Tichys Einblick
Deutschland verarmt

Zum zweiten Mal in Folge sinken die realen Löhne

Die Preise steigen, der Reallohn sinkt. Zum zweiten Mal in Folge. Den Deutschen droht eine private Verarmung – und dabei liegt nur ein Teil der Wahrheit vor.

IMAGO/Eibner
Die Bundesregierung hat ein Entlastungspaket vorgestellt. Wie dringend notwendig das ist, zeigt ein Blick auf die kurzfristige Entwicklung – und erst recht auf die langfristige: Die Löhne sind im vergangenen Jahr gestiegen. Diese Meldung haben ARD wie SR bereits gebracht. Um 3,1 Prozent sind sie nach oben geklettert, hat das Statistische Bundesamt bestätigt. Doch einen Grund zur Freude haben die Arbeitnehmer nicht. Von den höheren Löhnen können sie sich buchstäblich nichts kaufen. Denn auch die Verbraucherpreise sind 2021 um gut 3,1 Prozent gestiegen. Unterm Strich bedeutet das für die Arbeitnehmer, dass der „Reallohn-Index“ um 0,1 Prozent zurückgegangen ist. Zum zweiten Mal in Folge, wie das Statistische Bundesamt mitteilt. Im Jahr 2020 war der Index um 1,1 Prozent zurückgegangen.

"Entlastungspaket"
Entlastungen durch die Vordertür, Belastungen durch die Hintertür
Für den Arbeitnehmer ist eine Lohnerhöhung erst einmal eine gute Nachricht. Volkswirtschaftlich jedoch nicht unbedingt. Denn mit dem Lohn steigen auch die Kosten für Arbeit. Das ist für eine Nation, die vom Verkauf von Waren lebt, ein Wettbewerbsnachteil. Zumal der genauere Blick auf die Zahlen zeigt, wie gefährlich die Situation ist: Das gilt kurzfristig. Denn vergleicht man Oktober, November und Dezember 2021 mit den gleichen Monaten des Jahres 2020, ist der Reallohn sogar um 1,4 Prozent zurückgegangen. Im vierten Quartal 2021 entwickelte sich die Inflation rasanter als im Rest des Jahres. Stiegen die Verbraucherpreise im Jahresschnitt um 3,1 Prozent, so waren es zwischen Oktober und Dezember 5,0 Prozent. Die Höhe der Inflation war zu Beginn des Jahres ungebrochen – und wurde durch die Invasion Russlands in die Ukraine noch befeuert.
Nicht der Ukraine-Krieg, sondern die Corona-Politik ist Grund für den sinkenden Reallohn

Für die vorliegenden Zahlen ist der Krieg aber (noch) nicht die Ursache. Er wird die Probleme langfristig dramatischer gestalten. Der Grund für den bereits erreichten Rückgang der realen Löhne ist die deutsche Corona-Politik. Dass zum Beispiel die ausgezahlten Löhne im vergangenen Jahr gestiegen sind, ist ein Scheineffekt. Zum großen Teil ist der darauf zurückzuführen, dass 2021 nicht mehr ganz so viele Menschen in Kurzarbeit waren wie 2020. Im Bereich Beherbergung sind die Brutto-Löhne entsprechend um 40 Prozent gestiegen, in der Reisebranche um 33,3 Prozent.

Deutschland leistet sich eine harte Pandemiepolitik. Härter als in den meisten Staaten der Europäischen Union. Mit Folgen: „Die andauernde Corona-Pandemie und die damit verbundenen Liefer- und Materialengpässe haben sich auf die deutsche Wirtschaft stärker ausgewirkt als auf die wirtschaftliche Entwicklung der meisten anderen Mitgliedstaaten in der Europäischen Union“, wie das Statistische Bundesamt analysiert. Das Bruttoinlandsprodukt sei in Deutschland im vierten Quartal 2021 um 1,1 niedriger gewesen als vor der Pandemie – im vierten Quartal 2019. Von den 26 anderen EU-Staaten hätten 20 Staaten aber das Vorkrisenniveau wieder erreicht oder übertroffen. Deutschland befindet sich im unteren Fünftel der EU. Mit Spanien, Portugal, Tschechien und der Slowakei fiel gerade mal in vier Nationen der Rückgang des Bruttosozialproduktes schlimmer aus als in Deutschland.

Der Staat profitiert davon, dass die Menschen weniger haben

Wer sich fragt, ob Deutschland noch reich ist, muss sich mit einer relativen Antwort begnügen. Die Wirtschaft ist noch stark, einzelne Privatpersonen profitieren von der Krise. Aber die große Mehrheit der Deutschen ist eben nicht reich. Das hat diese Mehrheit vor allem dem Staat zu verdanken. Sie zahlen höhere Preise für Strom und Mieten als ihre Nachbarn. Das lässt sich auch auf staatliche Entscheidungen in der Energiepolitik beziehungsweise der Einwanderungspolitik zurückführen. Und die Deutschen zahlen mit den höchsten Mix an Steuern und Sozialabgaben in der gesamten OSZE. Der Staat profitiert davon, dass die Menschen weniger haben, die den deutschen Wohlstand erarbeiten: Mit den steigenden Preisen für Verbrauchsgüter steigen seine Einnahmen aus der Mehrwertsteuer. Höhere Löhne bedeuten höhere Einnahmen aus der Einkommensteuer.

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Dass die Mehrheit der Deutschen im EU-Vergleich nicht mehr reich ist, ist keine neue Entwicklung: Von der Einführung des Euro bis zur Pandemie ist hierzulande der Reallohn deutlich schwächer gestiegen als in Spanien, Irland, Italien oder Frankreich. Das wirkt sich auf das Vermögen aus. Während die deutschen Haushalte im Mittelwert rund 233.000 Euro besitzen, verfügen die Haushalte in Österreich über 250.000 Euro. In Belgien sind es 366.000 Euro und in Irland – dem einstigen Armenhaus Europas – sind es 368.000 Euro. Die Zahlen hat die Bundeszentrale für politische Bildung 2021 veröffentlicht.

Und selbst dieser Wert schönt noch die Lage der meisten Deutschen. Denn der Mittelwert berücksichtigt alle Bürger des Landes. Durch Millionäre und Milliardäre entstehen Ausreißer, die den Gesamtwert verbessern. Rechnet man diese raus und nimmt den „Merian“, dann zeichnet sich noch ein drastischeres Bild der Lage der deutschen Haushalte im europäischen Vergleich.

Für jeden Euro, den der Deutsche als Rücklage hat, hat der Luxemburger 7 Euro

Denn dann verfügen deutsche Haushalte im Schnitt über 71.000 Euro an Rücklagen. In Portugal sind es 75.000 Euro, in Slowenien 92.000 Euro, in Finnland 107.000 Euro, in Spanien 119.000 Euro, in Italien 132.000 Euro, in Irland 185.000 Euro, in Belgien 212.000 Euro, in Malta 236.000 Euro und in Luxemburg 498.000 Euro. Für jeden Euro, den der Deutsche als Rücklage hat, hat der Luxemburger 7 Euro.

Die Gesamtlage ist gefährlich: Der Staat bereichert sich am Rückgang der Reallöhne. Trotz Rekordeinnahmen schafft es der gleiche Staat aber nicht zu haushalten – sondern gönnt sich ein Defizit, das nur schwer abzubezahlen sein wird.

Der Arbeitnehmer muss diese Rekordeinnahmen erwirtschaften und muss demnächst auch dieses Defizit wieder reinholen, hat aber selbst seit zwei Jahren immer weniger von seiner Leistung. Da die Preise für Benzin, Strom, Öl und Lebensmittel weiter steigen, wird diese Situation noch dramatischer. Auch eine weitere Erhöhung der Kassenbeiträge hat der zuständige Minister Karl Lauterbach (SPD) bereits angekündigt.

Gleichzeitig haben Deutsche deutlich weniger Rücklagen als Menschen in Ländern wie Portugal, Irland oder Finnland. Trotzdem arbeitet die Politik an weiteren Belastungen. So steht eine Pflicht an, die Eigenheime energetisch zu sanieren. Natürlich bei Handwerkermangel und in einem engen zeitlichen Rahmen, sodass die Nachfrage das Angebot übersteigen wird – und somit auch die Preise für die Sanierungen nach oben treibt.

Um es abzukürzen: Irgendwann ist die nächste Belastung die Belastung zu viel.

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