Tichys Einblick
Die summa seines Denkens

Hamed Abdel-Samad analysiert die Geschichte des Islam

Abdel-Samads neues Buch ist eine topaktuelle Pflichtlektüre für Muslime und Nicht-Muslime sowie Politiker, Medienleute und Pädagogen.

Allein in deutscher Sprache gibt es viele Regalmeter an Büchern zur Geschichte des Islam. Darunter sind Minidarstellungen im Umfang von 100 Taschenbuchseiten, aber auch mehrbändige Ausgaben. Seit zweihundert Jahren nimmt die Zahl der entsprechenden Werke unüberschaubar ständig zu. Klar: Der Islam ist ja auch die am expansivsten wachsende Weltreligion: Derzeit sind es weltweit rund 2,0 Milliarden Muslime (zum Vergleich: 2,5 Milliarden Christen). Man schätzt, dass die Zahl der an den Islam Gläubigen im Jahr 2050 weltweit, nicht nur in den mehr als fünfzig islamisch geprägten Staaten die 3-Milliarden-Grenze erreichen und solchermaßen die Zahl von dann geschätzt ebenfalls rund 3 Milliarden Christen erreicht haben wird. Expansiv ist auch die Entwicklung des Islam in Deutschland: Gab es im Jahr 2000 noch 3 Millionen Muslime in Deutschland, sind es jetzt bereits 5,5 Millionen (und damit 6,5 Prozent der Gesamtbevölkerung).

Allein vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich für jeden historisch und gesellschaftspolitisch Interessierten, sich mit dem Islam zu befassen. Das soeben erschienene, 320-seitige Buch von Hamed Abdel-Samad mit dem Titel „Der Islam. Eine kritische Geschichte“ ist dabei eine Lektüre erster Wahl. Allein schon wegen des biographischen Hintergrundes des Autors, der 1972 als Sohn eines sunnitischen Imams bei Kairo geboren wurde, zu den Moslembrüdern stieß, sich von dort frei machte, 1995 nach Deutschland kam, 2013 wegen islamkritischer Bücher mit einer Fatwa des ägyptischen Scheichs Assem Abdel-Maged belegt wurde und mittlerweile zu den mutigsten, aber auch gefährdetsten deutschsprachigen Analytikern des Islam gehört. Er zählt zusammen mit Ahmad Mansour, Seyran Ates und Necla Kelek zu den führenden Intellektuellen Deutschlands. Was wiederum dazu geführt hat, dass er – wie auch andere muslimische Islamkritiker – einen 24-Stunden-Polizeischutz braucht.

Hamed Abdel-Samad ist jedenfalls einer, der keiner messerscharfen Analyse und keiner politischen Auseinandersetzung aus dem Weg geht. 2018 schrieb er der deutschen Politik, der deutschen Gesellschaft und auch der muslimischen Gemeinde in Deutschland ins Stammbuch, dass die Versuche einer Integration gescheitert seien, was er in seinem Buch „Integration. Ein Protokoll des Scheiterns“ belegt. Vorausgegangen waren unter anderem Abdel-Samads Buchtitel „Der islamische Faschismus. Eine Analyse“ (2014) und „Mohamed. Eine Abrechnung“ (2015). Dann folgte „Aus Liebe zu Deutschland. Ein Warnruf“ (2020).

Offener Brief an Olaf Scholz
Hamed Abdel-Samad über Ferda Ataman: arbeitet "mit einem rassistischen Weltbild"
Abdel-Samad geht keiner Konfrontation aus dem Weg: Er legt(e) sich an mit der Islam-Lobby, die vom deutschen Staat seit Jahren „hofiert“ werde, wiewohl ihr allenfalls 15 Prozent der Muslime in Deutschland angehörten; mit „Krawatten-Dschihadisten“; mit Erdogan, der der freien Welt das Heil des Islam entgegensetzen will; mit den Salafisten in vielen der 2000 Moscheen in Deutschland, die offenbar eine Restauration des Islam des 7. Jahrhunderts wollen und an denen eine Rationalisierung und Humanisierung des Islam zu scheitern droht; mit den irannahen, orthodoxen Schiiten und dem Islam Zentrum Hamburg (IZH) als verlängertem Arm des Mullah-Regimes; mit dem damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer.

Letzterem hatte er im November 2020 seine Mitarbeit in der seit 2006 ziemlich ergebnislos vor sich hin tagenden Deutschen Islam Konferenz (DIK) aufgekündigt, weil Seehofer sich – so Abdel-Samad – in dieser Konferenz zum “Büttel“ fundamentalistischer Islamverbände gemacht habe und es nach wie vor zulasse, dass diese Verbände von deutschen Steuergeldern sowie von ausländischen Geldgebern finanziert würden. Abdel-Samad nennt auch die Namen der Islamlobbyisten, die er meint: Allen voran Türkisch-Islamische Union DITIB, die unter Kuratel der Religionsbehörde in Ankara steht; oder den Zentralrat der Muslime (ZMD) mit seiner Nähe zur Muslimbruderschaft.

Hamed Abdel-Samad ist zugleich einer, der historisch und politologisch aus dem Vollen schöpft, wenn es um eine differenzierte Betrachtung des Islam geht. In seinem soeben erschienenen Buch „Der Islam. Eine kritische Geschichte“ moniert er bereits einleitend, dass es kaum noch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islam gebe und sich die Diskursräume im Zuge der Anti-Rassismus-, Cancel-Culture und Wokeness-Bewegung verengt hätten, dass in der Folge Medien, Universitäten, Kirchen und politische Stiftungen einen Bogen um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islam machten.

Vor allem geht es dem Autor in seinem jüngsten Buch – ohne jede Glorifizierung und ohne jede Dämonisierung des Islam – um eine Darstellung der Geschichte des Islam als einer Geschichte aus Phasen der militanten Konfrontation und des kreativen Miteinanders. Den „wahren“ Islam, so Abdel-Samad, habe es ohnehin nie gegeben.

Ein Warnruf
Hamed Abdel-Samad: Aus Liebe zu Deutschland
Recht originell und anschaulich verortet der Autor die Geschichte des Islam zugleich chronologisch und geographisch. Als Beispiele der 13 Einzelkapitel seien genannt: Kapitel 2: Von Mekka nach Medina. Die Geburt der Scharia aus dem Geist des Krieges. Exkurs: Von Delhi bis Marrakesch. Die Ausbreitung des Islam. Kapitel 6: Von Bagdad nach Córdoba: Ein Musikmeister, zwei Kalifate und der Mythos von al-Andalus. Kapitel 8: Von Clermont nach Jerusalem: Die Kreuzzüge und das islamische Europa-Trauma. Kapitel 9: Von Konstantinopel nach Wien: Die Osmanen und das europäische Islam-Trauma. Veranschaulicht wird die gesamte Geschichte mit einem kompakten, sechsseitigen „Zeitstrahl zur Geschichte des Islam“.

Abdel-Samads politische und pädagogische Absicht ist klar: Es geht es ihm nicht nur um die Aufklärung von Nicht-Muslimen, sondern auch um die Inklusion der vielen europäischen Muslime, die sich zu den Werten des demokratischen Rechtsstaates bekennen. Der Autor stellt sich ein muslimisches Bürgertum vor, das sich eine Verwestlichung des Islam wünscht, das Religion als Privatsache definiert und eine Personalunion von göttlichem und weltlichem Herrscher in der Person eines Kalifen ablehnt.

So endet die „kritische Geschichte des Islam“ denn auch mit einem verhalten optimistischen Ausblick des Autors. Er erinnert an den „arabischen Frühling“, auch wenn dieser teilweise einen neuen Winter zur Folge hatte; er erinnert an Tunesien, das den Islam als Staatsreligion aus der Verfassung gestrichen hat. Er erinnert daran, dass Saudi-Arabien die Verschleierungspflicht aufgehoben und gemeinsame Musikkonzerte von Männern und Frauen erlaubt hat. Das sind gewisse zarte Pflänzchen, wenn man auch bereit ist zu sehen, wie es Saudi-Arabien Millionen und Aber-Millionen wert ist, eine neue „Hidschra“ (benannt nach der Auswanderung Mohameds von Mekka nach Medina im Jahr 662) zu unterstützen, nämlich eine Expansion des Islam in den Westen der Welt hinein – in einen Westen, der dem nichts entgegensetzt, weil er dabei ist, vor lauter Relativismus seine eigenen Wurzeln zu kappen.

Das Buch ist kompakt geschrieben und flüssig zu lesen. Warum der Autor sich am Ende des Buches (S. 295) gemüßigt sieht, auch noch Gendersternchen zu verwenden („Theolog*innen und Islamwissenschaftler*innen“), mag sein Geheimnis oder sogar eher das Geheimnis seines Verlages bleiben.

Doch es ist auf alle Fälle der Lektüre wert. Mehr noch: Es sollte Pflichtlektüre für Medienleute, Pädagogen, Kirchenleute, auch für so manchen Politiker sein: für betont religionsdistanzierte Linke, denen offenbar die Vision von einer Revolution qua Proletariat abhandengekommen ist und für die nun die muslimische Community an die Stelle des Proletariats getreten zu sein scheint; auch für CDUler, die immer noch gebannt zu sein scheinen vom dogmatischen Diktum  der Schäubles, Wulffs und Merkels, „der Islam gehöre zu Deutschland“. Welcher Islam?

Hamed Abdel-Samad, Islam. Eine kritische Geschichte. dtv, Hardcover, 320 Seiten, 24,00 €


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