Tichys Einblick
Die Kluft zwischen Denken und Handeln

Vom Vorteil der Dummheit

Die Hamburger Juristin und Autorin Angela Wierig geht von der Feststellung aus, dass der Mensch weder gut noch böse, sondern in erster Linie dumm sei. In Ihrem Werk „Pawlowsche Idioten“ untersucht sie Wesen, Vorteil und Nachteil der Dummheit und skizziert deren Herrschaft

Gottfried Benn konstatierte 1956 »dumm sein und Arbeit haben, das ist das Glück«. Im selben Jahr schrieb er aber auch: »Am Anfang war das Wort und nicht das Geschwätz, und am Ende wird nicht die Propaganda sein, sondern wieder das Wort.« Ich stelle fest: Benn war nicht glücklich, obwohl er Arbeit hatte (jedenfalls die meiste Zeit seines Lebens).

Außerdem hatte er drei unglückliche Ehen, mehrere Liaisons (wie glücklich die waren, kann ich nicht beurteilen), eine Depression und ein NS-Regime zu bewältigen. Das gibt einem viel zu denken. Und Denken schmerzt. Kein Wunder, dass gleichsam neidisch auf jene geschielt wird, die sich diesem Schmerz entziehen können.

Völlig schmerzfrei kann die fremdgenerierte Überzeugung gelebt werden. Jene Überzeugung, die in maßloser Übergriffigkeit »Wahrheit« genannt, von Kanzeln verkündet, von Presseorganen verbreitet und nötigenfalls mit Gewalt durchgesetzt wird. In Deutschland, wo ich zurzeit gerade lebe, ist die Gewaltanwendung zur Durchsetzung des wahrheitsgetreuen Denkens noch in der Aufbauphase. Global betrachtet ist das Bild ein anderes.

Global betrachtet ist festzustellen, dass die Demokratie ein Auslaufmodell ist. Diktaturen sind weltweit auf dem Vormarsch. Im Jahr 2018 lebten ungefähr 3,3 Milliarden Menschen in Autokratien, 4,2 Milliarden in Demokratien. Wobei auch den Demokratien rückläufige Entwicklungen bescheinigt werden. Die Türkei wird in offizieller Lesart immer noch als ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat angesehen. Nur eben – rückläufig. Das ist, als würde ich einen Kranken »rückläufig gesund« nennen.

Um beim Beispiel Türkei zu bleiben: In dieser rückläufigen Demokratie dürfte es durchaus von Vorteil sein, strunzdumm im Bergdorf zu hocken, anstatt kritische Artikel über Rückläufigkeit zu verfassen.

Rettet den gesunden Menschenverstand
Eine Besichtigung der menschlichen Dummheit
In totalitären Regimen kann Dummheit Leben retten. In China sieht das Strafgesetz für knapp 70 Tatbestände die Todesstrafe vor. Unter anderem für Benzindiebstahl, doch diesbezüglich gehe ich davon aus, dass sie im Einzelfall eher selten verhängt wird. Bei der Befehlsverweigerung, Fahnenflucht oder gar dem Vorwurf des Hochverrats sieht die Sache schon ganz anders aus; in diesen Fällen darf der so Beschuldigte mit ziemlicher Sicherheit mit seinem baldigen Ableben rechnen. In China werden immer noch und immer wieder in jedem Jahr doppelt so viele Menschen hingerichtet wie im gesamten Rest der Welt zusammen.

Der Tod ist ein Meister aus China. Und diese Tötungen sind effizient geplant und zynisch ausgeführt. China hält nichts davon, Menschen nach ihrer Verurteilung zum Tod noch in Gefängnissen zwischenzulagern; es kommt ein Bus. Äußerlich ein Ambulanzfahrzeug, drinnen eine Todeszelle. Es folgt die Giftspritze, die Entnahme der Organe, und wenn die Angehörigen vom Todesurteil erfahren, ist es für einen Abschied längst zu spät. In diesem System dumm zu sein, hat durchaus Vorteile. Außer man ist so dumm, dass der Befehl nur verweigert wurde, weil man ihn nicht verstanden hat. Das ist dann ärgerlich.

Sich mit totalitären Systemen anzulegen, ist nie eine gute Idee. Für den Einzelnen. Doch warum eine Regierung – in diesem Fall die deutsche Regierung – ein solches System noch mit Geldmitteln versorgt, ist mir ein Rätsel. 630 Millionen Euro flossen im letzten Jahr von Deutschland nach China. Erklärbär Gert Müller (auch bekannt als Entwicklungsminister) erklärt diesen Umstand mit der Erwägung – an dieser Stelle bitte ich das Orchester um einen Tusch für Originalität – »wenn es uns ernst ist mit dem Klimaschutz, dann kommen wir an China nicht vorbei«.

Sagt Ihnen der gefräßige Plapperkäfer von Traal etwas? Douglas Adams hat ihn als eine »weit aufgesperrte Masse triefender Giftzähne« und »sehr, sehr gefräßig« beschrieben.* Die einzige Möglichkeit, ihm zu entgehen, besteht darin, sich ein Handtuch vor die Augen zu binden. Denn außer der Gefräßigkeit zeichnet den Plapperkäfer noch aus, dass er ein zum Verrücktwerden dämliches Vieh ist, das annimmt, wenn du es nicht siehst, kann es dich auch nicht sehen.

*Und falls Ihnen das nichts sagt, holen Sie die Lektüre des Per Anhalter durch die Galaxis unbedingt nach. Die Geschichte vom Plapperkäfer geht folgendermaßen weiter: »Dummerweise sind ihm viele Touristen zum Opfer gefallen, weil sie einen Artikel im Anhalter zu wörtlich genommen hatten. Dort hieß es nämlich aufgrund eines bedauerlichen Druckfehlers, dass der Plapperkäfer für vorbeikommende Touristen oft ein sehr gutes Essen machen würde. Tatsächlich macht er aber aus vorbeikommenden Touristen ein sehr gutes Essen. Deswegen wurde der ›Anhalter‹ von einigen Angehörigen gefressener Touristen verklagt, gewann den Prozess aber, als er darauf hinwies, dass seine Version schöner sei, und ein Dichter bewies, dass Wahrheit Schönheit und Schönheit Wahrheit ist. Das Gericht verurteilte daraufhin das Leben selbst, da es Schönheit und Wahrheit nicht getrennt hatte.« Schön, oder?

Können Sie nachvollziehen, warum mich der Erklärbär an den gefräßigen Plapperkäfer von Traal erinnerte? Gert »Lieschen« Müller glaubt offenbar wirklich, China ließe sich durch 630 Millionen Euro beeinflussen, Klimaschutz nach deutschen Wünschen zu betreiben. Aber sicher – Chinas Ruf in Sachen freundlicher Zuwendung an ausländische Invasoren, Investoren und Ausländern im Allgemeinen, ist geradezu legendär. Ein schönes Beispiel ist das chinesische Cybersecurity-Gesetz.

Selbiges untersagt ausländischen Unternehmen, ihre Daten so zu verschlüsseln, dass die Zentralregierung nicht mitlesen kann. Was an Informationen auf chinesischem Gebiet ausgetauscht wird, bleibt in China. Gegebenenfalls müssen die Verschlüsselungscodes herausgegeben werden – und wenn nicht freiwillig, dann im Wege der Beschlagnahme – und die ausgelesenen Daten dürfen ausdrücklich staatlichen chinesischen Unternehmen zur Verfügung gestellt werden.

Und nein, Herr Müller, die Daten dienen nicht zu Zwecken des Klimaschutzes.

Ich würde meinen, die versuchte monetäre Einflussnahme auf Chinas Klimapolitik ist auch unter wohlwollender Betrachtung nicht mehr unter Dummheit zu subsumieren – hier verlassen wir das weite Feld des am-deutschen-Wesen-genesen-Größenwahns und begeben uns stracks in die Idiotie.

Auszug aus: Angela Wierig, Pawlowsche Idioten. Edition Exil im Buchhaus Loschwitz, 120 Seiten, 17,00 €.


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