Tichys Einblick
Die erfundene Maria

Die Lügen, „Der Spiegel“ und die Glaubwürdigkeit der Medien

Deutschlands Medienwirklichkeit 2018: Claas Relotius gewann mehrfach den Deutschen Reporterpreis und der Spiegel gilt als das glaubwürdigste Medium des Landes. Die Branche ehrt die Branche. Vier Jahre später zeigt der Fall Maria erneut, wie leicht Lügen den Weg in den "Spiegel" finden.

Verlagsgebäude des "Spiegel" in Hamburg

Der Spiegel ist das glaubwürdigste deutsche Medium im Internet. Das geht aus einer Untersuchung des „Center für Monitoring, Analyse und Strategie“ hervor. Bekannt ist das Center für Monitoring, Analyse und Strategie vor allem dafür, dass es die Glaubwürdigkeit der Medien untersucht. Die letzte Untersuchung hat das Center rund um die Feiertage veröffentlicht. Da herrscht grundsätzlich Nachrichtenflaute und die Kollegen freuen sich über neues Material – steht die Sonne tief, wirft ein Zwerg auch lange Schatten.

Das glaubwürdigste Medium in Deutschland ist nach dieser Weihnachtsgeschichte also der Spiegel. Die journalistische Heimat des vierfachen Gewinners des Deutschen Reporterpreises, Claas Relotius. Er schrieb die schönsten, informativsten und bewegensten Reportagen. Sie hatten nur drei Schönheitsfehler. Sie waren nicht wahr und noch schlimmer: Das ließ sich belegen und kam auch noch heraus. Der Spiegel musste seine glaubwürdigste Internetseite um ihre  unglaubwürdigsten Geschichten bereinigen.

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Das war 2018. Kurz vor Weihnachten. Die meisten Kollegen sprangen dem Spiegel bei: Relotius sei ein Einzelfall, kommentierten die Chef-Kommentatoren. Vier Reporterpreise, zig nachweislich falsche Geschichten – einige davon hanebüchen – aber alles ein Einzelfall namens Relotius. Der Spiegel inszenierte eine eigene Aufklärung, sprach von mangelnder Sorgfalt und dass die eigentlich unüberwindlichen Qualitätskontrollen überwunden worden seien, regelmäßig. Dass der Spiegel sie aber jetzt noch unüberwindlicher machen wolle, sodass ein Fall Relotius nie wieder vorkommen solle.

Nun erlebt der Spiegel den Fall „Maria“. Wieder ein Einzelfall. Zusammen mit Relotius ein Zweifelsfall.

Maria war ein syrisches Mädchen, das im August 2022 an der griechischen EU-Außengrenze ums Leben gekommen ist. So könnte das ein Journalist schreiben, wenn er sich seiner Sache sicher ist. Wenn er den Leichnam Marias gesehen hat oder ihre Todesurkunde oder ihre Papiere oder wenn eine Bestätigung der Behörden vorliegt. Hat ein Journalist die Geschichte über die unmenschlichen Grenzen nur von einer „Nicht Regierungs-Organisation“ (NGO) gehört, sollte er sich distanzieren. Zumindest sprachlich. Zumal dann, wenn die NGO ihre Spenden oder Zuschüsse erhält, weil sie sich gegen die vermeintliche Unmenschlichkeit von Grenzen engagiert. Der Journalist könnte dann immer noch über den Fall berichten. Aber er müsste es in etwa so formulieren: Maria soll ein syrisches Mädchen gewesen sein, das im August 2022 an der griechischen EU-Außengrenze ums Leben gekommen sei, wie die NGO berichtete. Der Leser erfährt so mehr: Zum einen die Quelle und zum anderen, dass die Geschichte noch nicht gesichert ist.

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Doch in diesem Stil hat der Spiegel eben nicht über Maria berichtet. Der Spiegel schrieb im Indikativ und in einer Detailfülle, die keinen Zweifel aufkommen lassen sollte, dass an der Geschichte keine Zweifel bestehen. Sie beruhte auf den Erzählungen von NGO und Menschen, die in die EU einreisen wollen. Also zwei Gruppen mit einem jeweils erkennbaren Eigeninteresse: PR beziehungsweise die Weiterreise in die EU. Gerade wenn solche Eigeninteressen erkennbar sind, sollte ein Journalist vorsichtiger agieren und nach weiteren, vor allem aber nach handfesteren Belegen suchen.

Die Geschichten über „Maria“ hat der Spiegel vom Netz genommen. In der Aufarbeitung des Einzelfalls kommt dem Haus zugute, dass es ein Zweifelsfall ist. Also gingen sie einfach wieder so vor wie bei Relotius: Der Spiegel inszenierte eine eigene Aufklärung, sprach von mangelnder Sorgfalt und dass die eigentlich unüberwindlichen Qualitätskontrollen überwunden worden seien. Dass der Spiegel sie aber jetzt noch unüberwindlicher machen wolle, sodass ein Fall Relotius – sorry Maria – nie wieder vorkommen solle.

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Nun passieren im Journalismus Fehler. Viele sind banal: Der Klassiker sind falsch geschriebene Namen oder Altersangaben. Zahlendreher kommen vor, Rechenfehler in der Auswertung von Statistiken, Tippfehler, falsche Zuschreibungen, schlampige Formulierungen, nachlässige Recherchen, unzulässige Wortwahl, weggelassene oder übersehene Informationen. Das alles sollte ein guter Journalist nicht zum Alltag werden lassen – passieren kann es aber auch den besten und aufrichtigsten mal.

Aber hinter dem Zweifelsfall Relotius und Maria steckt eine Systematik, die eben nichts mit unwillentlichen Fehlern zu tun hat – sondern mit einem willentlichen Vorgehen. Die Zweifelsfälle weisen Parallelen auf: Lügen sind im Spiegel veröffentlicht worden. Mehrfach. Sie haben die Kontrollmechanismen des Hauses überwunden. Und diese Lügen unterstützen alle die woke-grüne Ausrichtung des Hauses, des Spiegels. Es ist wie bei einem Schiedsrichter: Trifft der zwölf Fehlentscheidungen beim Spiel SC Paderborn gegen den HSV, dann hatte er einen richtig schlechten Tag. Profitiert von allen zwölf Fehlern der SC Paderborn, dann sollte sich die DFL und die Staatsanwaltschaft aber unbedingt auffällige Wettbewegungen ansehen.

Die Geschichten um „Maria“ haben alle eine klare Moral: Grenzen sind böse, Menschen werden dort gequält und getötet, wir sollten die Grenzen bedingungslos öffnen. Das entspricht der Einwanderungspolitik von Angela Merkel (CDU). Das entspricht der Linie des Spiegels, der die Kanzlerin in ihrer Politik der offenen Grenzen unterstützte. Und das entspricht dem Vorgehen von Claas Relotius.

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Die Geschichten des vierfachen Reporterpreisträgers erzählten auch gerne von der Unmenschlichkeit der Grenzen. Etwa der echten zwischen den USA und Mexiko. Oder von künstlichen Grenzen. Wie der in einem Städtchen in Minnesota, das eine Trump-Hochburg war. An dessen Stadtgrenze – hoch im Norden der USA – stand ein Schild, auf dem zu lesen war, Mexikaner seien hier unerwünscht. Das schrieb zumindest Relotius: Trump-Anhänger, die sich wie deutsche Nazis gebährden. Es war die perfekte Spiegel-Geschichte. Sie hatte lediglich den Makel, nicht wahr zu sein. Aber das störte beim Spiegel keinen – bis sich der Einzelfall nicht mehr leugnen ließ.

TE schreibt übrigens am Anfang dieses Textes: „Der Spiegel ist das glaubwürdigste deutsche Medium im Internet.“ Dem aufmerksamen Leser wird es aufgefallen sein: Richtig muss es natürlich heißen: „Der Spiegel sei das glaubwürdigste deutsche Medium im Internet“, meldet… Guter Journalismus hält Distanz. Auch und gerade dann, wenn die Quelle ein Institut mit einem pompösen Namen ist.

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