Tichys Einblick
Tichys Lieblingsbuch der Woche

Der manipulative Staat im Zeichen der Regenbogenfarben

Deutschland in naher Zukunft, kurz vor der Bundestagswahl: Die aussichtsreichste Kanzlerkandidatin ist Feministin, Muslimin, Einwanderin, Mitglied der ökologischen Partei und entschlossen, Diversitätsquoten gesetzlich zu verankern – von ihren Anhängern umjubelt in einem Meer von Regenbogenfahnen

»Wollt ihr absolute Diversität?«, schreit ein junger Mann mit Vielfaltsmerkmal ins Megaphon. »Ja!«, skandiert die Menge, klatscht und jubelt. »Ja!« Die Demonstrierenden lassen Ballons in Regenbogenfarben und in Form eines D steigen. D wie »Diversity«. Alle großen linken Gruppierungen sind vertreten, Antirassismusaktivisten, Kapitalismusgegner, Migrantenorganisationen, Klimaschützer. In ihren Gesichtern stehen Zeichen von Wut und Anspannung, von jahrelangem Kampf. Auf der anderen Seite der Absperrung wettern die Gegner.

»Stoppt die feindliche Übernahme unseres Landes!«, ruft dort ein alter weißer Mann ins Mikrophon. Hinter ihm recken weiße Männer und Frauen Fäuste in die Luft oder halten Plakate hoch. Auf manchen steht »Für meine Heimat«, andere zeigen Bilder von Frauen mit Hijab, mit dicker roter Farbe durchgestrichen. Die Rechten schreien zornerfüllt. Alles, was sie hassen, ist direkt vor ihnen.

Wie zwei Kampfhunde an der Leine, bellend und fletschend und gerade so zurückgehalten, dass sie sich nicht zerfleischen, stehen sich links und rechts vor der Zentrale der Ökologischen Partei gegenüber. Es ist der Tag der Entscheidung. Nur noch wenige Minuten bis 18 Uhr, bis ihr Deutschland vielleicht ein anderes sein wird. Bis Sabah Hussein als erste Muslima zur neuen Bundeskanzlerin gewählt sein wird – oder auch nicht.

»Ein unverbrüchlich menschliches Buch«
George Orwell: Auf der Suche nach Wahrheit in einer Welt voller Lügen
So beginnt Constantin Schreibers Roman »Die Kandidatin«, der weit übers Feuilleton hinaus für eine Debatte gesorgt hat. Ob ein zur Neutralität verpflichteter Sprecher der »Tagesthemen« überhaupt einen – in der Anlage zwar satirischen – Roman über ein politisch brisantes Thema schreiben darf, war noch die harmloseste Reaktion: als »dumpf« (NDR), als ein »rechtspopulistisches Pamphlet mit altbekannten Feindbildern« (SZ) und »politisches Hass-Pamphlet, das Angst vor Migranten schürt« (taz) – wurde es verurteilt.

Weitaus differenzierter bespricht hingegen Thomas Brussig im Tagesspiegel diesen Roman – den er sowohl mit Michelle Houellebecqs »Unterwerfung« als auch mit Orwells »1984« vergleicht: »Sicher wird ›Die Kandidatin‹ mit dem Argument ›Ist ja nun alles andere als große Literatur‹ kleingeredet. Das mag sein. Aber dann ist es der Klassiker ›1984‹ auch nicht. Wie das Vorbild hat Schreiber Ängste seiner Gegenwart ernst genommen, weitergedacht und zu einem Gesamtbild verdichtet. Er hat einen Roman geschrieben, über den in den kommenden Wochen und Monaten heftig gestritten wird. Wer ihn nicht gelesen hat, wird nicht mitreden können.«

Spannend vor diesem Hintergrund ist auch Constantin Schreibers Werdegang, der als Jugendlicher einige Zeit in Syrien lebte, wo er die arabische Sprache erlernte, nach seinem Jurastudium für die libanesische Tageszeitung »Daily Star« in Beirut, als Korrespondent des arabischen Programms der »Deutschen Welle« in Dubai und als Medienberater für den Nahen Osten im Auswärtigen Amt tätigt war. Seit 2011 moderiert Schreiber für den ägyptischen Sender ONTV das Wissensmagazin »SciTech – Unsere Welt von morgen«, das in Ägypten produziert wird und dort bis zu vier Millionen Zuschauer erreicht.

Bevor Constantin Schreiber zur ARD wechselte, arbeitete er von 2012 bis 2016 für verschiedene Sender, darunter auch für n-tv. Für seine Arbeit am Format »Marhaba – Ankommen in Deutschland«, in dem er auf Arabisch das Leben in Deutschland erklärt, wurde er 2016 mit dem Grimme-Preis in der Kategorie »Information und Kultur/Spezial« ausgezeichnet.

Nun hat Schreiber seinen ersten Roman vorgelegt, ihn im Deutschland einer undatierten aber nahen Zukunft angesiedelt und darin konsequent durchgespielt, wohin es führt kann, was in unserer Gegenwart bereits als gesellschaftliche Realität aufscheint.

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So etwa, wenn er die Auflösung von Polizei und innerer Sicherheit schildert. Man könnte meinen, der hessische Innenminister habe bei Schreiber abgeschrieben, schaut man sich die Vorgänge um eine Spezialeinheit an, der Rassismus unterstellt wird, weil vor vier Jahren Polizisten Wörter wie »Nafri« oder »Zigeuner« benutzt haben. Bei Schreiber liest sich das so: Empirische Studien haben gezeigt, dass alleine das Wort »Polizei« oder der Anblick von Polizeiabzeichen bei Menschen mit Vielfaltsmerkmal Stressreaktionen auslösen kann. Deshalb setzt man auf »Bürger:innen-Verantwortliche«, kurz B:V. Unter dem Motto: »Aus dem Bezirk für die Menschen im Bezirk« soll die Polizei nach und nach abgezogen und durch B:V ersetzt werden.

»Die Matrix« soll nach der Wahl der Kandidatin zur Bundeskanzlerin über die Zulassung zu allen Lebensbereichen entscheiden, so auch zum Studium, zu politischen Ämtern oder Jobs in der öffentlichen Verwaltung:

»Denn erst wenn überall Vielfalt im Sinne der Matrix herrscht, wenn also Schüler:innen, Lehrer:innen, Schauspieler:innen, Chirurg:innen, einfach alle gleichermaßen aus BIPoCs, Homosexuellen, Diversen, Muslim:innen, Menschen mit Behinderung und allen anderen irgendwie Diskriminierten bestehen, dann kommen wir einer gesellschaftlichen Gerechtigkeit näher.«

Über ein »Vielfaltförderungsgesetz« soll die Diversitätsquote gesetzlich geregelt und umgesetzt und der Grad der jeweiligen Diskriminierung in den Personalausweisen festgehalten werden. Klar, dass so »biodeutsche« weiße Frauen oder Männer keine Chance mehr haben. Und es gilt längst als verpönt, die Deutschlandflagge zu zeigen. Stattdessen wehen überall Regenbogenfahnen, in deren Mitte ein D für »Diversity« prangt, daneben eine nach oben gereckte schwarze Faust.

Wer den Zirkus um die Regenbogenfarben rund um das Spiel Ungarn gegen Deutschland verfolgt hat, bemerkt: so fern ist dieses Zukunftsszenario gar nicht, das Constantin Schreiber in »Die Kandidatin« beschreibt; in weiten Teilen scheint es sogar bereits eingetreten zu sein.

Constantin Schreiber, Die Kandidatin. Roman. Hoffmann und Campe, 208 Seiten, Taschenbuchausgabe, 12,- €


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