Tichys Einblick
Durchs irre Germanistan

Vom Atomstaat zur Windrad-Republik

Henryk M. Broder und Reinhard Mohr legen eine pointierte Analyse der deutschen Gegenwart vor, die uns schallend lachen lässt und erhellende Einsichten beschert. Ein Sittenbild der bunten deutschen (Ampel-)Republik: moralisch Weltspitze, klimabewusst, divers, postkolonial, aber voller Illusionen. Ein Auszug

Am Anfang war das Feuer. Als der Mensch es entdeckt hatte und schließlich selbst entzünden konnte, kam das erste Grillfleisch auf den Speiseplan. Das ist gut 30 000 Jahre her. Man nennt es auch das Fred-Feuerstein-und-Barney-Geröllheimer-Zeitalter. Dazu gab es Wärme, Licht, Energie, vielleicht sogar ein bisschen Lagerfeuerromantik mit Wilma.

Niemand hatte damals seinen CO2-Fußabdruck gemessen, wenn das erlegte Wildtier auf der Schulter in die Höhle zu Frau und Kindern geschleppt wurde. Der Neandertaler verschwand von der Bühne, und der Homo sapiens trat seinen Siegeszug an, der irgendwann, wahrscheinlich in der griechischen Antike, zum ersten Mal Holzkohle fabrizierte. Ein paar Hundert Jahre später wurde die erste Steinkohle abgebaut, im 17. Jahrhundert dann auch Braunkohle. Im 19. Jahrhundert folgten Erdöl und Erdgas – das Zeitalter der fossilen Energien begann, das weiten Teilen der Welt einen bis dahin unvorstellbaren Wohlstandsschub brachte.

Die Atomkraft schließlich, in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts als schier unerschöpfliche, »saubere« und CO2-freie Energiequelle gefeiert, läutete jene energiepolitische Turbo-Moderne ein, die gleichzeitig ihre stärksten Widersacher hervorbrachte: Atomkraftgegner, Wachstumskritiker, Naturschützer und die Ökologiebewegung, am Ende die Grünen. Es dauerte nicht lange, bis das Windrad zum Wahrzeichen der neuen postfossilen, nachhaltigen Zeit wurde.

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Auch wenn zur ökologischen Dreifaltigkeit noch Solarzellen und Wärmepumpen gehören, so ist doch das Windrad, von dem inzwischen annähernd 30 000 Exemplare auf See und im Land herumstehen, das weithin sichtbare Symbol der neuen Epoche, State of the Art, das Nonplusultra, die neueste Errungenschaft der Menschheit.

Die Älteren erinnern sich zwar noch an Don Quijote, der mit seiner Rosinante gegen die spanischen Windmühlen des 17. Jahrhunderts anritt, aber das ist eine andere Geschichte.

Heutige Windkraftanlagen sind bis zu 250 Meter hoch und wahre Monster des späten Industriezeitalters aus Tausenden Tonnen Beton, Stahl, Bauxit und faserverstärktem Kunststoff. Leichte und stabile Glas- und Karbonfasern sind unter anderem vermischt mit Epoxid- und Vinylharzen, dazu kommen Metalle wie Eisen, Kupfer, Aluminium und Blei sowie Kunststoffschäume, Balsaholz und Lacke mit Titandioxidpartikeln. Die Fundamente müssen viele Meter tief gegossen werden, der Weg dorthin wird im Zweifel gerodet und asphaltiert, um die schweren Kräne überhaupt heranschaffen zu können. Riesige Sattelzüge transportieren die Einzelteile an die Baustelle. Je größer sie werden, desto größer auch die Schwierigkeit, sie durch kleine Dörfer zu bugsieren. Hier und da hilft der Hubschrauber.

All das hat mit der Assoziation niedlicher Windräder, die sich in der leichten Sommerbrise drehen, nichts zu tun, und die Vorstellung, dass in den nächsten Jahren immer weitere Teile deutscher Natur- und Kulturlandschaften mit diesen Anlagen vollgepflastert werden und historisch gewachsene Sichtachsen zerstören, nimmt vielen Bürgern die Vorfreude auf die klimaneutrale Zukunft. Von der prinzipiellen Unmöglichkeit, mit der extrem wetter- und standortabhängigen Windenergie die Grundlast der Stromversorgung zu garantieren, soll hier nicht die Rede sein, ebenso wenig vom deutschen Sonderweg in Sachen Atomkraft.

In einer stillen Stunde stellt sich aber manch einer die Frage, ob es vielleicht sein könnte, dass die offizielle deutsche Windkraft-Begeisterung mit Unterstützung mächtiger Lobbygruppen dereinst ein ähnliches Schicksal ereilen könnte wie der frühere Boom von Kohle, Erdöl, Erdgas und Atomenergie – dass wir also womöglich schon in 10 oder 15 Jahren nur noch den Kopf schütteln werden darüber, dass wir unter anderem zur Deckung des Strombedarfs von E-Autos, E-Rollern, E-Laubbläsern, E-Autostaubsaugern, E-Ladesäulen, E-Bikes, E-Books, Wärmepumpen und dem tagelangen binge watching von Netflix- und Amazon-Serien die deutschen Mittelgebirge, das Voralpenland und die deutschen Küsten mit riesigen Rotorblättern verschandeln.

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Aber genau hier setzt der notorische Häresie-Verdacht ein: Aha, Ihnen ist also der freie Blick auf die Höhenzüge des Schwarzwaldes und das Alpenpanorama am Tegernsee wichtiger als die Rettung der Welt vor der Klimahölle!

Man kann dagegen wenig einwenden, weil angesichts der drohenden Apokalypse jede romantische Anwandlung, jedes ästhetische Argument, überhaupt jedes »subjektivistische Empfinden«, wie gläubige Kommunisten den »bürgerlichen Individualismus« einst ideologiekritisch verunglimpften, eine moralische Bankrotterklärung ist. Und aus der Geschichte des Kommunismus wissen wir, dass für das ultimative Menschheitsziel kein Opfer zu groß sein kann. Was ist da schon ein Windpark im Pfälzer Wald?

Spitzfindige Nörgler aus der Boomer-Generation könnten allerdings daran erinnern, dass hier schon wieder jene systematische Diskursverengung vorliegt, die man aus den Sechzigerjahren kennt, als linke Sozialdemokraten mit der Atomkraft ein strahlendes Zeitalter von Fortschritt und Frieden heraufziehen sahen und jede Kritik als rückwärtsgewandt und vorgestrig einstuften, Motto: »Mit uns zieht die neue Zeit …!«

Was damals die großartige politische Utopie der Menschheitsbeglückung war, ist heute die dunkle Dystopie des Untergangs, das Weltenende. Damals schüttelten die regierenden Sozialdemokraten nur den Kopf über die langhaarigen Anti-AKW-Demonstranten, heute schaut die Klimasekte der »Letzten Generation« verständnislos auf jeden, der ihr grenzenlos anmaßendes, steindummes Erpressergehabe nicht goutiert.

Mag sein, dass sich derzeit die Geschichte der ultimativen Rechthaberei und endgültiger Wahrheiten in der Windrad-Republik wiederholt. Womöglich hatte der olle Karl Marx ja doch recht, dass geschichtliche Ereignisse mindestens zweimal wiederkehren – das eine Mal als Tragödie und das andere Mal als Farce. Die Frage ist nur: Erleben wir jetzt die Farce oder die Tragödie?


Henryk M. Broder / Reinhard Mohr, Durchs irre Germanistan. Notizen aus der Ampel-Republik. Europa Verlag, Klappenbroschur, 224 Seiten, 20,00 €.


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