überreagiert, um sich gegen die mögliche Kritik der CDU zu schützen, nicht hart genug zu reagieren. Unter der geistigen Federführung von Herbert Wehner – selbst einst Stalinist in Moskau – kam es zum „Radikalenerlass“.

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Die Grundidee war noch gut: Wer Feind der rechtsstaatlich-demokratischen Verfassung war, sollte nicht für den Staat arbeiten dürfen. Doch in der Praxis überzogen manche Bundesländer. Ähnlich wie in der Corona-Politik waren sie zuständig für die Umsetzung, verständigten sich aber mit dem Bund auf eine gemeinsame Linie – zumindest am Anfang, 1972. In Bayern wurde der Erlass noch 1991 angewandt. Als Konsequenz dieser Regelung durfte nicht Briefträger werden, wer auf der falschen Demo das falsche Plakat in die Luft hielt. Diesen Part des Radikalenerlasses stellt die ARD in den Vordergrund. Deshalb trägt die Dokumentation auch den Untertitel: „Der Radikalenerlass und seine Opfer“.

Aber sie lässt auch die Veteranen jener Tage zu Wort kommen, vor allem Winfried Kretschmann, den heutigen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Das hat dann was von: „Die Veteranen erzählen vom Krieg“, so wie es in einer Vorab-Geschichte im Spiegel deutlich wird. Die Masche: vordergründig einräumen, dass ja schon das meiste Quatsch war – aber letztlich die eigene Lebenslüge doch irgendwie verteidigen. Zumal vor allem bei einer Aussage Kretschmanns gegenüber dem Spiegel zweifelhaft ist, ob sie zutrifft: „Ich habe davon auch nichts zu den Grünen rüber transportiert.“

Der Einfluss der K-Gruppen auf die Grünen wird indes allgemein unterschätzt – zumindest in den grünen Gründungstagen in den späten 70er und frühen 80er Jahren. Die Versammlungen verliefen oft chaotisch. Viele brachten viel Herz und wenig Organisationserfahrung mit, bei den Mitgliedern der K-Gruppen war es umgekehrt. Den Klimaschützer musste der ehemalige Taxifahrer und Mitglied einer Prügeltruppe Joseph „Joschka“ Fischer auch erstmal lernen. Der war aber notwendig: Von Marx und Lenin wollte damals kaum noch einer was hören – Müsli und Friedensbewegung machten sich indes auf ihren langen Marsch in die Populärkultur.

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Die K-Gruppen brachten Struktur in die Versammlungen und Parteitage der Grünen. In ihrem Sinne. Über politische Fragen durfte offen und endlos diskutiert werden – aber für die Abstimmungen über Listenplätze organisierten die grün gewaschenen Kommunisten die Mehrheiten. So besetzten sie die lukrativen Abgeordnetenstühle – und nur wenige Jahre später die ersten Regierungsbänke. Nicht anders als in konservativen oder sozialdemokratischen Seilschaften auch zog der eine den anderen nach sich: So wurde Winfried Kretschmann 1986 Grundsatzreferent im hessischen Umweltministerium – unter Joschka Fischer.

Die Dokumentation des Grimme-Preisträgers Hermann G. Abmayr (66) setzt ihren Schwerpunkt auf die Opfer, wie es der Untertitel bereits verrät. Auch die Presseankündigung des verantwortlichen Saarländischen Rundfunks (SR) lässt Entsprechendes erwarten: „Doch bis heute zeigt die Politik kaum Interesse an der Aufarbeitung. Gleichzeitig ist die Verteidigung unserer Demokratie aktueller denn je.“ Welch glanzvolle grüne Karrieren aus maoistisch-sonstwasistischen Laufbahnen entstanden sind – diese Aufarbeitung hat der SR dabei wohl kaum im Sinn.

Weil er es muss, räumt der Pragmatiker Kretschmann zwar seinen Fehler ein. Doch eigentlich verherrlicht er ihn so wie im Spiegel: „Im Rückblick kann ich sagen, das waren alles doch sehr christlich imprägnierte Impulse – letztlich. Man steht auf der Seite der Schwachen, ohne das realpolitisch einzusortieren, zu überprüfen.“ Und Nachfragen, ob Entscheidungen von heute, sich später nicht doch auch als „fundamentale politische Irrtümer“ erweisen, hat Kretschmann in der ARD ohnehin nicht zu fürchten.

Die ARD zeigt „Jagd auf Verfassungsfeinde – Der Radikalenerlass und seine Opfer“ am Montag, 17. Januar, ab 23.35 Uhr. Die Dokumentation hat eine Spieldauer von 45 Minuten.

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