Tichys Einblick
"Feindliche Übernahme"

Thilo Sarrazin: Sollte sein Buch verhindert werden?

In der juristischen Auseinandersetzung um das neue Islam-Buch von Thilo Sarrazin hat der Chefjustiziar des Verlag Random House eine Falschaussage zugegeben. Das Buch ist schon ein Skandal, ehe es erschien. Wollte Bertelsmann das Buch verhindern?

© Sean Gallup/Getty Images

Sarrazin, ehemals Vorstandsmitglied der Bundesbank, verlangt mehr als 800.000 Euro Schadenersatz, nachdem der zum Bertelsmann-Konzern gehörende Random-House-Verlag sich trotz eines gültigen Autorenvertrags kurzfristig weigerte, das Buch herauszugeben – offensichtlich aus Angst vor dem brisanten Inhalt und trotz der Tatsache, dass Random-House bislang ca. 1,6 Mio Bücher von Sarrazin allein als Hardcover verkauft hat.

In dem Verfahren zeigt sich jetzt, wie sich Random-House dreht und windet, um nur ja nicht den bestehenden Buchvertrag für „Feindiche Übernahme“, so der Titel des neuen Buchs, erfüllen zu müssen. Es geht aktuell um die Frage eines Gutachtens über die Thesen  in  „Feindliche Übernahme“. Chefjurist Rainer Dresen hatte öffentlich behauptet, Sarrazin habe es abgelehnt, vor Veröffentlichung des Buchs durch einen wissenschaftlichen Gutachter zu klären, ob seine Interpretation des Korans tragbar sei. Doch Sarrazin konnte eine Mail vorlegen, in der er explizit eine mit ihm abgestimmte Begutachtung akzeptiert hatte. Der Verlagsjustiziar musste daraufhin einen Fehler eingestehen. Seine Aussage sei „in der Tat nicht vollständig und damit nicht korrekt“, schrieb Dresen in einer Mail, die der F.A.Z. vorliegt.

Bertelsmann hat zum Gerichtstermin am 9. Juli 50.000 € (die Hälfte des bereits gezahlten Vorschusses) als Entschädigung angeboten. Dabei geht es um mehr als Geld – es geht um Glaubwürdigkeit. Sarrazin hat dabei Punkte gemacht – sachliche Fehler sind ihm wohl nicht nachzuweisen. Wollte Bertelsmann das Buch verhindern? Noch dazu mit falschen Auskünften? Das wirft ein schlechtes Licht auf Deutschlands größten Verlag.

Sarrazin ist ein hartnäckiger Autor und Politiker. Mit seiner eisernen Sturheit verschaffte er dem bankrotten Berlin durch harte Sparpolitik die schwarze Null. Den Protest zog er auf sich, der komplett versagende Bürgermeister Klaus Wowereit („arm aber sexy“) konnte unbescholten Partys besuchen. Sarrazin war für arm zuständig, Wowereit für sexy.

Sarrazin stellt sich hin, zieht durch. Jede Gesellschaft braucht ihren Sarrazin. Der muss Missstände benennen, und darf nicht weichen. Sarrazins erster Bestseller; „Deutschland schafft sich ab“ zitiert als Leitsatz das Wort des SPD-Gründers Ferdinand Lassalle: „Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist.“

Sarrazin beschreibt den Bevölkerungsverfall der letzten Jahrzehnte, warnt vor einem Sozialsystem, das das Nichts-Tun belohnt, tadelt eine Einwanderungspolitik, die eher Leistungsschwache anzieht und Leistungsfähige abstößt und kritisiert die Bildungspolitik, die diese Trends verschärft. Eigentlich wäre das schlimmste Urteil: alles bekannt. Solche Dystopien haben vor ihm beispielsweise Meinhard Miegel („Die deformierte Gesellschaft“) oder Arnulf Baring („Scheitert Deutschland?“) geschrieben – beachtet, aber folgenlos, vergessen. Sarrazin ist weder vergessen noch im Kern seiner Argumentation widerlegt. Und jetzt legt er wieder nach. Wie schon mehrmals.

In „Wunschdenken“ (2016) vermittelt er über eine Modellprojektion, wie sich die Bevölkerung in Deutschland durch Zuwanderung und hohe Geburtenraten der Zuwanderer entwickelt. „Ihr liegt die Überlegung zugrunde, dass jede Jahrgangskohorte von Flüchtlingen und illegalen Einwanderern im Verlauf von zwei Jahrzehnten durch Familiennachzug und eigene Kinder auf das Fünffache wächst.“ Seine vorsichtigste Projektion: „Selbst ‚nur‘ 200.000 Flüchtlinge und illegale Einwanderer pro Jahr bewirken 2030 eine Gesamtzahl von 12 Millionen Flüchtlingen und 2040 von 22,6 Millionen. Es reicht also nicht aus, den Flüchtlingszuzug zu begrenzen, man muss ihn weitestgehend stoppen.“ Ein „Asylrecht, welches dem Grunde nach 80 Prozent der Menschen der Welt in Europa Asyl gewährt, …riskiert… den Untergang Europas, so wie wir es kennen.“ Dieser kleine Teil seiner Analyse ging in der allgemeinen Medienschelte unter – und ist doch Sprengstoff. Denn die fortschreitende Einwanderung und der immer weiter ausgedehnte Familiennachzug lassen seine vorsichtige Analyse als überholt erscheinen – es geht viel umfassender. Genau diese Debatte fürchtet Bundeskanzlerin Merkel, die die Fakten gerne verharmlost.

Sein neues Buch baut darauf auf. Der Titel „Feindliche Übernahme – Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“ ist programmatisch: Mittlerweile zeigt sich ja, wie schwierig die wirtschaftliche, kulturelle und soziale Integration vieler Zuwanderer ist. Sarrazin weist zudem auf den wachsenden Bevölkerungsdruck aus Afrika hin. Er zerreisst die Argumente, durch wirtschaftliche Hilfen könnte dies begrenzt werden – wie schon früher zitiert er Studien, die belegen, dass schon gewaltige, jahrzehntelange und nachhaltige wirtschaftliche Erfolge notwendig wären, um unbedingte Sesshaftigkeit zu bewirken.

Redliche Argumentation
Hep hep Sarrazin! Rückblick auf eine Menschenhatz
In seinem empfehlenswerten, kürzlich in der FAZ erschienen Artikel zur Bevölkerungsexplosion in Afrika und Arabien (der bisher nicht online zu lesen ist), in der er die Studie des Entwicklungsökonomen Michael Clement (der übrigens für offene Grenzen und möglichst freie Migration wirbt) für das Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) zitiert, kommt er zu dem Schluss, dass es zwar notwendig sei, die „Fluchtursachen“ zu bekämpfen, dies aber keine Lösung für den Auswanderungsdruck biete. Eine verantwortungsvolle Politik müsse die Sicherung der EU-Außengrenzen gegen illegale Migration verstärken. „Erst dann, wenn klar ist, dass die Ankunft in Europa über illegale Einwanderung nicht mehr möglich ist, wird der Aufbruch nach Europa sich abschwächen und damit übrigens auch die Zahl der illegalen Einwanderer, die bei der Überfahrt mit seeuntüchtigen Booten sterben.“

Sarrazin sagt, er habe den ganzen Koran studiert – und genau darum geht es im Prozess. Die Schlussfolgerung Sarrazins aus den Studien ist allerdings, dass er die Hoffnung auf Integration zerlegt, in der Luft zerfetzt. Die Debatten der vergangenen Woche um einen geschäftstüchtigen Fußballspieler türkischer Herkunft und dessen Rassismusvorwürfe an die Adresse Deutschlands sind wie der Auftakt zur neuen Debatte. Integration ist ein Prozess, der sich über mindestens drei Generationen hinzieht – und trotzdem scheitern kann, wie der Fall Özil zeigt. Für Sarrazin ist dafür die tief verankerte Religiosität, Fremdheit und aggressive Grundhaltung der meist moslemischen Zuwanderer verantwortlich. Er setzt dem Integrationsoptimismus einen begründeten Pessimismus entgegen.

Auch Sarrazins neues Buch scheint notwendiger Lesestoff zu sein, der mit klaren Argumenten der vorherrschenden Lehre widerspricht, wonach ein paar Hilfen hier und da den Einwanderungsdruck beseitigen und ein paar Sprachkurse in Deutschland die Gesellschaft stabilisieren könnten und die Integration flugs bewerkstelligen.

Offensichtlich versuchte Sarrazins bisheriger Verlag DVA, Teil des Random-House-Imperiums von Bertelsmann, das Erscheinen von „Feindliche Übernahme“ zu verzögern – über die kritischen Landtagswahlen im Herbst in Bayern und Hessen hinaus.  Nun prozessiert Sarrazin mit Random House; sein Buch erscheint Ende August im FinanzBuch Verlag, der auch die „Edition Tichys Einblick“ verlegerisch betreut.

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