Tichys Einblick
Empfehlenswerter Augenöffner

Gunnar Heinsohn über Söhne und Weltmacht

Ein Buch mit einer ungewöhnlichen These: die Hauptgründe für Gewalt, Terror und Krieg sind nicht Religionen, Stammesfehden oder Armut. Vielmehr erweist sich der übergroße Anteil männlicher, perspektivloser Jugendlicher als deren wesentliche Ursache.

Das gängige Verhalten nicht erst heute, aber heute ganz besonders ist das des Wegschauens vor allem, was problematisch sein könnte. Die Classe Politique der deutschen Republik geht täglich mit vorbildlich schlechtem Beispiel voran. Gunnar Heinsohn gehört zur Minderheit, die Probleme erfreulich deutlich adressieren. Hier eine Kostprobe aus seinem neuesten Buch:

„Den Gelehrten fiele das Verständnis der Kriege mithin leichter, wenn man sie dazu gewinnen könnte, nicht nur die Auswirkungen des Tötens auf die Bevölkerung, sondern auch die Auswirkung der Bevölkerung auf das Töten zu studieren.“

In der Tat fällt dem Historiker auf, dass seine Zunft traditionell den Tunnelblick pflegt. Der „Kriegsindex“ von Heinsohn findet sich nach wie vor nicht unter den gängigen Erklärungen der Beschreiber der Zeitläufte. Diesen Index umzutaufen in „Söhneindex“, würde ihn so unmittelbar anwendbar machen auf das Megathema Migration, dass sämtliche Funktionäre in den Bürokratien von UNO bis EU und der mit ihnen affilierten in NGOs aller Art erschauern müssten. Der Söhneindex lässt keine Ausflucht vor dem gefürchteten und deshalb gemiedenen anderen Megathema zu, das nur die andere Seite von ein und derselben Medaille ist: der Überbevölkerung der Erde.

Nicht nur in Festreden ist die Behauptung üblich, EU und NATO hätten dafür gesorgt, dass es in Europa keine Kriege mehr gibt (der jugoslawische Erbfolgekrieg wird dabei chronisch ausgeblendet). In Wahrheit haben die früher regelmäßig Kriegführenden aus einem anderen, sehr einfachen Grund das Kriegführen sein lassen. Heinsohn sagt das so:

„Nach fünf bis sieben Kindern pro Frau um 1870 sind es heute nur noch eins bis zwei. Kann die Alte Welt zwischen 1914 und 1945 in zwei Weltkriegen rund 24 Millionen junge Männer opfern, ist heute ein westlicher Gefallener – statistisch – einziger Sohn oder gar einziges Kind seiner Mutter.“

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Die strikte Ablehnung der Geburtenkontrolle durch den Klerus der Kirchen heute kommt einem sofort in den Sinn, wenn bei Heinsohn zu lesen ist, wie es zu dem hohen Söhneindex kam, der überhaupt erst „Europas Welteroberung“ möglich machte, in der der Papst dann die Welt zwischen Portugal und Spanien aufteilte:

„In der Bulla Apostolica Adversus Haeresim Maleficarum (sogenannte Hexenbulle vom 4. Dezember 1484) dekretiert Papst Innozenz VIII. Todesstrafe für «sehr viele Personen beyderlei Geschlechts, / welche [«durch verfluchte Medizinen»] die Geburten der Weiber umkommen machen und verursachen, / dass die / Frauen / nicht empfangen, und die Männer / denen Weibern und die Weiber / denen Männern die ehelichen Werke nicht leisten können» (Sprenger/Institoris 1906 [1487], I: XXXVII).“

Diese Verfolgung sei „nicht Ausdruck einer religiösen Verirrung des Papsttums gewesen“, konstatiert Heinsohn, sondern „Bevölkerungspolitik, die deshalb auch in weltliche Gesetze eingeht und bei Protestanten nicht minder heftig durchgesetzt wird als bei Katholiken.“ Wahrlich keine Sicht der etablierten Geschichtsschreibung, aber eine, die mir einleuchtet.

Das Ergebnis des Verbots der Geburtenkontrolle: „Nach 2–3 Kindern pro Frauenleben im mittelalterlichen Europa zwischen ca. 1000 und 1500 sorgen die neuen Verbote und Strafen mit 5–7 Kindern pro Frau für Europas Welteroberung und dabei für die Ausweitung der begrenzten in die globale Bevölkerungsexplosion. Nebenher entstehen Sexualneurosen, wie die Welt sie zuvor und auch seit Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr gesehen hat.“

Nun mit Heinsohn ein Sprung in die Gegenwart mitten in das Megathema Migration:

„Die weitaus häufigste Reaktion auf einen hohen Kriegsindex ist der Auswanderungswunsch. Er liegt 2017 in Regionen der traditionellen Dritten Welt bei rund 940 Millionen (Esipova et al. 2018). Nur ungenau ermittelbare Eigentumsdelikte dürften nicht weit dahinter liegen. Danach folgen die 70 Millionen Flüchtlings-Migranten von 2018 (UNHCR 2019). Danach folgen gewöhnliche Mordopfer und Tötungen durch Banden. Die Bandenopfer liegen zwischen 2000 und 2017 mit einer Million Ermordeten gleichauf mit einer Million im selben Zeitraum gefallenen Soldaten. Gewöhnliche Mordopfer und Bandenmordopfer zusammen liegen 2017 mit 464.000 Toten fünfmal höher als die im selben Jahr gefallenen 89.000 Soldaten (Zahlen aus UNOCD 2019; GTD 2019). Die Global Terrorism Database (GTD) verzeichnet zwischen 1970 und 2017 rund 180.000 Terrordelikte mit 130.000 Toten (START 2018). Die Zahlen für Verletzte liegen in den Mord-, Terror- und Kriegsaktionen noch einmal weit über den Todesopfern.“

Kriege zwischen Staaten werden abgelöst durch Bandenkriege, das Wort ist wohl zutreffender als Bürgerkrieg, das oft verwendet wird. Der Gedanke, der sich mir sofort aufdrängt, ist, wie viel Bandenkrieg können junge Männer an Migranten aus unterschiedlichsten Herkünften mitbringen? Sind die Clangefechte in Berlin und anderswo nicht schon die Vorboten? Lauter Fragen, welche die deutsche Classe Politique nicht hören und am liebsten verbieten möchte und auf die sie die Institutionen des Staates sich nicht vorbereiten lässt. Das allerdings schafft Probleme nicht aus der Welt, sie brechen dann nur angeblich unerwartet über alle herein.

Ein Beispiel für den Tunnelblick, von dem ich oben sprach, trifft sinngemäß auch auf das Megathema Migration zu, wenn Heinsohn schreibt:

„Eine Sternstunde militärdemografischer Ignoranz erlebt der Westen 2006. Die Baker/Hamilton-Kommission soll aufklären, warum die Lage der US-Truppen im – bereits angesprochenen – Irak immer unhaltbarer wird. Man engagiert 44 der besten Aufstandsexperten der Welt, die schließlich resigniert erklären: «Our government still does not understand very well either the insurgency in Iraq or the role of the militias» (Baker/Hamilton 2006, 61). Auf einen Demografen hatte man verzichtet. Der hätte den Zulauf zu den Milizen womöglich daraus erklärt, dass Iraks Kriegsindex schon im Jahre 2000 bei 5.3 steht, heute 5.8 erreicht und selbst 2030 noch 3.6 betragen wird (Heinsohn 2019a).“

Warum klassische Kriege eine weiter abnehmende Erscheinung sein werden, erklärt Heinsohn auch mit dem Söhneindex:

„Bis 2030 wird die Ländergruppe mit einem Kriegsindex über 2.5 von 81 (2018) auf 66 Nationen fallen. Die Index-Klassen 7 und 8 werden gar nicht mehr vertreten sein. Das klingt ermutigend, wird allerdings dadurch eingeschränkt, dass 2030 nicht mehr nur 1,7, sondern 2,2 Milliarden Menschen mit einem Index oberhalb von 2.5 fertig werden müssen. Der Rückgang bei der Zahl der betroffenen Länder wird durch schnell steigende Bevölkerungen in ihnen mehr als wettgemacht.“

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Mit Kriegen und kriegerischen Auseinandersetzungen ist also leider keineswegs Schluss. Sie verändern und verlagern sich. Ihr Ende ist nicht in Sicht und dürfte am Ende der menschlichen Natur auch nicht entsprechen. Was Heinsohn dazu sagt, ist in keiner Weise eine Entwarnung, sondern vielmehr ein Blick in die Zukunft, den die Classe Politique in sämtlichen Ländern des Westens weder kennt, noch – was schlimmer ist – kennen oder erkennen will – und schon gar nicht öffentlich erörtern:

„Dabei weicht die traditionelle Angst vor hochbewaffneten feindlichen Armeen mit ihren Kanonen dem Schrecken vor vielfach größeren Heeren ohne Qualifikationen. Sie kommen mit erhobenen Armen, in denen sie weinende Kinder halten. Ihre Hilflosigkeit macht gerade deshalb einen so tiefen Eindruck, weil genau sie es ist, die lebenslange Versorgung durch Sozialhilfe einbringen kann. Wie die bezahlt und gleichzeitig die nie endende Konkurrenz mit den – so gut wie niemanden hereinlassenden Ostasiaten – bestanden werden kann, weiß im Westen niemand.“ 

Mit der einleuchtenden Prognose von Gunnar Heinsohn will ich zum Schluss kommen:

„Der rationale Kern der Angst nicht etwa vor Fremden, sondern vor zu vielen Bildungsfernen führt aktuell zu drei Bewegungen. Die zahlenmäßig stärkste will Fremde vor den Grenzen auswählen, um kognitiv nicht weiter abzurutschen (Populismus). Komplementär laufen Bestrebungen, ökonomisch noch starke Teilregionen einzuhegen und wenigstens sie vor Gewalt sicher und auf den globalen Märkten konkurrenzfähig zu halten (Separatismus). Am unauffälligsten, aber folgenreichsten erweist sich der Weggang von Talenten, die aufgrund der enormen Zahlungen für die Neuankömmlinge den Mut verlieren (Emigration). Sie fliehen in sogenannte Kompetenzfestungen, die eigene Talente binden, fremde Talente anwerben und Leistungssenker abwehren.“ 

Heinsohn hat ein Buch vorgelegt, das keine erfreuliche Perspektive liefert, sondern eine gnadenlos realistische. „Für das kontinentale West-Europa“, bilanziert er, „sind aufgrund abnehmender Kompetenzen der Jungen und einer wachsenden Übermacht der Greise überzeugende Gründe für ein Verbleiben im Zivilisationsraum bisher nicht angebbar. Am ehesten kommen dafür die Anglowelt, Skandinavien sowie der slawische Raum in Betracht.“ 

Den letzten Satz des Buches teile ich zwar: „Dass eine solche Prognose Unrecht bekommen will, versteht sich von selbst.“ Aber ich gehe darüber hinaus: Wenn es wirklich ernst wird, ist die Gattung Mensch zu unglaublichen Leistungen fähig. Dass es sehr ernst wird, daran zweifle ich nicht.

Ich kann Ihnen diesen Augenöffner nur empfehlen. Ich habe das Buch sicher nicht das letzte mal gelesen.

Gunnar Heinsohn, Söhne und Weltmacht. Terror im Aufstieg und Fall der Nationen. Erweiterte und aktualisierte Neufassung, Orell Füssli, 224 Seiten, 20,00 €.


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