Tichys Einblick
Lautlose Eroberung

Chinas Griff nach der Weltherrschaft

In einem kenntnisreichen Buch haben zwei China-Experten die Methoden aufgezeigt, derer sich die Kommunistische Partei Chinas bedient, um die Weltherrschaft zu erringen. Sie kann auf einflussreiche Verbündete in der westlichen Welt zählen.

Die erste der beiden Hauptthesen des Buches der China-Experten Mareike Ohlberg und Clive Hamilton lautet, dass, wenn man von China und von chinesischen Interessen spricht, man klar von der Herrschaft und den Herrschaftsinteressen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) sprechen muss, denn die Interessen der KPCh und des chinesischen Volkes sind alles andere als kongruent, auch wenn sich die Kommunisten immer auf das Volk berufen.

In der zweiten Hauptthese heißt es: „Die Kommunistische Partei Chinas ist entschlossen, die internationale Ordnung zu verändern und die Welt nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Anstatt andere Länder von außen anzugreifen, sucht die Partei Verbündete, bringt Kritiker zum Schweigen und unterwandert westliche Institutionen, um den Widerstand gegen ihr Machtstreben von innen zu schwächen… Für die KPCh hat der Kalte Krieg nie geendet.“

Eine aktuelle Meldung bestätigt die Thesen von Clive Hamilton und Mareike Ohlberg. Zum 23.11.2020 lud China zur Weltkonferenz zum Thema Internet ins südchinesische Wuzhen ein. Zhao Zeliang vom Nationalen Internet Informationsamt in Peking erklärte in typischer Propagandamanier der Kommunistischen Partei Chinas: „Die Veranstaltung in Wuzhen soll den Geist der Offenheit und Zusammenarbeit vermitteln. Wir wollen deutlich machen, dass China dazu beitragen will, den globalen Cyberspace zu einem inklusiven und ausgewogenen Ort zu machen, von dem alle profitieren können.“ Wenn China von „allen“ spricht, meint es China, genauer die Kommunistische Partei Chinas.  In Wahrheit wird das Internet in China stark überwacht und zur Kontrolle und Manipulation der chinesischen Bürger genutzt. Ziel der KPCh ist es, das Expansionsprojekt „Neue Seidenstraße“ für das Internet zu adaptieren.

Nur ein Artikel, dafür aber ein Indiz:
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Hamilton und Ohlberg analysieren und beschreiben in ihrem Buch Standardoperationen der KPCh im Kampf der Unterwanderung der westlichen Welt. In diesem Zusammenhang weisen Ohlberg und Hamilton auf den Aufsatz „Über Widersprüche“ von Mao aus dem Jahr 1937 hin, der zwischen Widersprüchen innerhalb des Volkes und solchen, die „zwischen dem Volk und den Feinden des Volkes“ existieren, unterscheidet. Da nichts Verwerflicheres existiert, als dem Volk zu schaden, darf es für Volksfeinde keine Schonung geben. Ohlberg und Hamilton schreiben: „Wichtig ist, dass den Reaktionen der KPCh keine Grenzen gesetzt sind, wenn sie mit dem Widerspruch zwischen dem Volk und seinen Feinden konfrontiert ist. Dann muss sie alles tun, was in ihrer Macht steht, um den „Volksfeinden“, die keinerlei Rechte haben, Einhalt zu gebieten. Im ideologischen Kosmos KPCh behindern diese Personen den Fortschritt der Menschheit und müssen mit allen Mitteln bekämpft werden.“ Unter Xi Jingping wurde die Vorstellung der Widersprüche innerhalb des Volkes und der „zwischen dem Volk und den Feinden des Volkes“ wieder in die Parteistatuten aufgenommen, betonen Ohlberg und Hamilton.

Übrigens lohnt die Lektüre Maos auch deshalb, weil seit dem Amtsantritt Xi Jinpings der Maoismus wieder zur Richtschnur wurde. Xi stützt sich auf drei ideologische Strömungen, auf den Konfuzianismus, der die Ein- und Unterordnung unter dem großen Ganzen predigt, den chinesischen Nationalismus, den rotgrüne Apologeten Chinas geflissentlich übersehen oder sogar für legitim halten und schließlich den Maoismus, der an Bedeutung gewinnt, denn der Maoismus ist letztlich die konfuzianische Lesart des Marxismus, die George Orwell in „1984“ beschrieb.

Mao behauptete, dass 95 Prozent der Menschen gut seien und damit „automatisch auf der Seite der Kommunistischen Partei, die nicht umsonst als „Avantgarde des Volkes“ galt, stehen. Dagegen existieren 5 Prozent schlechte Menschen, die das Ziel einer Säuberung zu sein haben, damit sie nicht das Volk, das an sich gut ist, verderben. Nur die KPCh weiß, was gut für das Volk ist. „Wenn es nach der chinesischen Propaganda geht, deckt sich die Haltung des Regimes in Beijing im Allgemeinen mit dem, was die Menschen der Welt denken.“

Insofern verwundert es nicht, dass die KPCh behauptet, dass die Schließung des Konsulats in Chengdu eine „legitime und notwendige Reaktion auf die unvernünftigen Handlungen der USA“ ist und „die Verantwortung … vollständig bei den Vereinigten Staaten“ lägen. China, zitiert die WELT das chinesische Außenministerium, fordere die USA erneut auf, ihre Entscheidung zu korrigieren und so die Bedingungen für eine Rückkehr der bilateralen Beziehungen zur Normalität zu schaffen. Interessant ist, dass die chinesische Propaganda geschickt die Karte des Multilateralismus gegen die böse unilaterale Politik der USA spielt, um à la longue mit dem Projekt der „Neuen Seidenstraße“ den chinesischen Unilateralismus durchzusetzen, der – schlimmer noch – im Grunde ein robuster Neokolonialismus sein wird.

Der KPCh gelingt es virtuos, westliche Medien, Denkfabriken und Politiker zum biaotai zu verleiten. Gemäß des biaotai, der ein wichtiger „ritueller, rhetorischer und politischer Akt“ ist, wird durch die Wiederholung einer bestimmten politischen Phrase (tifa) oder eines Slogans (kouhao) der Partei Gefolgschaft erwiesen. Wenn der Artikel über die Spannungen zwischen der KPCh und den USA mit dem Satz schließt: „Trumps Regierung steht für eine „America first“-Politik, die jahrzehntealte multilaterale Bündnisse infrage gestellt hat“, dann wiederholt die WELT nur den Vorwurf der chinesischen Propaganda vom Unilateralismus der USA im Gegensatz zum chinesischen Multilateralismus, den China im Interesse aller Völker verteidigt, und betreibt damit biaotai, den Erweis der Gefolgschaft. Aber der deutsche Journalismus liebt inzwischen das Gefolgschaftswesen, das er neudeutsch Aktivismus nennt.

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Wichtiges Mittel der Herstellung der chinesischen Hegemonie ist die sogenannte Einheitsfrontarbeit, denn schließlich müssen die 95 Prozent der Menschen in der Welt, die gut sind, gegen die bösen 5 Prozent Volksfeinde vereint werden. Die KPCh hat ein riesiges Netzwerk von Organisationen geschaffen, das dem Ziel folgt, die chinesische Vorherrschaft mittels „stiller Diplomatie“ überall auf der Welt durchzusetzen. Dem Politbüro und dem ZK der KPCh unterstehen direkt die Propagandaabteilung, zu der Nachrichtenagenturen und Medien wie Xinhua, China Daily und Voice of China gehören, und die Internationale Verbindungsabteilung. Von großer Bedeutung für die operative Arbeit ist die Abteilung für Einheitsfrontarbeit, die eine Vielzahl von Organisationen unterhält. Ohlberg und Hamilton zeigen minutiös auf, wie die einzelnen Organisationen im Ausland arbeiten und wie es ihnen gelingt, westliche Eliten vor den Karren der KPCh zu spannen.

Eine wichtige Rolle spielt die Wirtschaft, denn es gehört zur Taktik der KPCh, durch sie die Regierungen unter Druck zu setzen. Die Möglichkeit für Firmen, auf dem chinesischen Markt tätig zu werden, hat einen hohen Preis, denn abgesehen vom drohenden Diebstahl ihres geistigen Eigentums wird von den westlichen Managern erwartet, dass sie für die Interessen der KPCh in ihren Heimatländern wirken. In der Zusammenarbeit mit chinesischen Firmen wie bspw. Huawei ist es wichtig zu wissen, dass es praktisch in „allen großen und mittelständischen Privatunternehmen einschließlich solcher, die im Ausland tätig sind, … Parteikomitees“ gibt. Jack Ma, der Gründer von Alibaba, der es richtig fand, dass die Panzer der Volksbefreiungsarmee den Studentenprotest auf dem Tian’anmen-Platz niederwalzten, ist „seit den achtziger Jahren Parteimitglied.“ Hamilton und Ohlberg warnen in diesem Zusammenhang eindringlich: „Die Behauptung des Huawei-Gründers Ren Zhenfrei, er würde sich jeder Anweisung der Partei widersetzen, Daten an chinesische Geheimdienste weiterzugeben, erscheint lächerlich.“

Inzwischen sind Lobbyisten der KPCh in NGOs, großen Wirtschaftsunternehmen, an der Wall Street, in Institutionen der Regierungen und der Volksvertretungen angekommen. Im europäischen Parlament kümmert sich der chinesische Bürger Gai Lin darum, die Politik der KPCh zu unterstützen. „Gai brüstete sich damit, Gesetzesvorlagen zu entwerfen, zu ändern und alles zu tun, um zu verhindern, dass das Parlament den Dalai Lama einlade, und die Abgeordneten davon zu überzeugen, dass China immer noch ein Entwicklungsland sei, was dazu geführt habe, dass die EU 128 Millionen Euro an Entwicklungshilfe bereitgestellt habe.“

In einem außerordentlich wichtigen Kapitel zeichnen Ohlberg und Hamilton nach, wie es den chinesischen Kommunisten gelang, in die Elite der Wall Street einzudringen. Aufschlussreich ist das Beispiel des Gründers des Hedgefonds Bridgewater Associates Ray Dalio. Er warnte 2015, dass die Schuldenkrise in China einen kritischen Punkt erreichte. Doch als die Times Dalios interne Warnung veröffentlichte, ruderte Dalio, der sich bemühte das Chinageschäft aufzubauen, zurück und meinte, er sei falsch verstanden worden. Zwar äußerste sich Dalio 2018 pessimistisch zu den Aussichten der Weltwirtschaft, jedoch mit Ausnahme der chinesischen Wirtschaft, die er über den grünen Klee lobte: „China ist ungeheuer erfolgreich.“ Man braucht über die Werte von Finanzmagnaten wie Dalio nicht spekulieren, wenn sie schwärmen, China sei „eine Art von Familienstaat, der ‚elterliche‘ Verantwortung für seine Bürger trage“.

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Die Freiheitsrechte der Bürger stellen für Finanzoligarchen seit jeher ein Gewinnhindernis dar. Man darf auch nicht vergessen, dass US-amerikanische Banken wie J.P.Morgan Chase chinesische „Prinzlinge“ eingestellt haben, das heißt die Töchter und Söhne früherer und gegenwärtiger Parteifunktionäre in Spitzenpositionen, um Zugang zum chinesischen Markt zu bekommen. Intellekt oder fachliche Expertise spielen für ihre Einstellung keine Rolle, sondern einzig ihre familiären Verbindungen. Doch die Einstellung von „Prinzlingen“ stellt ein weitaus größeres Problem dar. „Eine genaue Beschreibung der Abläufe in einer amerikanischen Firma samt vertraulichen Informationen über die persönlichen und finanziellen Angelegenheiten der reichsten Personen in den Vereinigten Staaten kann einem Vater oder Onkel in China geschickt werden.“

Die zweite Meldung der ahnungslosen WELT lautet, dass die Wall Street sich von Donald Trump abwendet und Wahlkampf für Joe Biden gemacht habe. Bedenkt man, dass Donald Trump sogar gegen heftige Widerstände in der eigenen Regierung die chinesischen Aktivitäten gestoppt und sich gegen Chinas „lautlose Eroberung“ gestellt hat, und nach Darstellung von Ohlberg und Hamilton die Wall Street inzwischen enge Kontakte zur KPCH unterhält, dann erscheint die Reaktion der Wall Street nur als logisch. Die Personalie Joe Biden fügt dem Bild allerdings eine nicht unwesentliche Facette zu. Bereits in der Obama-Administration setzte sich Joe Biden für China ein. Ohlberg und Hamilton berichten, dass im Dezember 2013 Joe Biden eine offizielle Reise nach China unternahm. In der Air Force Two begleitete ihn sein Sohn, Hunter Biden. „Und weniger als zwei Wochen nach der Reise schloss Hunters Firma … eine Vereinbarung über die Gründung eines Investmentfonds namens BHR Partners, dessen größter Anteilseigner die staatliche Bank of China ist – und das, obwohl Biden junior kaum Erfahrung mit Kapitalbeteiligungen hatte.“

Das Buch von Clive Hamilton und Mareike Ohlberg zeichnet ein facettenreiches und informatives Bild der immer noch sträflich unterschätzen Einflussnahme der KPCh in der westlichen Welt, die ihr die Hegemonie einbringen soll. Menschenrechte und Freiheit, die Würde des Menschen und Demokratie sind für die KPCh Fremdworte.

Besonders lesenswert auch die Passagen, die skizzieren, wie und durch wen die KPCh Einfluss auf die deutsche Politik nimmt. Für Deutschland wird es darum gehen, die Exportabhängigkeit gegenüber China klug und stetig zu reduzieren, autonomer in der Produktion, vor allem von Medikamenten, zu werden und die chinesischen Beteiligungen an deutschen Unternehmen zu verringern. Das wird nicht leicht, ist aber hochnotwendig. Insofern ist Hamilton und Ohlberg zuzustimmen, wenn sie ihr Buch mit den Worten schließen: „Jedes Land wird einen Preis dafür bezahlen müssen, seine Anfälligkeit für den Druck des chinesischen Regimes zu verringern, aber langfristig wird es sich lohnen. China setzt seine wirtschaftliche Macht wie eine überwältigende Waffe ein.“

Hamilton/Ohlberg, Die lautlose Eroberung. Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet. DVA, 496 Seiten, 26,- €


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