Tichys Einblick
Ungehorsam ist erste Bürgerpflicht

Die bürgerliche Mehrheit muss die Vorherrschaft zurückgewinnen wollen

Ein Nebel aus Inkompetenz, Selbstüberschätzung, Wirklichkeitsverweigerung, bürokratischer Selbstknebelung und ideologischer Verblendung liegt über dem Land, analysiert Wolfgang Herles. Ihn zu vertreiben, dazu will der Autor die Deutschen mit „Mehr Anarchie, die Herrschaften“ anstiften.

Als im Biergarten ein Mann nach der zweiten oder dritten Maß lautstark zur Revolution aufrief, hoben sich gleich mehrere Daumen. „Wer soll denn den Laden übernehmen?“, fragte ein Mann am Nachbartisch. „Wollen Sie es tun? Oder fällt Ihnen sonst jemand ein?“

Das Geschrei in allen Lüften schwillt an. Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut. Nur dem Wutbürger? Der vorausgesagte Wutwinter fiel zwar wegen Klimaerwärmung aus. Freuen wir uns nicht zu früh! Der nächste Winter kommt bestimmt.

Verschanzen Sie sich nicht in Ihre Schutzräume, in denen Sie Kopfhörer aufsetzen, gute Musik hören und gute Bücher lesen! Kommen Sie heraus und machen Sie sich bemerkbar! Wenn es viele tun, wird es seine Wirkung nicht verfehlen. Cocooning und Landlust: why not. Aber kein Ersatz für das, was notwendig ist.

Wer nicht will, dass sich alles ändert, muss sich selbst ändern. Wer nicht will, dass eine Minderheit die Mehrheit politisch übertönt, muss seine eigene Stimme erheben. Die Verteidigung der eigenen Kultur ist Häuserkampf, alltäglicher Nahkampf. Wie ist er zu führen? Nicht in Deckung gehen, sondern zurückschießen! Widersprechen: in der Kantine, in der Kneipe, beim Fernsehen mit anderen, am Arbeitsplatz. Nicht weghören, sondern wach bleiben gegenüber den Zumutungen der Woken. Nicht aus Bequemlichkeit Verständnis vortäuschen. Furchtlos bleiben. Auch nicht aus Angst vor falschem Beifall zurückhalten, was zu sagen ist.

Mit mir nicht! Damit fängt es notwendigerweise an. Verweigerung ist der erste Schritt des Widerstands. Anpassung dagegen ist der erste Schritt der Unterwerfung.

Wer sich über die Genderei ärgert, sollte sich nicht selbst dazu nötigen lassen. Akzeptieren Sie keine gegenderten Schriftstücke. Lesen Sie auch keine gegenderten Zeitungen, Bücher, Onlineangebote! Kaufen Sie nichts, was mit politischen Bekenntnissen versehen angepriesen wird.

Meiden Sie Theater, deren Produktionen der Critical Race Theory, der Cancel Culture und der Gendertheorie folgen.

Eine Schadensbilanz der Berliner Republik
Die neue Normalität: Krise und die Lust am Untergang
Würden sich Tausende beschweren, wäre manches nicht mehr der Fall. Zum Beispiel das Gendern in Behörden, Firmen, Medien. Ausgerechnet Kulturinstitutionen sind besetzt von sprachlicher Unkultur. Beschweren Sie sich! Beschweren Sie sich bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, und zwar immer gleich beim Rundfunkrat! Das bringt, ich weiß es aus Erfahrung, den Verursachern der Beschwerde Arbeit und oft auch Ärger ein. Beschweren Sie sich über alles, was Sie beschwert: Bahn, dysfunktionale Flughäfen, Behörden. Die nicht woke Mitte kann Druck erzeugen. Sie muss es nur tun.

Ignorieren Sie Verhaltensempfehlungen! Essen Sie so viel Fleisch, wie Sie wollen, so viel Schokolade, wie Ihnen bekommt, so viel Fett, wie Ihnen schmeckt. Lassen Sie sich kein E-Auto aufschwatzen! Fliegen Sie um die Welt, solange es noch möglich ist. Stellen Sie Ihre Ohren auf Durchzug!

Nutzen Sie Möglichkeiten, Verbote und Gebote zu missachten, solange Sie damit nicht sich und andere gefährden. Gehen Sie nicht nur bei Grün über die Straße, aber schauen Sie vorher nach rechts und links. Was das bringt? Das gute Gefühl, der eigenen Vernunft zu folgen statt nur der sturen Regel. In der Covid-Zeit waren Verstöße gegen den Verbots-Irrsinn die einzig mögliche Gegenwehr. Trainieren Sie kreativ Ihre Lust auf zivilen Ungehorsam.

Werden Sie zum bürgerlichen Aktivisten

Gleiches Recht für alle! „Es ist absolut legitim, für seine Anliegen zu demonstrieren und dabei auch Formen des zivilen Ungehorsams zu nutzen“, sagte Bundesumweltministerin Steffi Lemke von den Grünen. Warum soll das nur für die Klimakleber gelten?

Werden Sie zu bürgerlichen Aktivisten! Schlagen Sie die radikalen Linken mit ihren eigenen Waffen. Legen Sie zum Beispiel mit konzertierten Aktionen die antifeministische Denunziantenmeldestelle lahm. Boykottieren Sie die Boykotteure! Seien Sie lästig und unbequem! Es könnte dann auch für Sie selbst unbequem werden. Das halten Sie aus. Früher nannte man es Zivilcourage. Wo bleibt die Zivilcourage gegenüber der antibürgerlichen „Zivilgesellschaft“?

Der Kampf ist noch nicht verloren, aber noch lange nicht gewonnen. Geben Sie auf dem Schlachtfeld keinen Meter preis. Der Bürgerliche will nett sein, tolerant, verträglich und sich nicht schmutzig machen – es sind seine Tugenden. Dieser Kampf ist aber nicht mit gezogenem Scheitel zu gewinnen. Toleranz ist auf diesem Schlachtfeld tödlich.

Die Bürger, die grollen und murren und
zuweilen trotzig auf Protest bestehen,
sind den ausgesprochen autoritären links-grünen Fanatikern suspekt

Die Bürgerlichen, die sich zur Wehr setzen, spüren, dass sie keine Minderheit sind, sondern nur von anderen Minderheiten, die noch die Diskurshoheit genießen, übergangen, verunsichert und verängstigt werden. Die bürgerliche Mehrheit muss ihre Vorherrschaft zurückgewinnen wollen.

Das ist sie nicht gewohnt. Deshalb muss sie sich, allen individualistischen Neigungen zum Trotz, als Interessengemeinschaft empfinden. Gleichgesinn­te sollten sich solidarisieren mit jenen, die in Shitstorms und Schlimmeres geraten.

»Bürger« kommt von »Burg«
Über die Gefährdung und Verteidigung der bürgerlichen Demokratie
Vergessen Sie, dass bürgerlicher Protest in die Nähe des Rechtsradikalismus gerückt wird. Liberale und Konservative versuchen, der Kontaktschuld zu entgehen. Sie meiden jedes Wort, das sie in die Nähe der Unberührbaren rücken könnte. In den Parlamenten werden vernünftige Vorschläge verworfen, wenn die Gefahr besteht, die AfD könnte sich ihnen anschließen. Diese Methode funktioniert zwar überall, doch immer weniger. „Das klingt nach AfD“ ist ein Totschlagargument, das sich abnutzt. Sich von Kontaktschuld nicht einschüchtern zu lassen ist leichter gesagt als getan, aber notwendig.

Das Elend der Konformität

Die Feinde der offenen Gesellschaft bedienen sich gern auch der Sozialwissenschaften, wenn es darum geht, ihre bürgerlichen Gegner zu diffamieren und sie als gekränkte und gescheiterte Verlierer der Zeitenwende zu verspotten. In der erprobten Art von Zwangsregimen werden sie für geistig krank erklärt. Die Medien schließen sich in großem Stil an. So ist Narzissmus zum großen Modethema geworden. Überall werden toxische Narzissten aufgespürt, vor allem natürlich unter alten weißen Männern. Mit dem Verdikt „Narzissmus“ wird das natürliche Streben nach individuellem Glück („pursuit of happiness“, das Grundrecht, das in der amerikanischen Verfassung steht) verunglimpft und verfälscht und das Elend der Konformität zur Konvention erhoben.

Dem Nonkonformisten wird eine gestörte Persönlichkeit unterstellt. Als „Konsensleugner“ bezeichnen etwa die Schweizer Soziologen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Bürgerlichen in ihrem Buch „Gekränkte Freiheit“. Zum abnormalen Abweichler wird auch der, der wie die Mehrheit denkt  – nur dass eben eine Minderheit die öffentliche Debatte dominiert. In den Augen dieser „Wissenschaftler“ besitzt der „Konsensleugner“ eine gestörte Persönlichkeit, weil er an Werten festhält, die die Soziologen als „Tyrannei der Leistung“ und „negative Individualisierung“ verurteilen. Untertitel der stark beachteten Abrechnung mit der westlichen Zivilisation: „Aspekte des libertären Autoritarismus“.

Das antiautoritäre Denken der um ihre Freiheit fürchtenden Bürger wird von denen als autoritär gebrandmarkt, die aus ihrer linken, antiautoritären Tradition herausgerückt sind – also den eigentlich Verrückten. Die Bürger, die grollen und murren und zuweilen trotzig auf Protest bestehen, sind den ausgesprochen autoritären links-grünen Fanatikern suspekt. Die beiden Wissenschaftler geben dankenswerterweise die Theorie eines neuen faschistoiden Denkens preis. Es ist nur noch ein kleiner Schritt bis zur Kriminalisierung der Bürgerlichen als Gesellschaftsfeinde.

Auf einen Erlöser zu warten wäre sinnlos. Erlöser sind von Natur aus autoritär, nicht liberal. Moses war ein moralistischer Tyrann. Er wütete und tötete, als er sein auserwähltes Volk um das Goldene Kalb tanzen sah. Erlösen kann sich das Volk nur selbst.

Mitlaufen
Eine Bestandsaufnahme zum Stand der Konformität
Immer haben Sie bei Wahlen die kleineren Übel angekreuzt. Was, wenn es keine kleinen Übel mehr gibt, sondern nur noch ein großes, an dem alle Parteien ihren Anteil haben? Wenn es am Ende egal ist, was Sie wählen, weil sowieso die Grünen regieren, egal mit wem, egal ob an der Regierung oder nicht? Es ist doch nicht egal, wie die Wiederholungswahl in Berlin beweist.

 

Nichtwählen ist keine Alternative

Nicht zu wählen ist keine Alternative. In der Bonner Republik blieb etwa jeder achte Wahlberechtigte der Stimmabgabe fern, in der Berliner Republik jeder vierte. Die Zahl der Nichtwähler ist größer als die Zahl der Stimmen für jede Partei. Nichtwähler sind aber nicht die „größte Partei“; sie sind gar keine Partei. Sie spielen keine Rolle. Ob Sie aus Gleichgültigkeit nicht wählen oder aus Missmut, macht keinen Unterschied. Die Parteien lassen sich in ihrer Selbstgefälligkeit nicht beirren und scheren sich nicht um die unheimliche Mehrheit. Stellt euch vor, es sind Wahlen, und keiner geht hin!

Auch wenn es so aussieht, als gäbe es kein Besser-so, auf keinen Fall das Weiter-so wählen! Keine Partei sollte sich sicher fühlen. Stimmen Sie grundsätzlich für Oppositionsparteien! Auch wenn Sie glauben, dass ein Wechsel nicht viel bringt, sollten Sie den Regierenden größtmöglichen Schaden zufügen.

Auszug aus:
Wolfgang Herles, Mehr Anarchie, die Herrschaften. Eine Anstiftung. LMV, Hardcover mit Schutzumschlag, 192 Seiten, 22,00 €.


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