Die höchst nachhaltigsten Skandale, die uns in den Medien präsentiert werden, sind nicht etwa die der Gier in Wirtschaft und Politik, sondern dienen der Moral und der moralischen Empörung. Diese zelebrierte uns die einst ehrwürdige Zeitung „Die Zeit“, wo man selbst die schrillste Obszönität in den Greisentonfall von Würdenträgern zu verwandeln versteht.
Damals zur Hochzeit seines Ruhms will niemand etwas bemerkt haben, dabei machte er als Womanizer immer ganz deutliche und auch sehr anzügliche Sprüche. Auch die Tatsache, dass viele der Models und Sternchen zu ihm drängten und sich gerne gebrauchen ließen für ihr erhofftes, besseres Fortkommen, verblasst natürlich ganz, angesichts der Untaten und Flüche, die dem mächtigen Kraftprotz jetzt ins Gesicht geschleudert werden. Er wurde darob spontan krank und zog sich in eine Klinik zurück, wo er das Ende der Hexenjagd, wie er sagte, zu überstehen hofft. Das ist natürlich enttäuschend, wo nicht sogar unmännlich, denn zu Wedel mag alles passen: das Geniale, der Teufelskerl, der Verbrecher, nur den Unschuldsengel, den sollte er uns ersparen. Das verdient Empörung.
Die alte Devise: man muss den Weibern imponieren, dann kriegt man sie schon zu allem möglicher herum, war doch gar nie zu überhören. Und wer damals noch lesen konnte, las es zwischen den Zeilen, wie er sich selbst rühmte als Zuchtmeister und Dompteur der süßen Filmsternchen. Das veranlasste damals niemand zu Empörung.
Die Zeitenwende spaltet auch des Pudels Kern
Auch Picasso, auch Brecht mein Gott, wie rücksichtslos verfuhr der politische Moralist B.B. Nicht schon mit seinen Frauen? Aber was noch viel schwerer wiegt, was geschieht mit unserer Hochkunst? Vielleicht wird man nochmal vor einer neuen Bücherverbrennung zurückschrecken und zu einem Kompromiss zurückfinden, der besagt : auch die reinsten, schönsten Werke der Kunst wurden oft schon durch schweinische Naturen zur Welt gebracht. Aber dafür muss noch eine lange Zeit vergehen, ist zu fürchten, denn jetzt sind erst mal wieder die züchtigen Frauen dran, die allen Männern neue mores lehren, wie sie das in dem heute rückblickend schier drollig erscheinenden Sexskandal mit dem frivolen Herrn Brüderle schon begonnen haben. Dabei hatte der Brüderle doch nur einen Alt-Herrenwitz über ein prall gefülltes Dirndl reißen wollen. Sicher geschmacklos und wie verstaubt aus alter Zeit, aber doch harmlos.
Dennoch traten damals neben der gerechten Tadlerin Alice Schwarzer sogar ein Literaturkritiker wie Karasek und ein Chefredakteur auf, um ihren hoch-ethischen Ekel in feuilletonistisches Glanzpapier zu packen.
Was soll uns der neue Tugendwahn wohl verbergen?
Wim Setzer ist Kunstkritiker und Journalist.