Tichys Einblick
Zwei interessante Himmelfahrtsbriefe

Conte und Salvini über Facebook

Matteo Salvini, der Innenminister und die „Reizfigur“ Europas, staunte nicht schlecht, als er einen offiziellen Brief von Premierminister Giuseppe Conte bekam - per Facebook.

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Am Ferragosto, dem eisernen und heißen 15. August, in Italien ein Feiertag, nämlich Mariä Himmelfahrt, reisen die Italiener umher und verbringen den Tag mit Freunden und ihrer Verwandtschaft am Meer. Man picknickt, geht schwimmen und schön essen.

Es wird natürlich, wie immer, auch viel diskutiert, über Politik und Fußball – beide bieten wieder mal viel Stoff dafür. Im Fußball dreht sich das Spieler- und Millionenkarussell, in der Politik wohl bald das Personalkarussell, Neuwahlen, ja oder nein, und wie umgehen mit den ständigen Migranten-Zustellern der NGO?

Matteo Salvini und Giuseppe Conte jedenfalls, der Vize und sein Premier also, verbrachten den Ferragosto an ihren Schreibtischen, Salvini sogar bei einem kleinen Meeting mit den Verantwortlichen der Sicherheitskräfte zum neuen Sicherheitsgesetz.

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Matteo Salvini, der Innenminister und die „Reizfigur“ Europas, staunte nicht schlecht, als er einen offiziellen Brief von Premierminister Giuseppe Conte bekam – per Facebook. Völlig normal, im Wissen, dass Facebook und Co. auch die Kommunikationskanäle Salvinis sind, so lässt dieser nämlich seine Unterstützer und Sympathisanten – und die Bürger – an seiner Politik und seinen Ideen teilhaben – und, Salvini lotet somit ständig das Echo in der Gesellschaft aus.

Jedenfalls eröffnete Giuseppe Conte, auch er genießt ein großes Standing bei den Italienern, den Briefwechsel, der auch alsbald die Runde machte in Italien: „Sehr geehrter Innenminister, lieber Matteo“, und der Ton bleibt zwar sachlich freundschaftlich, aber beinhaltet auch ein paar harte Angriffe oder Unterstellungen. Conte schreibt Salvini im „Du“ an.

Der Premier schreibt weiter: „Ich schreibe Dir diesen offenen Brief, weil der Fall des Open Arms-Schiffs jetzt die Titelseiten der Zeitungen dominiert und ich gezwungen bin zu bemerken, dass sogar über die offizielle Korrespondenz zwischen der Ratspräsidentschaft und dem Innenministerium, in den Zeitungen berichtet wird“, deshalb plädiere Conte gleich für Transparenz für alle Bürger.

Dann nimmt Conte auf interne Vorgänge Bezug und versucht sich zwar irgendwie diplomatisch zu bewegen, ohne aber mit Angriffen zu sparen.

»Ich habe Dir eine formelle Mitteilung geschrieben, mit der ich Dich, unter dem Hinweis auf verschiedene normative Verweisungen und der diesbezüglichen Rechtsprechung, die im wahrsten Sinne des Wortes „im Einklang mit den geltenden Rechtsvorschriften sind“, aufgefordert habe, umgehend die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Unterstützung und den Schutz für die auf dem Boot anwesenden Minderjährigen zu gewährleisten und diese an Land zu lassen. Zu meiner großen Überraschung hast Du mich und meine Position so zusammengefasst und wiedergegeben, dass ich die Migranten an Bord (der NGO Open-Arms) unbedingt an Land bringen wollte. Ich verstehe zwar Deine Ernsthaftigkeit (und Treue) sowie obsessive Konzentration auf die Bewältigung des Einwanderungsproblems, indem Du es auf die kurze Formel „geschlossene Häfen“ gebracht hast. Du bist ein politischer Führer und als dieser bemühst auch Du Dich, wie jeder andere auch, zu Recht, Deine Unterstützung ständig zu erhöhen.“

Aber als Innenminister, öffentlich Dinge anders darzustellen, wie sie Conte als Premier mitgeteilt habe, sei eine andere Sache, die so quasi nicht gehe. Es sei ein klarer Fall von unfairem Zusammenspiel und eine Art von Vertrauensmissbrauch.

Allein Contes Sprachgebrauch der obsessiven Konzentration auf das Einwanderungsthema schlug wohl im Innenministerium und bei Salvini hohe Wellen.

Giuseppe Conte, und mit dieser Meinung steht er wahrlich nicht alleine, erwähnt im Brief, dass das Thema Einwanderung ein komplexes sei.

„Es muss mit einer breit angelegten Politik angegangen werden, wie ich es seit dem ersten Europäischen Rat, an dem ich Ende Juni 2018 teilgenommen habe, versucht habe zu erklären, um zu verhindern, dass wir von jeden einzelnen dargestellten Notfällen“ jedes Mal eingequetscht werden von Interessen. Es gehe Conte also um Italien, und dessen Standing innerhalb der EU.

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So, wie es eben auch Matteo Salvini in Helsinki erklärt habe, erwähnt Conte auch (wir erinnern uns, in Paris blieb Salvini bereits weg bei der Konferenz, weil die Meinungen Deutschlands und Frankreichs andere waren) seine Vorstöße und Forderungen, die er in der EU klar kommuniziert habe. So habe Conte sofort eine Plattform auf politischer EU-Ebene hergestellt, die auf „sechs Prämissen und zehn Zielen“ basiere, um alle Einzelinitiativen in dieser strategischen Perspektive einzubeziehen und die auch stets den Schutz der Grundrechte und insbesondere den der Menschenwürde jedes einzelnen im Auge habe. Auch habe er immer die nationalen Interessen, die häufig bei der Bewältigung des Migrationsphänomens beeinträchtigt würden, im Blick gehabt.

Conte nimmt noch Bezug auf Ursula von der Leyen als neue Kommissionspräsidentin und ist der Meinung, dass die deutsche Politikerin zumindest sachlich und zielgerichtet arbeiten und Italiens Situation ernst nehmen würde.

Ministerpräsident Conte, und so liest sich fast der gesamte Brief, warne Salvini vor unmöglichen Alleingängen, Italien könnte sich sonst zunehmend isolieren in Europa. Freundlich schließt Contes Brief mit den besten Feiertagswünschen an Matteo.

Die Replik Salvinis dauerte nicht lang und fiel um einiges kürzer aus. Matteo Salvini benutzt durchgehend die Sie-Form im Brief an Conte.

Lieber Präsident Conte, beginnt Salvini in seinem Antwortbrief. Mit großem Eestaunen lese er, dass Conte ihm eine Besessenheit (die besagte Obsession) für die „geschlossenen Häfen“ vorwerfe. Dass ihm Wut, Untreue, Angst aber auch Begeisterung unterstellt werden.

Salvini schreibt direkt: „Ich war immer treu und werde immer alle institutionellen Gesetze und Rechte, aber auch (An-)Klagen, vor allem die der Bürger, denen ich täglich begegne und die mich bitten einzugreifen, uneingeschränkt respektieren.“

Außerdem, und das nur am Rande, habe Salvini Contes Brief der Anschuldigungen, erhalten und gelesen, während er ein paar Stunden in Castel Volturno beim Meeting und bei der Arbeit des Nationalen Komitees für Ordnung und Sicherheit verbracht habe. Dabei ging es um nicht weniger als den Kampf gegen die Mafia, die Camorra und die „Ndrangheta“ sowie gegen den Drogenhandel und die Ausbeutung durch die Prostitution zu koordinieren und aufrecht zu halten.

Dann bringt Salvini seine Argumente, nämlich den Rückgang der Straftaten um 12 % in diesem Jahr 2019, „dazu ein sehr starker Rückgang der Tötungsdelikte (-18%), Diebstähle (-17%), Raubüberfälle zu Hause oder auf der Straße (-21%) und sexuelle Gewalt (-24%)“.

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Und dann die Zahlen und Fakten zur illegalen Migration aus seinem Ministerium: Rückgang der Anfahrten und Anlandungen in italienischen Häfen, um 80 % im Vergleich zum Vorjahr (von 20.000 auf 4.000) seien illegale Zuwanderer (ausschließlich Männer) absolut weniger geworden. Und, was kaum einer gern hört (warum eigentlich nicht? Wenn Leben damit gerettet werden), um 90% im Vergleich zum Vorjahr sind die Todesfälle auf dem Meer zurück gegangen. Etliche Gelder und Ausgaben wurden somit eingespart.

Wir, so der Innenminister, arbeiten daran, dass wieder Gerechtigkeit in der Justiz herrsche, Verfahren geprüft und beschleunigt würden. Und am Ende, der zwar authentische, aber vielleicht etwas zu emotionale, Salvini (aber so kennen und schätzen ihn die Italiener).

Wenn es denn so sei, »gestehe ich also meine „Schuld“, mein lieber Präsident, und auch meine „Besessenheit“ bei der Bekämpfung aller Arten von Straftaten, einschließlich der illegalen Einwanderung. Ich bin ein Minister, der die Grenzen, die Sicherheit, die Ehre und die Würde meines Landes verteidigt. Bei mir sind und bleiben die Häfen für die Menschenhändler und ihre ausländischen Komplizen GESCHLOSSEN.« Und das Wort „Chiusi“, schrieb er tatsächlich in Großbuchstaben.

Salvini schließt sein Schreiben mit der Überzeugung, es ist doch klar, dass die Europäische Union ohne diese Entschlossenheit niemals auch nur einen Finger bewegt und Italien und die Italiener allein gelassen hätte, wie es in den Jahren zuvor mit der Renzi- und PD-Regierung der Fall war.

Salvini wünschte am Ende einen frohen Feiertag, Conte und allen Italienern, dem Präsidenten sowie den 56.698 uniformierten Frauen und Männern, „die auch heute unsere Sicherheit garantieren, auf die ich stolz bin.“

Der Kampf gegen Kriminalität jeglicher Art und Nationalität, sei das ist das Ziel und der Stolz seines Wirkens als Minister. Ja, auch seines Lebens …