Tichys Einblick
Wenn Kemmerich noch Ministerpräsident wäre

Eine ungehaltene Regierungserklärung für Thüringen

Thomas Kemmerich ist Geschichte, die FDP demnächst auch. Hätte er durchgehalten, würde er bald vor dem Landtag eine Regierungserklärung abgeben. Wie könnte die aussehen? Vorschlag für eine Rede, die leider nicht gehalten wird – die man aber gerne gehört hätte.

Liebe Landsleute, dass ich hier stehe, ist eine Überraschung – auch für mich. Es ist ja offensichtlich, dass niemand – mich eingeschlossen – vor der Landtagswahl und auch kurz danach damit gerechnet hatte.

Das Unerwartete ist nicht automatisch schlecht. Wer es jetzt so darstellt, tut das aus egoistischen Interessen. Viele Reaktionen auf meine Wahl sind verstörend oder unehrlich oder beides.Deshalb möchte ich am Anfang die Kritik widerlegen: formal, parteipolitisch, inhaltlich, demokratietheoretisch und auch persönlich.

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Formal ist es am einfachsten: Die Wahl ist rechtlich einwandfrei. Nirgendwo steht geschrieben, dass der Ministerpräsident aus einer großen Fraktion kommen muss. Tatsächlich müsste er nach unserer Verfassung noch nicht einmal Mitglied des Landtags sein.

Das mag vielen in der mehrfach umbenannten SED nicht einleuchten – oder auch manch einem im Freistaat Bayern, wo der Regierungschef seit 1957 ununterbrochen immer nur aus einer Partei kommt. Hier im demokratischen Osten wissen wir aber nur zu gut, dass Demokratie von nichts so sehr lebt wie vom Wechsel.

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Parteipolitisch ist die Kritik unehrlich: Mir wird vorgeworfen, dass ich offenkundig Stimmen der AfD für meine Wahl bekommen habe. Ich komme gleich noch dazu, wie kurzsichtig diese Kritik inhaltlich ist. Taktisch ist sie absurd: Wenn Sie auf keinen Fall einen Ministerpräsidenten wollen, der Stimmen von der AfD bekommt – dann könnte die AfD jeden Ministerpräsidenten einfach dadurch verhindern, dass sie ihn mitwählt.

Die Union nach Merkel
Wie Merkel die Union in die Sackgasse getrieben hat
Was würde denn Bodo Ramelow machen, wenn er bei einer Wahl erkennbar AfD-Stimmen bekommt? Würde er die Wahl nicht annehmen? Und wenn die AfD ihn einfach in jedem Wahlgang weiter mitwählt – würden wir dann den Landtag auflösen?

Das Konzept, Entscheidungen nur dann zu akzeptieren, wenn die AfD NICHT dafür ist – dieses Konzept hat, vorsichtig formuliert, logische Schwächen. Klarer gesagt: Es ist großer Quatsch.

Bei allem gebotenen Respekt darf ich hier meine Überzeugung äußern, dass die Kritik von der SED/PDS/Linkspartei, von der SPD und von den Grünen in Wahrheit strategische und rein machtpolitische Gründe hat. Ihre Erzählung ist ja, die AfD sei Nazi, und deswegen dürften deren Stimmen nie und nirgends berücksichtigt werden. Abgesehen vom erbärmlichen Demokratieverständnis, das sich hier abbildet – und auf das ich noch zurückkomme – sichert diese Erzählung (wenn man sich darauf einlässt) vor allem eines: die linke Macht.

Wenn nämlich die AfD ein Viertel der Stimmen auf sich vereinigt, hat der linke Teil dieses Parlaments bei dem, was übrigbleibt, fast zwangsläufig eine Mehrheit. Sie haben dann sogar ein Interesse daran, dass möglichst viele bürgerliche Wähler zur AfD getrieben werden: Denn dann wird der Rest des bürgerlichen Lagers immer kleiner. So würde quasi auf ewig eine linke Regierung zementiert.

Das ist ein perfides Spiel. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich es nicht mitspiele.

Die nur noch wenigen Abgeordneten der SPD möchte ich bei der Gelegenheit kurz daran erinnern, dass Sie hier spiegelverkehrt ein Narrativ vertreten, mit dem die CDU in Berlin viele Jahre erfolgreich versucht hat, Sie vom Amt des Regierenden Bürgermeisters fernzuhalten. Damals hieß es – übrigens völlig zurecht – niemand dürfe gemeinsame Sache mit der SED/PDS machen.

Es war Klaus Wowereit, der die machtpolitische Falle in diesem Narrativ erkannte. Er brach das Tabu und ließ sich von den SED-Erben zum Regierenden Bürgermeister wählen. Gerade Sozialdemokraten sollten also womöglich etwas zurückhaltender sein, wenn sie sich irgendwo über einen angeblichen Tabubruch aufregen.

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Inhaltlich ist die Kritik an meiner Wahl doppelzüngig: Denn die SED/PDS/Linke ist nicht besser als die AfD.

(Hier hätte das Landtagsprotokoll „Tumulte bei Linkspartei, SPD und Grünen“ vermerkt.)

Auch wenn man es auf der linken Seite dieses Parlaments nicht gerne hört: Die SED hat versucht, durch mehrfache Namensänderung die eigenen Spuren zu verwischen, die Bürger zu täuschen und ansonsten auf das schlechte Gedächtnis der Wähler zu zählen.

Sie sind aber keine andere und erst recht keine neue Partei. Sie sind ziemlich unverändert die SED. Das glauben Sie nicht? Nun denn: Minister im letzten Kabinett von Bodo Ramelow waren zum Beispiel:

  • bis 2017 Birgit Klaubert – Mitglied der SED seit 1974
  • danach Helmut Holter – Mitglied der SED seit 1973
  • dann Birgit Keller – Mitglied der SED seit 1977
  • oder auch Heike Werner – Mitglied der SED seit 1988 und 1989 Gründungsmitglied der marxistischen Vereinigung „Junge Linke“.

Sie haben immer noch weitgehend dieselbe Organisation, dieselben Funktionäre, dieselben Mitglieder. Sie arbeiten bis heute mit demselben Parteivermögen, das Sie den Menschen in der DDR einst geraubt haben.

Das Wichtigste aber ist: Sie vertreten bis heute weitgehend dieselbe Ideologie – die Ideologie einer Partei, die für ein ruiniertes Land, für Mauer und Stacheldraht sowie für ein weltweit einzigartiges Bespitzelungssystem verantwortlich war und die auf ihre eigenen Bürger schießen ließ.

Für die AfD, gerade auch hier in Thüringen, habe ich keinerlei Sympathien. Aber Sie, meine Damen und Herren von der SED/PDS/Linken, sind keinen Deut besser.

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Demokratietheoretisch sind die Reaktionen auf meine Wahl eine Katastrophe. 

Bei den vergangenen Landtagswahlen wurde die rot-rot-grüne Landesregierung abgewählt. Die alte Koalition von Bodo Ramelow hat trotz dessen unbestrittener persönlicher Popularität keine Wählermehrheit mehr.

Keine Konsistenz
Die Frage, die Angela Merkel nie stellen wird
Die Wähler haben auch verhindert, dass CDU und FDP eine gemäßigte bürgerliche Koalition bilden können. Es muss also zu einer Minderheitsregierung kommen, die immer auf Stimmen entweder der extremen Rechten oder der extremen Linken angewiesen ist. So haben die Wähler entschieden. Jetzt ist es unsere Pflicht, das zu respektieren. Das heißt auch: Eine Ausgrenzung einer der beiden extremen Parteien zugunsten der anderen verbietet sich.

Es mag bei selbstherrlichen Machtpolitikern aus der Mode gekommen sein – dennoch möchte ich mir erlauben, die Abgeordneten daran zu erinnern, welche Rolle unsere Verfassung für uns vorsieht. Artikel 53, Absatz 1, lautet: „Die Abgeordneten sind Vertreter aller Bürger des Landes.“

Dort steht: ALLER BÜRGER. Dort steht nicht: nur der Bürger ihres Wahlkreises. Dort steht auch nicht: nur der Bürger, die sie gewählt haben. Und dort steht nicht: nur der Bürger einer Partei. Unser Verfassungsauftrag ist, ALLE Bürger Thüringens zu vertreten – auch die, die AfD gewählt haben.

Deshalb habe ich hier kandidiert. Dass ich nur erfolgreich sein könnte, wenn FDP, CDU und AfD für mich stimmen, war im Voraus klar. Anders als die meisten Abgeordneten hier komme ich aus der freien Wirtschaft und führe mein eigenes, erfolgreiches Unternehmen. Glauben Sie mir also ruhig: Ich kann rechnen – und ich habe eine Vorstellung vom Begriff „Pflicht“.

Es ist unsere Pflicht, uns nicht wegzuducken vor der Verantwortung für unser Land und seine Bürger. Es ist unsere Pflicht, die Interessen der Wähler der AfD mit zu vertreten – ob uns das nun passt oder nicht.

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Interessanterweise wird die Kritik an meiner Wahl umso lauter, je weiter die Kritiker von der verfassungsmäßigen Pflicht eines Thüringer Landtagsabgeordneten entfernt sind.

Aus Angola meldet sich die Frau Bundeskanzlerin und erklärt, meine Wahl sei, Zitat: „unverzeihlich“. Mein Respekt vor dem Verfassungsorgan verbietet es mir, allzu deutlich darauf zu antworten. Ich erlaube mir nur den Hinweis, dass es hier in Thüringen nicht mehr so ist wie früher, als die die alten Blockparteien den Führungsanspruch der SED zu akzeptieren hatten.

Die Zeiten, da eine Staatsratsvorsitzende das Ergebnis zur Wahl eines Bezirkssekretärs dekretiert, sind vorbei.

In dem Zusammenhang möchte ich mich ausdrücklich bei den Damen und Herren Abgeordneten aus Landtagsfraktion und Partei der CDU hier in Erfurt bedanken. Sie haben den tatsächlich empörend demokratievergessenen Einflussversuchen aus Berlin widerstanden und dafür teilweise persönliche Opfer gebracht – wie Christian Hirte, der inzwischen entlassende Beauftragte der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer.

Rückgrat ist normalerweise kein politischer Körperteil. Ich danke Ihnen für den aufrechten Gang.

Aus München meldet sich der Herr Ministerpräsident Söder und erklärt, meine Wahl sei, Zitat: „ein inakzeptabler Dammbruch“. Mein Respekt vor dem bayerischen Amtskollegen verbietet es mir auch hier, allzu deutlich darauf zu antworten. Ich erlaube mir nur den Hinweis, dass meine Verantwortung dem Freistaat Thüringen gilt und nicht dem Freistaat Bayern.

Leider kann ich mich nicht nach den bundespolitischen Karriereambitionen des CSU-Parteivorsitzenden richten.

Und ja: Auch in meiner eigenen Partei FDP gibt es laute Kritiker. Die bekannten Staatsfrauen und -männer Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger oder Gerhart Rudolf Baum haben sich in gewohnter Weise zu Wort gemeldet.

Das habe ich zu akzeptieren – so wie die Genannten zu akzeptieren haben, dass ihre Kritik nichts zur Lösung der Probleme in Thüringen beiträgt. „Erst das Land, dann die Partei“ war eines der wichtigsten Prinzipien von Hans-Dietrich Genscher. Zuallererst bin ich den Bürgern von Thüringen verpflichtet. Es ist bedauerlich, wenn einige in meiner Partei das nicht verstehen.

Ich will nicht verhehlen, dass mit den Ereignissen hier auch die FDP insgesamt vor einer wichtigen Entscheidung steht: Will sie Teil des unter grüner Hegemonie leidenden hippen Mainstreams bleiben (der übrigens in Wahrheit keineswegs in der Mehrheit ist, weder in Thüringen noch bundesweit)? Oder will sie ernsthaft um alle marktwirtschaftlich Überzeugten im bürgerlichen Lager kämpfen?

Die Antwort entscheidet sich an der Frage, ob die FDP weiterhin „bürgerlich“ nur mit „bourgeois“ übersetzen will.

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Persönlich sind die Reaktionen auf meine Wahl beunruhigend: Es gibt massenweise Drohungen gegen meine Frau und meine Kinder. Vor meinem Privathaus wird Tag und Nacht demonstriert – teilweise mit Fackeln, es fehlen jetzt nur noch die Mistgabeln. Es gibt Boykottaufrufe gegen meine Friseurläden. Meine Kinder müssen unter Polizeischutz zur Schule.

Das sind, mit Verlaub, faschistoide Methoden. So hat die SA politische Gegner behandelt. Wer auf der linken Seite dieses Parlaments so etwas unterstützt oder auch nur billigend in Kauf nimmt, tut selbst genau das, was er der rechten Seite vorwirft. Das ist Heuchelei.

Wir werden das nicht vergessen.

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Dass die Wahl zum Ministerpräsidenten nun auf mich gefallen ist – ein Mitglied der kleinsten Fraktion im Landtag – ist in Wahrheit eine Chance.

CDU in der Abwärtsspirale
Wie die Merkel-Union die AfD durch Ausgrenzung bekämpft - und scheitert
Dieser Landtag wird ab jetzt Mehrheiten von Fall zu Fall organisieren müssen. Wir in der FDP wissen nur allzu gut – und würdigen es mit Demut – dass wir die Fünf-Prozent-Hürde nur gerade so übersprungen haben. Dementsprechend sind wir ständig gesprächsbereit und können in den Diskussionen mit den größeren Parteien auch leichter Kompromisse vermitteln.

Diese Rolle entspricht zudem sowohl meinem persönlichen Naturell als auch meiner persönlichen Lebenserfahrung als Unternehmer, der erst spät in die Politik gegangen ist.

In Wahrheit ist das hier kein unverzeihlicher Dammbruch. In Wahrheit ist das hier die größte Chance, die unser Freistaat seit langem hatte.

Ab sofort werde ich daher auf alle Fraktionen im Landtag zugehen, um Projekte zu vereinbaren, auf die wir uns zumindest mehrheitlich zum Wohle Thüringens einigen können. Ich werde allen Fraktionen anbieten, Minister in mein Kabinett zu entsenden. Wir sollten uns nun gemeinsam um die besten Köpfe Thüringens bemühen – ganz gleich, welcher Partei sie angehören.

Wir starten hier ein Experiment, das es zwar so in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat – das aber in anderen Ländern, zum Beispiel in Skandinavien, immer wieder gut funktioniert.

Sorgen wir dafür, dass es auch bei uns funktioniert.

Lang lebe Thüringen.

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