Tichys Einblick
Corona als Chance – Achtung Glosse

Über journalistische Trends und Moden in Corona-Zeiten

TE-Autor Mario Thurnes vermisst die Zeit, in der launige Mutmacher-Beiträge in Mode waren. Nicht nur Frisuren und Kleidung unterliegen Moden. Auch im Journalismus kommen und gehen Trends. So gab es 2020 für Texte die eigene Rubrik „Corona ist eine Chance“. An die wagt sich heute keiner mehr. Schade eigentlich.

Symbolbild

imago images / Westend61

Kriege bringen merkwürdige Moden mit sich: So galten Grübchen bis in die 1950er Jahre als chic. Nun wachsen die nicht jedem. Aber im Maschinen-Zeitalter wollte der Mensch so etwas Wichtiges wie Aussehen nicht mehr der Natur überlassen – oder Gott. So erfand jemand eine Pistole, mit der sich mensch die Grübchen selbst schießen konnte. Die 50er waren schon gleichgestellt genug, dass sämtliche 42 bekannten Geschlechter sich die Grübchen spritzen durften – aber nicht gleichgestellt genug, dass eines der anderen 41 Geschlechter als Frauen darauf zurückgegriffen hätte.

Auch der Journalismus kennt seine Moden. Im Jahr 2015 kamen gleich drei Trends in Mode, die sich auf komische Weise ergänzten. Komisch? Sorry, kosmisch muss es heißen. Also zum einen verloren wahnsinnig viele Menschen Geldbeutel mit wahnsinnig viel Bargeld drin. Zum anderen wurden nahezu all diese Geldbeutel von Flüchtlingen gefunden. Wer jetzt protestieren will, möge nachsichtig sein. Auch politische Begriffe unterliegen Moden. Gerade politische Begriffe. Und 2015 war „Flüchtling“ noch modern, 2016 dann offener Rassismus.

All diese ehemals Flüchtlinge, jetzt Schutzsuchende, gaben diese Geldbeutel auch zurück. Ordnungsgemäß. Deutsch. Der erste Journalist, der darüber berichtete, war Claas Relotius. Ein preisgekrönter und hochgeschätzter Journalist. Preisgekrönt ist er immer noch. Die Komitees zur Suche des wahren Journalismus haben zwischenzeitlich ihre Entscheidung nicht revidiert. Aber hochgeschätzt ist Relotius nicht mehr. Auch Ansehen unterliegt Moden. Und vielleicht ist das der Grund, warum heute keiner mehr Relotius‘ Geschichte vom Geldbeutel erzählen will, der vom Schutzsuchenden gefunden wird.

Fast übergangslos abgelöst wurden die Relotius-Geschichten durch Besinnungs-Aufsätze über die Vorteile einer Pandemie. Kaum ein wichtiger Medientitel, der nicht mit „Warum Corona eine Chance ist“ getitelt hätte. Oder so ähnlich. Aufräumen, abnehmen, schweigen, Gespräche führen, meditieren, Brettspiele auspacken, über den Sinn des Lebens nachdenken, den Körper entschlacken oder das Leben entschleunigen. Für all das war Corona gut. 2020. 2022 will das irgendwie keiner mehr schreiben. Warum jemand das auch alles nicht einfach so machen kann und dafür die Nötigung der anderen braucht, stand übrigens in keinem dieser Artikel. Das Hinterfragen war während der Pandemie nie in Mode.

Nicht nur Kriege bringen Trends mit sich. Auch der Krieg gegen ein Virus und seine buchstabenreiche Mutationen tut dies. Zudem beschleunigen Kriege das Kommen und Gehen der Trends. Etwa bei Sprachregelungen: Stoffmasken helfen nicht wirklich und verleihen so eine trügerische Sicherheit. Stoffmasken helfen, die Pandemie einzudämmen – es rettet Leben, sie zu tragen. Stoffmasken reichen nicht aus, medizinische Masken braucht es, um Leben zu retten. Medizinische Masken sind nicht ausreichend, es braucht FFP2-Masken. All diese Positionen hat das Robert-Koch-Institut aufgetragen – und seine Meinung dabei häufiger gewechselt, als die Sängerin Pink ihre Frisur.

Wobei Sprachregelungen zwar außer Mode kommen können, aber das heißt noch lange nicht, dass man sie wegwerfen sollte. Denn manchmal kommt Mode zurück: „Nur noch vier Wochen“ oder „Wir dürfen jetzt unsere Erfolge nicht gefährden“, waren schon aus den Charts rausgefallen. Sind aber zäher und häufiger zurückgekehrt als „Last Christmas“. Die nächsten sechs Monate, in denen „nur noch vier Wochen“ in sein dürfte, sind bereits angebrochen.

Das Robert-Koch-Institut weist übrigens zurück, dass seine Position zu Atemschutz etwas mit Moden zu tun hätte. Oder damit, was gerade vorhanden oder nicht vorhanden ist. Wer das hinterfragt, ist nicht nur nicht in. Er ist auch noch ein Covidileugimpfgegner. Kurz: Nazi. Wenigstens dieser Vorwurf kommt in Deutschland seit Jahren nicht mehr aus der Mode.

Anzeige