Tichys Einblick
TICHYS LIEBLINGSBUCH DER WOCHE

Die NSDAP nannte sich selbst eine sozialistische Arbeiterpartei

Der 8. Mai 1945 markiert das Ende der Nazi-Herrschaft. Wie konnte es zur Machtübernahme kommen? Wirken manche Kräfte nach? Jürgen W. Falters Buch gibt Antworten auf Fragen der Vergangenheit und Lehren für die Gegenwart.

Vor 76 Jahren kapitulierte Nazi-Deutschland vor den Alliierten Streitkräften – damit endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Der 8. Mai wird seither in vielen europäischen Ländern als Tag der Befreiung gefeiert. Ein guter Anlass, sich mit einem fundierten und augenöffnenden Werk zur Geschichte der NSDAP auseinanderzusetzen. Wie konnte es zur Machtübernahme kommen? Welche Kräfte wirkten und gibt es sie noch immer?

Auf der Grundlage von Jürgen W. Falters Forschungsergebnissen, die er in „Hitlers Parteigenossen“ verarbeitet hat, werden manche einseitigen und auf unzureichender Datenbasis basierenden Thesen in Gesamtdarstellungen der NS-Zeit korrigiert werden müssen. Obwohl es ein Fachbuch ist, verzichtet der Autor erfreulicherweise auf Politologen- und Soziologen-Fachjargon, was das Buch auch für den Laien gut lesbar macht.

Zwischen 1919 und 1945 schlossen sich über zehn Millionen der NSDAP an, am Ende des Zweiten Weltkriegs war jeder zehnte Deutsche Parteigenosse. Doch wer konnte Mitglied werden und wer nicht? Wann wuchs die NSDAP, die Deutschland während der NS-Diktatur ab 1933 als einzige zugelassene Partei beherrschte, und wann stagnierte ihre Mitgliederzahl? Welche Motive bewogen die Neumitglieder zum Eintritt? Konnte man aus der NSDAP auch wieder austreten? Wie sah die soziale Zusammensetzung der Partei aus?

Konnte man aus der NSDAP auch austreten?
Eine bahnbrechende Studie zu den Mitgliedern der NSDAP
Die NSDAP nannte sich selbst eine sozialistische Arbeiterpartei. In der bisherigen Forschung sah man jedoch vor allem die Mittelschicht als die entscheidende soziale Stütze der Nationalsozialisten – sowohl der Mitglieder als auch der Wähler. Viele dieser soziologischen Theorien basierten auf einer sehr dünnen Quellenbasis, manche eher auf Spekulationen als auf Daten. Das ist bei Falter anders. Bei den Daten, die er in sieben Jahren Forschungsarbeit für diese Studie ausgewertet hat, handelt es sich um die mit weitem Abstand größte und materialreichste Stichprobe aus den beiden zentralen NSDAP-Mitgliederkarteien. Die Analyse zeigt, dass insbesondere nach dem 30. Januar 1933 Angestellte und Beamte geradezu in hellen Scharen zur Partei stießen und unter den Mitgliedern der NSDAP deutlich überrepräsentiert waren. Doch der Arbeiteranteil in der NSDAP war weitaus höher als man bisher in der Forschung angenommen hatte. Er lag, ähnlich wie bei den Wählern der Partei, bei etwa 40 Prozent“, schreibt der Historiker Dr. Rainer Zitelmann in seiner Rezension über Falters Werk.

Geschichtsschreibung ist nicht „Wahrheit“. Dass gerade viele Arbeiter zur NSDAP strömten, konnte und kann bis in die Gegenwart der linkssozialistischen Bewegung nicht recht sein und soll verdrängt werden; so wie die sozialistischen Elemente im „Dritten Reich“ beharrlich geleugnet werden. Die Propaganda versuchte, Hitler als Vasallen des Kapitalismus darzustellen und zu leugnen, dass es um ähnliche Wurzeln ging. Das macht die Verbrechen nicht ungeschehen und entschuldigt sie nicht – aber lenkt den Blick auf das Hufeisen – das Zusammentreffen von Linken und Rechten zum Schaden aller. Das macht Falters Analyse so wertvoll: Er kommt mit zeitlichem Abstand der Wahrheit näher. Und daraus ergibt sich ein Blick auf die Gegenwart: Die Gefahr für Freiheit, Demokratie, Frieden und Wohlstand geht nicht von Links- oder Rechtsradikalen aus – sondern durch das Zusammenspiel im Geist eines verschwiemelten Sozialismus, der sich in allerlei Farben kleidet.

Jürgen W. Falter, Hitlers Parteigenossen. Die Mitglieder der NSDAP 1919 – 1945. Campus Verlag, 584 Seiten, 45,00 €


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