Tichys Einblick
Moralrausch

Ein Konzert untermauert den Status des Gutseins

Deutschland ist im Krieg gegen die Ukraine Russlands wichtigster Partner. Umso lauter müssen die Deutschen ihre Solidarität mit dem überfallenen Land bekunden – so wie in Berlin beim "Sound of Peace"-Konzert.

IMAGO/Future Image

Die größte bundesrepublikanische Demo feiert in diesem Jahr ihren 40. Geburtstag: Am 10. Juni 1982 versammelten sich rund 500 000 Menschen in Bonn, um gegen den Natogipfel zu demonstrieren. Musik und gute Gesten gab es auch damals schon: Joseph Beuys textete „Sonne statt Reagan“ und BAP spielten als Hauptakt. Später schrieb Wolfgang Niedecken über diesen Tag den Song „Zehnter Juni“: „Plant mich bloß net bei Euch enn / seit ich Euch durchschaut han, weiß ich, dass ich net auf dem allerfalschsten Dampfer bin.“

Die Friedensbewegung hatte eine enorme Zugkraft. Ihr Ideenreichtum war groß. Von einer Menschenkette durchs ganze Land sei er selbst beeindruckt gewesen, verriet Helmut Kohl später in einem Interview. Doch unberührt davon setzte er die Aufrüstungspolitik der Nato um, die letztlich zum wirtschaftlichen und in dessen Konsequenz auch zum politischen Zusammenbruch der UdSSR führte. Nicht Beuys und Niedecken beendeten den Kalten Krieg, sondern Kohl und der von Deutschen so gern verschmähte Ronald Reagan.

Es folgte eine Ära des Friedens in Europa, die in diesem Februar zuende ging – mit der Invasion Russlands in der Ukraine. Der Schock war groß. Vor allem in Deutschland. Zum einen wurden die Deutschen von ihren Medienschaffenden nur ungenügend auf die Situation vorbereitet: Putins Aggressivität gegenüber der Ukraine sowie Deutschlands Abhängigkeit von ihm, waren nichts für Hauptnachrichten und Talkshows, die überließ man lieber Karl Lauterbach, während die Menschen in den USA zum Beispiel ein deutlich klareres Bild von der Situation in Europa gezeichnet bekamen.

Trotzdem waren die Informationen zur Abhängigkeit Russlands da: Das Statistische Bundesamt höchstselbst berichtete noch an diesem 24. Februar, dass Deuschland 2021 Waren im Wert von 33,1 Milliarden Euro aus Russland importiert hat. Zu 60 Prozent waren das Öl und Gas. Hinzu kommen Kohle und andere Rohstoffe – etwa für den Bau von Anlagen zur Stromnutzung erneuerbarer Energien. Gegenüber Russland hat der Exportweltmeister ein Handelsdefizit von 6,5 Milliarden Euro.

Apropos Weltmeister: Moralweltmeister ist Deutschland ja auch. Schließlich stellte das Land 16 Jahre lang die „Führerin der Freien Welt“. Doch verträgt sich das schlecht miteinander – die Rolle als Moralweltmeister und die als wichtigster Kunde Russlands. Nun betreiben in Kriegen fraglos alle beteiligten Parteien Propaganda. Aber man muss direkt von Russland bezahlt werden, sein gesamtes Barvermögen in Wodka umgesetzt haben oder Mitglied der Linken beziehungsweise der AfD sein, um im Beschuss von Wohnhäusern mit Raketen eine Friedensmission zu sehen.

Deutschland hat reagiert. Vor allem verbal. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) versprach Waffen für die Ukraine. Olaf Scholz versprach wirtschaftliche Sanktionen, die Putin in die Kniee zwingen würden. Gut, die Nörgler schauen jetzt auf die Realität: Manche Waffen seien gar nicht geliefert worden, andere nicht in den versprochenen Mengen. Deutschland bremse, wo es nur kann, wirtschaftliche Sanktionen aus. Und Deutschland ist immer noch Russlands wichtigster Kunde. Aber die Realität darf den Blick auf das Zeichen nicht verdecken, welches das Land zu setzen bereit ist.

Und mit Zeichen, die nicht durch die Realität getrübt werden dürfen, ist die (zugegeben) lange Brücke zu dem Open-Air-Konzert „Sound of Peace“ in Berlin auch schon geschlagen. Dort war alles vertreten, was mediale Aufmerksamkeit atmet: die Faltenrocker Peter Maffay und Marius Müller-Westernhagen oder die Radio-Stammgäste Mark Forster, Sarah Connor und Silbermond. Live vor Ort waren laut Polizei 15.000 Zuschauer – drei Prozent von dem, was Westdeutschland im Sommer 1982 mobilisierte. Immerhin 700.000 Zuschauer sahen sich das Konzert auf Sat1 an, 400.000 auf Pro 7 setzten von der Couch aus ein Zeichen für den Frieden. Eine ZDF-Reportage zum Preisschock, den der Krieg ausgelöst hat, kam alleine auf mehr als doppelt so viele Zuschauer.

Der geneigte Zuschauer kann sich durch ein solches Konzert in einen Moralrausch versetzen: Friedensfahnen werden hochgehalten. Stimmen überschlagen sich bei Friedensbotschaften. Weiße Fahnen werden hochgehalten, auch blau-gelbe. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird zugeschaltet. Natalia Klitschko, First Lady der Stadt Kiew, ist live da. Und weitere Stimmen überschlagen sich bei Friedensbotschaften. Die Wirkung ähnelt der des Alkohols: Die Probleme bleiben, aber solange man besoffen ist, vergisst man sie.

Doch genau wie beim Alkohol drängen sich die Probleme auch ins Moralsaufen rein. Es herrscht immer noch Corona und da macht es sich nicht gut, wenn Menschen ohne Masken zusammenkommen. Wohlgesinnte Redaktionen wie das ZDF-Twitterteam zeigen denn auch nur Gäste mit Maske. Das andere, das böse Internet kennt auch welche von maskenlosen Gästen – aber das ist das Internet der „rechten Hetze“, dem darf man eh nicht glauben. Und so erklären viele Redner denn auch, dass das die Demonstration der Guten sei, während es ja in letzter Zeit die Demonstrationen der Falschen gegeben habe. Das Virus selbst hält keine Rede. Wäre spannend zu erfahren, ob es bei Versammlungen diesen Unterschied auch macht.

Nun mag man sich fragen, warum bei einer Demonstration gegen Russlands Krieg die Schelte gegen Rechts überhaupt notwendig ist. Gehört doch ausgerechnet die Partei namens „Die Linke“ zu den größten Freunden Putins in Deutschland. Doch für die Veranstalter, ein Bündnis von Kulturschaffenden, ergibt das auf jeden Fall Sinn. So wird ihre metaphorische Mühle oft genug von dem Geldfluss angetrieben, der im „Kampf gegen Rechts“ fließt.

Gianni Jovanovic etwa. Er ist Sinti, nach eigenem Bekunden homosexuell und Opfer im Hauptberuf. Als Comedian sei er schon aufgetreten, etwa in der Stadtgesichter Bar Celona in Jülich. In Seminaren leitet er laut eigener Internetseite Sinti an, wie sie aus ihrer Geburt einen politischen Status machen. Oder Jovanovic nimmt an Fotoprojekten teil. Oder schreibt ein Buch über sein Leben. Ein anderer schreibt dann ein Buch über den Mann, der ein Buch über sein Leben schreibt. Deutscher Kulturbetrieb halt.

Nun fließt das Geld reichlich in diesem deutschen Kulturbetrieb, vor allem das staatliche, und alle könnten satt sein. Aber was ein hauptberufliches Opfer ist, das muss den Willen zur Wut haben. Jovanovic zeigt ihn in Berlin: „Wenn wir anfangen den heteronormativen weißen Cis in den Arsch zu f….n, erst dann haben wir es geschafft, die Machtdynamik umzudrehen.“ Was das heißt? Was er erreichen will? Schwierig. Aber falsch als Antwort ist „Mehr staatliches Geld für den Kulturbetrieb“ nie so ganz.

A propos. Spenden sammeln war der eigentliche Zweck des Konzerts. Über 12 Millionen Euro sind laut Pro Sieben zusammengekommen. Der Verein selbst berichtet auf seiner Internetseite von 2,5 Millionen Euro. Fließen soll das Geld „an verschiedene gemeinnützige Organisationen“, wie es auf der Internetseite heißt. Reine Spekulation, aber nicht ganz abwegig: Die ein oder andere dieser Organsationen wird vielleicht auch wieder Jovanovic verpflichten, sodass die gute Tat ein Kreis ist.

Was die Ukraine nun von alledem hat? Nun: ein Zeichen halt. Russlands Kunde bleiben wir. Es sei denn, wir werden Kunden bei orientalischen Despoten wie dem von Katar. Was blöd wäre, da dann einige Solidarkonzerte gegen die Weltmeisterschaft ausfallen müssten. Wobei mit dem Ausblenden der Realität hat der deutsche Kulturschaffende noch nie ein Problem gehabt, wenn es um Geld oder Aufmerksamkeit ging. Oder wie es Marius Müller-Westernhagen so schön formuliert hat: „Glaubs Du an den Lieben Gott oder an Guevara? Ich glaube an die Deutsche Bank, denn die zahlt aus in bar.“

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