Tichys Einblick
Energiedebatte

Bei Maischberger: Die deutschen Debatten sind zu feige

Grüne und CDU streiten bei Sandra Maischberger um die Wirtschaftspolitik. Dabei machen sie vor, dass die einen es nicht besser können und die anderen es nicht wirklich anders machen wollen.

Screenshot ARD / Maischberger

Florence Gaub ist Verteidigungsexpertin. Das ist momentan ein sicheres Geschäft. Einerseits brauchen Talkshows und andere Formate Menschen, die etwas zum Ukraine-Krieg sagen. Möglichst etwas, das über Sprachregelungen hinausgeht. Andererseits wollen sie ihre selbst gesetzten Frauenquoten erfüllen. Eigentlich wäre es daher ein Wunder, dass Florence Gaub bisher so selten im Fernsehen zu sehen war – wüsste man nicht, wie bräsig ARD und ZDF auf neue Situationen reagieren.

Nun ist Gaub bei Maischberger und das Thema der Stunde sind die Lecks der Nordstream-Pipelines in der Ostsee. Sie wird um eine Einschätzung gebeten, sagt, sie gehe von Sabotage aus und traue das Terrororganisationen nicht zu. Zum einen würden die sich mit einem solchen Erfolg brüsten. Zum anderen sei ein Anschlag in 80 Meter Tiefe so anspruchsvoll, dass eine solche Aktion Terroristen überfordere. Das hört sich schlüssig an.

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Ebenfalls schlüssig zieht Gaub die nächste Konsequenz: Wenn es Sabotage war und nicht Terroristen dahinterstecken, dann muss es eine Tat sein, die ein Staat veranlasst hat. Möglicherweise sei es Russland, zählt Gaub die Alternativen auf, weil Präsident Wladimir Putin ein Interesse daran habe, den Westen zu schwächen. Oder es sei „ein anderer Staat“, der ein Interesse daran habe, es den Russen in die Schuhe zu schieben.

„Ein anderer Staat“. Da macht das gebührenfinanzierte Fernsehen eine Talkshow zum Thema Nordstream und lädt sich eine durchaus sprachbegabte Expertin ein und dann traut die sich nicht mal Wörter wie „Amerika“ oder „USA“ auszusprechen – in einer Aufzählung von Möglichkeiten, die Gaub durchaus seriös als theoretische Szenarien gekennzeichnet hat. 

Es war wohl Sabotage und es waren wohl keine Terroristen. Also kommen vor allem Russland oder die USA als Auftraggeber in Frage. Selbst eine solch einfache Schlussfolgerung ist zu viel im deutschen Fernsehen. Ist zu gewagt in der deutschen Debatte. Eine Expertin sieht sich genötigt herum zu drucksen: Russland oder „ein anderes Land“. Feige wie mittelalterliche Bauern, die sich so vor der Sünde fürchten, dass sie den Teufel nicht beim Namen nennen. Der deutschen Debate fehlen klare, ehrliche und verständliche Worte. 

Das ist weit mehr als eine Stilfrage. Sprache bestimmt das Denken. Denken bestimmt das Handeln. Wer sich schon in der Sprache vor Unangenehmen wegduckt, der wird als Konsequenz auch in der Tat Unangenehmen ausweichen. Wie das in der Praxis funktioniert, machen die Grünen seit sieben Monaten mustergültig vor: Die wichtigste Energiequelle des Landes fällt weg, also braucht es Ersatz. Wenn nichts anderes da ist, dann halt eben Atomkraft. Eigentlich ein simpler Schluss, wenn man sich ihm in einem klaren, ehrlichen und verständlichen Gedankengang nähert.

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Doch seit sieben Monaten sieht Deutschland seinem Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) beim Denken zu: Wie er einen Ausweg nach dem anderen testet. Wie er sich für die Perspektive feiern lässt. Bevor er dann feststellt, dass es doch nur eine Sackgasse war. Dabei sekundieren Habeck die grünen Genossen, allen voran Katrin Göring-Eckardt. Die sah noch im Juli in Atomkraftwerken ein Thema, das nur da sei, um den Grünen zu schaden. Für Göring-Eckardt sind wirtschaftliche Notwendigkeiten nichts, was getan oder unterlassen werden muss, um ein inhaltliches Ziel zu erreichen. Sondern nur Themen, die sie ob ihrer medialen Verwertbarkeit bemisst. So denkt eine Politiker-Generation, die außerhalb der Politik nie nennenswert gearbeitet hat. 

Nun sitzt Göring-Eckardt bei Maischberger und muss erklären, warum ihr Wirtschaftsminister gerade etwas tut, das nach ihren Worten nur dazu dient, den Grünen zu schaden. Also die Laufzeiten zu verlängern. Das ist keine dankbare Aufgabe. Aber nicht unlösbar für eine Politikerin der Generation, die außerhalb der Politik nicht nennenswert gearbeitet hat. Sich aus einem Widerspruch zu lösen, fällt einem Politiker so leicht wie einem Bäcker ein Brötchen zu backen oder einem Maurer eine Bleiwaage anzulegen. Sie, Göring-Eckardt habe ja auch gesagt, ein kleines Stückchen könne die Atomkraft helfen. „Ganz am Anfang“ habe sie das gesagt. Das ist nicht viel. Aber für Maischberger und Grünen-Wähler reicht das. Ihre Partei steht immer noch bei 20 Prozent in den Umfragen.

Zu Göring-Eckardts überschaubarer Berufslaufbahn außerhalb der Politik gehört vor allem ein abgebrochenes Theologiestudium. Die Katholiken haben Weihrauch, um Menschen während des Gottesdienstes in einen Rauschzustand zu lullen. Die Evangelen haben Göring-Eckardt. Sie redet, wie Weihrauch wirkt: Diffuse Wolken erreichen den Kopf, vernebeln das Gehirn und lassen den Geist wegrutschen: „Dass wir nicht alle Straßen doppelt und fünffach beleuchten müssen und das die ganze Nacht, das überlegen sich die Kommunen gerade zu Recht“, umschifft Göring-Eckardt die Debatte um ein mögliches Beleuchtungsverbot an Weihnachten. Ab und an streut sie ein Schlüsselwort ein: Wir brauchen „einen Booster für die erneuerbaren Energien“. Amen. Die Gemeinde erwacht und wählt Grün. Weil ihre Anhänger daran glauben.

20 Prozent in den Umfragen. Trotz Grünen, die harte Corona-Maßnahmen fürs Volk fordern und selbst zügel- wie maskenlos Oktoberfest feiern. Trotz Annalena Baerbock, die erklärt, es sei nicht wichtig, was ihre Wähler denken. Und trotz Robert Habeck, der in der Energiepolitik so lange rumstümpert, bis er dann doch – nach immensem Schaden – das macht, was ihm alle außerhalb der Grünen von Anfang an geraten haben. 20 Prozent. Warum?

Die Antwort auf diese Frage sitzt auch bei Maischberger und heißt CDU. Die hat nach 16 Jahren Angela Merkel noch kein neues Personal hervorgebracht, das in die Talkshows gehen könnte. Also kommen Merkels ehemalige Minister. Dieses mal Julia Klöckner. Bei Merkel war sie Expertin für Landwirtschaft. Unter Friedrich Merz hat sie jetzt das Land gestrichen. 

Klöckner ist in Grün gekleidet. Grün mit schwarzen Flecken drauf. Die britische Queen hat es verstanden, mit Farbcodes politische Botschaften zu setzen. Klöckner war Weinkönigin. Da das Staatsoberhaupt eines Weltreiches – dort eine PR-Vertreterin für ein alkoholisches Getränk. Das illustriert hübsch den Niveau-Untersschied zwischen Königin und Weinkönigin. Schwarz-Grün als Botschaft, weil die CDU offen ist, für eine Zusammenarbeit mit den Grünen. Wie subtil. Wie keck.

Die CDU will die Grünen derzeit nicht hart kritisieren, sondern weich optimieren. Die Grünen sollen raus aus der Ampelkoalition gedrängt werden – rein in eine Jamaikakoalition mit der CDU an der Spitze. Wahlstrategisch mag das clever sein. Für die politische Debatte bedeutet das, dass die CDU zu eben der nicht viel beizutragen hat. Wie das funktioniert, macht Klöckner vor, als Sandra Maischberger sie auf ihre Position zur Atomkraft anspricht: „Erstmal halte ich für richtig…“, stammelt sie, sucht nach Worten und dann fallen sie ihr ein: „… also All-In brauchen wir.“ 

All-In. Was für eine hübsche Sprachregelung der CDU. Sie vermittelt den Realisten unter den Bürgern das Gefühl, die Partei Helmut Kohls kehre zur realistischen Wirtschaftspolitik zurück – lässt aber die Anschlussfähigkeit an die Grünen offen. Später sagt Klöckner zur Atomkraft: „Wir brauchen keinen Ausstieg aus dem Ausstieg.“ Wenn es darum geht, der grünen Zielgruppe zu gefallen, kann die Wirtschaftsexpertin der CDU plötzlich deutlich formulieren.

Auch hier gilt wieder: Es geht um viel mehr, als um stilistischen Geschmack: Die Sprache Klöckners, Jens Spahns und Friedrich Merz‘ verrät das Denken der CDU: Allen Wohl und keinem Weh. Symbolische Handlungen statt politischer Tat. So hat Angela Merkel 16 Jahre gedacht, gehandelt und dadurch die Baustellen entstehen lassen, die Deutschland derzeit in den Megastau schicken. Genauso agiert Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit Grünen und FDP weiter. Und eigentlich will die CDU nichts ändern außer dem Personal im Kanzleramt.

Einer Regierung und einer Opposition, die in Sprachregelung und politischer Taktik denkt, verdanken wir die erschreckende politische Handlungsunfähigkeit dieser Tage. Die Debatten auf dem Niveau, das Klöckner und Göring-Eckardt vormachen, sind da nur ein Folgefehler. Auch dass wir unangenehme Themen nur noch umkreisen. So wie es Göring-Eckardt tut, die scheinbar Putin hinter dem besagten Leck in den Ostsee-Pipelines vermutet. Allerdings hüllt sie diesen Verdacht in sprachlichen Weihrauch: „möglicherweise, wir wissen nicht, wo das Leck herkommt in der Gasleitung vor Dänemark“. Das muss keiner verstehen. Da hilft nur noch Glauben.

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