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Der progressive Rassismus – Wie unsere geistige Kultur zerbricht

Europäische Traditionen, liberale Kultur, menschenrechtlicher Universalismus, demokratische Diskussionskultur und wissenschaftliche Rationalität – all das wird als diskriminierende, islamophobe und rassistische Unterdrückung verfemt. Von Egon Flaig

In Frankreich tobt seit 2018 ein Kulturkrieg. Die ehemalige Linke ist in lauter identitäre Strömungen zerbrochen: Homosexuelle, Feministinnen, Altlinke stehen plötzlich nicht mehr an vorderster Front der ›Befreiung‹, sondern sie werden nun selber beschuldigt und attackiert von Strömungen, die unter der Parole der ›Decolonisation‹ alles bekämpfen, was als ›weiß‹ gilt. Das war vorherzusehen. Als die Linke in den 1970er Jahren ihre internationalistische Orientierung verlor, um im Kampf gegen den globalen Imperialismus zunehmend die kulturellen Besonderheiten hochzuhalten, gab sie jene universalistischen Maßstäbe preis, aus denen sie hätte Argumente schöpfen können, um unerträgliche kulturelle Besonderheiten zu kritisieren. So sind Feministinnen allmählich in die Ausweglosigkeit geraten, die islamische Frauenunterdrückung gutheißen zu müssen, weil diese kulturelle Besonderheit ein widerständiges Element gegen den imperialistischen Westen sei: Judith Butler bietet dafür ein makabres Beispiel.

Die Entwicklung ist inzwischen weitergegangen. In den französischen Vorstädten sind regelrechte arabo-islamische Parallelgesellschaften mit no-go areas entstanden, die sich den Gesetzen der Republik nur noch zwangsweise fügen. Unterdessen erstehen in der Medienszene ebenso wie in den akademischen Milieus intellektuelle Fürsprecher der religiösen und rassischen Segregation.

Diese Ideologen verhöhnen systematisch die Grundwerte einer demokratischen Republik und bekämpfen diese als ›Ideen der weißen Vorherrschaft‹. Unzählige Initiativen, die sich oft als ›Indigene‹ bezeichnen, agieren im akademischen, medialen und kulturschaffenden Milieu, am heftigsten die Parti des Indigènes de la République. Sie mobilisieren gegen den »Imperialismus der Schwulen« und gegen den »weißen Feminismus«, der ihnen seine Weltsicht aufzwingen will – »gegen unsere Familien und unsere Stadtviertel«. In Lyon hat ein Collectif décolonial verlangt, den Begriff ›Fortschritt‹ aufzugeben, »weil er für die Nicht-Weißen sinnlos ist«. Europäische Traditionen, liberale Kultur, menschenrechtlicher Universalismus, demokratische Diskussionskultur und wissenschaftliche Rationalität – das alles wird nun verfemt als Ausgeburten einer diskriminierenden, islamophoben und rassistischen Unterdrückung, gegen die sich die ›Nicht-Weißen‹ erheben sollen.

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Als Feministinnen 2016 zweimal Veranstaltungen abhielten, aus denen Weiße ausgeschlossen waren, hagelte es noch Proteste. Doch 2018 brach der Damm. Am 23.4.2018 kam es zu Großveranstaltungen mit ›nicht-gemischter Teilnahme‹ an den Pariser Universitäten Nanterre und St. Denis. In Nanterre agitierten die Aktivisten gegen die ›Ausbreitung der Homosexualität als Form politischer Identität‹ und als ›neokoloniales Verhalten des Westens‹; die Taktik der rassischen Segregation müsse diesen Trend stoppen. Freilich sei die Segregation nur der erste Schritt zur Dominanz auf rassischer Basis: Es gelte – so der Aktivist Max Fraisier-Roux in seinem Schlußwort –, innerhalb der ›Protestbewegungen‹ den Weißen die Kontrolle zu entziehen und sie anzuleiten.

Etwa 15 km entfernt, an der Universität St. Denis – im überwiegend muslimischen Norden von Paris –, fand am selben Tag eine Versammlung der »Gemeinsamen Front der Fakultäten gegen die Selektion« statt. Deren Aktivisten diffamieren sämtliche Erfordernisse, nachweisbare Studienleistungen zu erbringen, insbesondere in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern als ›Selektion‹; und sie verschreien das Studium der großen klassischen Texte als europäischen Elitismus. Auf dieser ›rassisch nicht-gemischten‹ Versammlung gründete sich eine neue Organisation namens Antirassistische VolksGegenwehr (RAP); die Sprecherin verlas das Gründungsdokument und endete mit den Worten: »Wir antirassistischen Studenten bemächtigen uns der Nicht-Mischung als eines Werkzeugs der politischen Organisation […]. Die Einzigen, die sich ausgeschlossen fühlen durch unsere Worte, sind unsere politischen Feinde!« Danach sprach sie auf Arabisch weiter, unter dem Beifall der Zuhörer.

Diese Feinderklärung an die ausgeschlossenen Weißen indiziert das Klima, in dem die Dozenten von Paris-VIII (St. Denis) zu lehren haben. Den ›dekolonialen‹ Aktivisten ist es partiell gelungen, die französische Gesellschaft in Rassen auseinanderzudividieren. Islamistische Strömungen schmieden Einheitsfronten gegen die ›weiße französische Kultur‹, Bewegungen, die französische Araber und Schwarzafrikaner vereinen, obschon letztere zu einem substantiellen Teil keine Muslime, sondern Christen sind. Die ›linken‹ antirassistischen Organisationen, wie z.B. SOS-Racisme, kollabieren, weil sie sich rassisch spalten.

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Auch das war vorherzusehen. 1948 hatte Jean-Paul Sartre in seinem Aufsatz »Orphée noir« einen »antirassistischen Rassismus« befürwortet – als Mittel, um zu einer ›rassenlosen Gesellschaft‹ zu gelangen. Daraus machte Frantz Fanon 1961 in seinem Buch Die Verdammten dieser Erde ein Programm zur Unterwerfung Europas und der weißen Rasse, deren Ausgeburt die verhaßte europäische Kultur sei. Heute geht diese Saat auf – just an den westlichen Universitäten. Die mit einem marokkanischen Paß versehene Kultusministerin unter der Präsidentschaft Hollande, Najat Vallaud-Belkacem, die selber zweimal die Aufnahmeprüfung zur ENA nicht bestand, hat das Curriculum an den französischen Gymnasien mit einer ›antielitären‹ Agitation auf ein dekolonialistisches Niveau abgesenkt; und beschimpfte jene Größen des Geisteslebens, die dagegen protestierten, als ›Pseudo-Intellektuelle‹.

In Deutschland hat man fast nicht wahrgenommen, welche Verwüstungen diese Aktionen inzwischen an den Universitäten und im Kulturbetrieb unseres Nachbarn angerichtet haben. Stattdessen die systematische Verharmlosung. Der Feuilletonist Patrick Bahners hat es in der FAZ vom 25.5.2016 begrüßt, daß die ehemalige Justizministerin Christiane Taubira »Maßnahmen der inneren Dekolonisierung« forcierte. Nach ihr ist ein Memorialgesetz benannt, das den europäischen Sklavenhandel zu einem »Verbrechen gegen die Menschheit« stempelt, nicht aber den viel umfangreicheren islamischen. Daß diese ungleiche Schuldzuweisung geradewegs in einen Rassismus neuer Art führen mußte, hat den Journalisten nicht gekümmert.

Anders als in den USA und in Großbritannien haben französische Intellektuelle auf breiter Front begonnen, gegen diese Zerstörung der republikanischen Werte aufzustehen. In drei Manifesten ist dieser Protest 2018 zu Wort gekommen. Zunächst veröffentlichte der Figaro am 20.3. ein Manifest von 100 Intellektuellen unter der Überschrift »Nein zum islamistischen Separatismus«. Die Unterzeichner geißeln darin den »neuen islamistischen Totalitarismus«. Es folgte am 21.4. im Le Parisien – Aujourd’hui en France Dimanche das Manifest »Gegen den neuen Antisemitismus«. Die 100 prominenten Unterzeichner prangern den unter den Muslimen grassierenden Antisemitismus an, der immer gewaltsamer wird, inzwischen ganze Stadtviertel ethnisch gesäubert und über 50.000 Juden zum Wohnungswechsel in Paris und eine fast doppelt so große Zahl zum Auswandern aus Frankreich veranlaßt hat.

Mit beiden Manifesten hat ein wachsender Teil des französischen Geisteslebens den politischen Islam als gefährlichsten Feind der französischen Demokratie benannt – in aller Öffentlichkeit und mit eigenem Namen. Das dritte Manifest erschien am 28.11. in Le Point und nennt sich »Appell der 80«. Darin appellieren prominente Franzosen an Behörden und Institute, gegen die Zerstörung der freien Debatte und der intellektuellen Standards vorzugehen. Die deutschen Europäer tun gut daran, aufmerksam zu beobachten, was sich in unserem Nachbarland ereignet. Tua res agitur.

Auszug aus: Egon Flaig, Was nottut. Plädoyer für einen aufgeklärten Konservatismus. manuscriptum, 176 Seiten, 19,90 €


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