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dpa will Änderung – künftig: „die umstrittene Annalena Baerbock“

Im deutschsprachigen Journalismus ist die Formulierung „umstritten“ sehr häufig, wenn auch selbst seit langem in der Kritik. „Umstritten“ hat klar einen negativen Beigeschmack, es erzeugt ein „Framing“, welches den Eindruck erweckt, hier stimme irgend etwas nicht.

IMAGO

Hamburg (ATN). Deutschsprachige Nachrichtenagenturen und einige Medienhäuser wollen ihre Sprachregelung im Wahlkampf ändern. „Künftig werden wir die Kanzlerkandidatin der Grünen regelhaft als die „umstrittene Annalena Baerbock bezeichnen“, so heißt es in einer Erklärung, die die Agenturen AFP, APA, dpa, epd, Keystone-SDA, KNA, Reuters und SID veröffentlicht haben. „Wir reagieren damit auf die Entwicklung der letzten Wochen, in denen nach dem medialen Hype im Anschluss an die Nominierung Baerbocks viel Kritik an ihrem Lebenslauf, ihren verschwiegenen Nebenverdiensten und den Plagiaten in ihrem Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ aufgekommen waren“. Man könne nicht immer nur nach Kritik von Bürgerinitiativen, NGOs oder Aktivistengruppen aus dem grünlinken Meinungsspektrum ungeliebte Personen oder Vorhaben von Institutionen als „umstritten“ bezeichnen. „Da werden wir künftig sprachlich sensibler sein“, erklärten die Agenturen, die kürzlich mit Vorschlägen zu „diskriminierungssensibleren Formulierungen in Genderfragen“ Aufmerksamkeit erregt hatten.

Im deutschsprachigen Journalismus ist die Formulierung „umstritten“ sehr häufig, wenn auch selbst seit langem in der Kritik. „Umstritten“ hat klar einen negativen Beigeschmack, es erzeugt ein „Framing“, welches den Eindruck erweckt, hier stimme irgend etwas nicht. Und dabei wertet „umstritten“ von vornherein, ohne zu erklären, worum es eigentlich geht. „Uns ist die Diskussion um die Verwendung des Begriffs „umstritten“ bewußt“, so die Agenturen, „aber da unsere Kunden und deren Journalist:innen den Begriff nun einmal häufig verwenden, wollen wir einen Ordnungsrahmen vorgeben“. Dazu werde man eine „controversial-task-force“ einrichten, die monatlich die Aufnahme neuer Personen prüft, die bislang nicht regelhaft als „umstritten“ bezeichnet wurden, es aber durchaus sind. Ganz oben auf der Liste stehen dem Vernehmen nach Bundespräsident Steinmeier, EKD-Präsident Bedford-Strohm und Grünen-Urgestein Claudia Roth.

Die Grünen protestierten umgehend scharf gegen die Entscheidung der Agenturen und sprachen von erneutem versuchten „Rufmord“. “Sie setzen die Dreckskampagne fort“ so MdB Jürgen Trittin. Der beste Beleg dafür, dass Annalena Baerbock überhaupt nicht „umstritten“ sei, ergebe sich aus ihrem Wikipedia-Eintrag. Dort finde sich – im Gegensatz zu vielen anderen Politikern – nicht die geringste Kritik an ihr oder ihren Positionen. Dazu erklärten die Agenturen, es entspreche ihrer Auffassung von Pressefreiheit, sich nicht von „Wikipedia-Blog-Warten“ beeinflussen zu lassen.

Trotz ihrem Bestreben nach mehr diskriminierungssensibleren Formulierungen bleiben die Agenturen in einem anderen Fall zurückhaltend. „Der Forderung vieler Medien aus dem LGBTQ-Spektrum, in unseren Agenturberichten statt der binären Geschlechtszuschreibung „Frau“ künftig „menstruierende Person“ zu verwenden, werden wir derzeit nicht folgen“. Das würde nur Beifall bzw. Häme von der falschen Seite auslösen und sei für das Anliegen der queeren-communities kontraproduktiv. Allerdings bleibe es gendergeneigten Moderatoren in TV und Radio wie Anne Will oder Claus-Kleber freigestellt, künftig statt „Guten Abend, Frau Baerbock“ künftig „Guten Abend, menstruierende Person Baerbock“ zu sagen.


Claudia Pritt

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