Tichys Einblick
Umstrittene Meinungsfreiheit

Gericht gibt Wiesendanger in zentralem Punkt Recht: Zweifel an Zoonosen-Theorie waren gerechtfertigt

Hat der Virologe Christian Drosten die deutsche und die Weltöffentlichkeit absichtlich in die Irre geführt, als er die Laborthese zum Coronavirus seit Februar 2020 kategorisch ausschloss? Im Rechtsstreit um seine kritischen Aussagen kann der Hamburger Nanowissenschaftler Roland Wiesendanger einen Teilerfolg vermelden.

Prof. Dr. Roland Wiesendanger

Foto: via Universität Hamburg/Sebastian Engels

Hat Christian Drosten, der einst wortmächtige Berater der Bundesregierung in Sachen Corona-Pandemie, die Öffentlichkeit bewusst in die Irre geführt? Um diese Frage geht es bei einem Rechtsstreit zwischen Drosten und dem Hamburger Nanowissenschaftler Roland Wiesendanger, der aufgrund eigener Recherchen seit langem die Laborthese für wahrscheinlich hält – also die Hypothese, dass SARS-CoV-2 durch Gain-of-function-Forschung in einem Labor (vermutlich dem in Wuhan) entstand und von dort auf unbekanntem Wege in die Welt kam. Zu dem neuen Urteil titelte nun die Deutsche Presseagentur (dpa): „Gericht gibt Drosten in zentralem Punkt Recht“, und viele Zeitungen übernahmen den Text samt einem Chronologie-Fehler. Tatsächlich hat das Gericht teils auch Wiesendanger Recht gegeben.

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Am 2. Februar 2022 gab Wiesendanger dem Monatsmagazin Cicero ein Interview, in dem er unter anderem darauf hinwies, dass Drosten sich zusammen mit weiteren Virologen im Februar 2020 auf einen natürlichen Ursprung von SARS-CoV-2 festgelegt habe, ohne dafür eine wissenschaftliche Begründung heranziehen zu können. Die Behauptung eines Ursprungs als Zoonose und die Ablehnung der Laborthese entbehrte laut Wiesendanger „jeglicher Grundlage“. Nun entschied das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) im Gegensatz zum vorher urteilenden Landgericht, dass genau diese Einschätzung Wiesendangers sehr wohl über „Anknüpfungspunkte“ in der Realität verfügt.

Aber dass Drosten die Weltöffentlichkeit zusammen mit anderen „gezielt getäuscht“ habe, was den Ursprung von SARS-CoV-2 angeht, das darf Wiesendanger noch immer nicht sagen, obwohl internationale renommierte Zeitungen wie der britische Telegraph es als Schlagzeile drucken: „Top-Virologen verrieten die Wissenschaft mit ihrem Verschleierungsversuch in Sachen Laborthese“. Während sie die Bürger dazu aufriefen, „der“ Wissenschaft zu folgen, taten die Forscher selbst etwas anderes, indem sie den Geist des Zweifels und der genauen Überprüfung eines Sachverhalts vorzeitig aufgaben.

Drosten wollte die Laborthese von Anfang an „zerpflückt“ sehen

Dass es einige Forscher gab, die Anfang 2020 noch diesem wissenschaftlichen Geist folgten, belegen nicht zuletzt die Fauci-E-Mails, die dank einer Informationsfreiheitsanfrage aus den USA seit dem 22. November öffentlich sind. In den E-Mails stimmten sich 27 international tätige Forscher über einen offenen Brief ab, der auf die damals viel gestellte Frage nach dem Ursprung des neuen Coronavirus antworten sollte. US-Immunologe und NIAID-Direktor Anthony Fauci war federführend an dem Briefwechsel beteiligt. Alles begann aber mit einer Telephonkonferenz am 1. Februar 2020, in der nach Drostens Darstellung die „möglichen Begründungen für die [Labor-]These“ im „kollegialen Gespräch wissenschaftlich ‚zerpflückt‘“ wurden. Doch schon diese Behauptung scheint nur teilweise gültig. Denn nicht alle Teilnehmer waren der Auffassung, dass die Laborthese abzulehnen sei – einige vertraten sie sogar schon damals offensiv.

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Nun sind Streit und unterschiedliche Auffassungen in der wissenschaftlichen Gemeinde üblich. Aber Wiesendanger ist der Meinung, dass Drosten mit seiner eindeutigen Positionierung gegen die Laborthese, die er zudem als Verschwörungstheorie abqualifizierte, Politik und Medien gezielt in die Irre geführt habe. Eines der Beweisstücke Wiesendangers ist die Mitarbeit Drostens an mindestens einem offenen Brief, der sich gegen die Laborthese aussprach und am 19. Februar 2020 in The Lancet veröffentlicht wurde. Darüber hinaus soll Drosten sich auch an dem Text mit dem Titel „The proximal origin of SARS-CoV-2“ (veröffentlicht in Nature Medicine) beteiligt haben, was der Virologe bestreitet.

Das neue Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts stützt sich wesentlich auf eine eidesstattliche Versicherung Drostens, die Wiesendanger in einer (TE vorliegenden) Stellungnahme in wichtigen Punkten angreift und widerlegt. So behauptet Drosten, er sei an dem offenen Brief nicht beteiligt gewesen, die Veröffentlichung sei ihm vor Einreichung nicht einmal bekannt gewesen. Doch aus den öffentlich gewordenen Fauci-E-Mails geht eindeutig hervor, dass Drosten sogar einen sehr regen Anteil an der Entstehung des offenen Briefs nahm.

Deutliche Kritik an der Zoonosen-These schon im Februar 2020

Am 9. Februar 2020 schrieb er in einer knappen E-Mail, er sei überladen mit „nCoV-Patienten-bezogener Arbeit“ und brauche einige Tage, bis er zur Arbeit an diesem Text komme. Dann sagte Drosten aber doch etwas Inhaltliches zu dem Projekt: „Kann mir jemand bei einer Frage helfen: haben wir uns nicht zusammengetan, um eine bestimmte Theorie herauszufordern und, wenn wir es könnten, sie fallen zu lassen?“ Der Text, den man ihm geschickt habe, lese sich, „als ob die Hypothese offensichtlich wäre, oder als ob sie von einer äußeren Quelle an uns herangetragen wurde und uns zu einer Erwiderung zwingt“. Drosten stellt die Fragen: „Wer hat diese Geschichte zuerst aufgebracht? Arbeiten wir daran, unsere eigene Verschwörungstheorie zu entlarven?“

Die letzte Frage ist besonders bezeichnend. Denn sie weist darauf hin, dass die Anregung zu dem Thema des offenen Brief aus dem Kollegenkreis selbst kam. So schrieb der dänische Biologe und Immunologe Kristian G. Andersen, es gehe keineswegs um „eine weitere Verschwörungstheorie“, vielmehr einen „validen wissenschaftlichen Ansatz“ zu einer Frage, die immer öfter von Öffentlichkeit, Medien, Wissenschaftlern und Politikern gestellt werde. Dabei war auch Andersen der Hoffnung, dass sich die Pangolin-These noch erhärten ließe – was allerdings nicht geschah.

Deutliche Kritik an der Zoonosen-These kam dagegen vom Virologen Prof. Robert F. Garry, der einen Tag nach der Telephonkonferenz vom 1. Februar festhielt, dass er sich kein „plausibles natürliches Szenario“ vorstellen könne, in dem ein Coronavirus aufträte, das sich nur an der so überaus bedeutsamen Furin-Spaltungsstelle (ein Teil des Spike-Proteins) von natürlichen Fledermaus-Coronaviren unterscheide, wie Garry durch eigene Vergleiche festgestellt hatte. Es war das erste Mal, dass dieses Merkmal in einem SARS-artigen Virus auftrat. Auch das Pangolin-Coronavirus besaß es nicht. Die Einfügung der neuen Aminosäurenfolge (vier Aminosäuren) für die Furin-Spaltungsstelle ohne jede weitere Mutation hielt Garry für höchst unwahrscheinlich: „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie das in der Natur zustande kommen soll.“ Außerdem ist das Einfügen des Furin-Codes eine verbreitete Technik in der virologischen Forschung.

Soweit zur harschen Kritik an der von Drosten und anderen damals etablierten Corona-Orthodoxie eines natürlichen, zoonotischen Ursprungs des Virus. Daneben bestätigt einer der Autoren von „The proximal origin of SARS-CoV-2“, dass der Entwurf allen Teilnehmern an der Telephonkonferenz vom 1. Februar 2020 zugegangen sei, zu denen auch Drosten gehörte. Die Aussage aus Drostens E-Mail, wonach man die Laborthese „herausfordern“ und, wenn möglich, „fallen lassen“ wolle, ist eigentlich deutlich genug, um die Absichten des Virologen deutlich zu machen und klarzumachen, dass er den Text des offenen Briefs schon vor Veröffentlichung kannte.

Die Gain-of-function-Forschung geht weiter – auch mit Bundesmitteln?

Daneben hat Drosten in seiner eidesstattlichen Versicherung erklärt, er betreibe keine Gain-of-function-Experimente, und vielleicht ist das eine Wortklauberei des Berliner Virologen. Denn koordinieren tut er sie schon. Auf der Website des von Drosten geleiteten Virologie-Instituts der Charité findet sich bis heute das Kooperationsprojekt RAPID (Risk Assessment in Prepandemic Respiratory Infectious Diseases, also: Risikobewertung bei präpandemischen Infektionskrankheiten der Atemwege), das von Drosten koordiniert wird. Man will also die Risiken von „präpandemischen“ Atemwegsviren untersucht – Viren, die noch nicht pandemisch geworden sind, es aber werden könnten.

In den Erläuterungen des Projekts heißt es, man erforsche, „wie sich respiratorische, zoonotische Viren zu pandemischen Erregern entwickeln“, und bemühe sich, das „pandemische Potential neuer Viren“ einzuschätzen. Das klingt erst einmal kontemplativ-beobachtend. Doch ein weiterer Satz macht deutlich, welcher Methoden man sich dabei auch im Herzen Berlins bedient. In einem Teilprojekt von RAPID geht es demnach um die „Identifizierung von Wirtsfaktoren durch loss-of-function und gain-of-function Versuche“.

Auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage vom Dezember 2021 belegt, dass „Gain-of-Function- oder auch Loss-of-Function-Experimente wichtige Instrumente der biomedizinischen Forschung“ auch in Deutschland seien, an der Charité stattfänden und mit Bundesmitteln förderfähig sind.

Auf der Seite des Forschungsministeriums, das RAPID in der Tat mit mehreren Millionen Euro bezuschusst, ist dieses Teilprojekt (hier: „Identifizierung von Virus-Wirt-Interaktionen auf Proteinebene und Konstruktion von Testsystemen“ genannt) noch zu finden. Es wird von einem Privatdozenten geleitet. In der Beschreibung ist nicht von Gain-of-function-Forschung die Rede und derzeit will man sich aktualitätsbedingt auf SARS-CoV-2 umorientiert haben. Professor Wiesendanger weist darauf hin, dass das MERS-Coronavirus, um das es in dem Charité-Projekt geht, um ein Vielfaches tödlicher als SARS-artige Coronaviren ist.

„Diese Pandemie ist nichts verglichen mit dem, was kommt, wenn das Nipah- oder Ebola-Virus ‚on air‘ gehen“

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Aber auch wenn das Hanseatische OLG das Urteil des Landgerichts abgeschwächt hat, bleibt einiges an dem neuen Entscheid merkwürdig. So hält das OLG es für vereinbar, dass Drosten in einem offenen Brief (dem aus The Lancet) die Laborthese als „Verschwörungstheorie“ bezeichnet, ohne dass ihm diese Aussage letztlich als Ablehnung oder Niedermachen der Laborthese zugeschrieben wird. Das OLG ist sogar der Auffassung, dass Drosten mit dieser Aussage die Laborthese nicht für unmöglich erklärt habe. Das klingt originell.

Auf der anderen Seite wird es aber Roland Wiesendanger nicht freigestellt, eine ebenso pointierte Meinung zum Gebaren Drostens zu haben und dessen Verhalten als „gezielte Täuschung“ der Öffentlichkeit zu bezeichnen, obwohl die inzwischen öffentlich gewordenen E-Mails zeigen, dass Drosten es sehr wohl und vom ersten Moment an darauf abgesehen hatte, die Laborthese öffentlichkeitswirksam „fallen zu lassen“, und es auch später nicht daran fehlen ließ, die Anhänger und Vertreter der Laborthese eben mit jenem Etikett „Verschwörungstheorie“ aus dem öffentlichen Diskurs auszuschließen, etwa in dem offenen Brief aus The Lancet, den er zusammen mit Peter Daszak (mit Wuhan eng verbundener Gründer der EcoHealth Alliance) unterzeichnete: „Der rasche, offene und transparente Austausch von Daten über diesen Ausbruch wird nun durch Gerüchte und Fehlinformationen über seinen Ursprung bedroht. Wir verurteilen Verschwörungstheorien auf das Schärfste, die besagen, dass COVID-19 keinen natürlichen Ursprung hat […]. Verschwörungstheorien schaffen nichts anderes als Angst, Gerüchte und Vorurteile, die die unsere weltweite Zusammenarbeit im Kampf gegen dieses Virus gefährden […]. Wir erklären, dass wir keine konkurrierenden Interessen haben.“

Die amerikanische Transparenzinitiative „U.S. Right to Know“ schrieb in einem Brief an die WHO, dass ein derart geäußertes Vorurteil gegen eine vielleicht unliebsame wissenschaftliche Hypothese den Sprecher selbst disqualifiziere. Außerdem bemerkte die Initiative: „Dr. Drostens Finanzierung und seine fortgesetzten Forschungskooperationen basieren auf dem zoonotischen Potenzial von Fledermaus-Coronaviren. Aus diesen Gründen hat Dr. Drosten ein persönliches Interesse am Ergebnis von SAGO [Scientific Advisory Group for Origins of Novel Pathogens, ein WHO-Beirat, Anm. d. Verf.], weil es zu seinem persönlichen und beruflichen Vorteil ist, einen zoonotischen Ursprung für SARS-CoV-2 anzunehmen.“ Drosten dürfe folglich nicht mehr Mitglied des WHO-Beirats sein, der sich der Beobachtung neu entstehender Infektionskrankheiten widmet.

Auch Wiesendanger geht es übrigens nicht nur um Vergangenheitsbewältigung. Er warnt eindringlich vor der weitergehenden Gain-of-function-Forschung, von der ein US-Virologe sagte: „This pandemic is nothing compared to what comes when we get Nipah or Ebola on air.“ – „Diese Pandemie ist nichts verglichen mit dem, was kommt, wenn wird das Nipah- oder Ebola-Virus in die Luft bekommen.“ Der Protest gegen die Gain-of-function-Forschung mit teilweise hochgradig tödlichen Viren war Inhalt der „Hamburger Erklärung 2022“, die Wiesendanger im Frühjahr initiierte und die von Tichys Einblick dokumentiert wurde.