Tichys Einblick
Die Kronprinzen der CDU

Wer kommt, wenn Friedrich Merz geht

Friedrich Merz wollte die AfD halbieren. Mit diesem Ziel ist der Vorsitzende der CDU nach gut anderthalb Jahren grandios gescheitert. Die Ersten rufen nach Rücktritt. Doch die Frage lautet: Wer kommt dann?

IMAGO / Bernd Elmenthaler

Die Bundesregierung ist so unbeliebt wie selten eine andere zuvor. Trotzdem steht die CDU nur bei 27 Prozent in den Umfragen. Ein eigener Stil ist nicht zu erkennen. Eigene Positionen will die Partei erst im Mai 2024 wieder beziehen. Vom Ziel, die AfD zu halbieren, hat sich Friedrich Merz immer weiter entfernt, seit er es vor gut anderthalb Jahren ausgesprochen hat. Kurz und gnädig: Als Vorsitzender der CDU ist er bereits gescheitert.

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Das weiß in der CDU auch jeder. Trotzdem kommt die Forderung nach Rücktritt, wenn überhaupt, von der Basis. An der „Spitze“ bleibt es ruhig. Denn von den Kronprinzen ist noch keiner so weit, selbst nach vorne zu treten – und Kronprinzessinnen gibt es bestenfalls eine. Die Führungsreserve der CDU lässt für die Zukunft der Partei wenig Gutes erwarten. Da wären:

Jens Spahn (43). Unter Angela Merkel war Jens Spahn das, was Egon Krenz unter Erich Honecker war: Der Mann, von dem alle wussten, dass es irgendwann auf ihn rauslaufen würde. Tatsächlich war er dann auch ein sehr guter Gesundheitsminister. Anfangs. Er ging Reformen an, vor denen sich seine Vorgänger gefürchtet hatten. Doch dann kam Corona. Seine Bilanz in der „Pandemie“ ist so verheerend, dass Spahn heute nicht mehr darauf angesprochen werden will. Talkshows sagt er nur unter der Bedingung zu, dass weder Maskendeal, Schulschließungen oder Kampagne gegen Ungeimpfte angesprochen werden.

Derzeit ist Spahn wieder der Kronprinz. Er hält die mit Abstand besten Reden im Bundestag. Er führt den Arbeitskreis Wirtschaft an, dem es als einzigem Teil der Fraktion gelungen ist, ein eigenständiges CDU-Profil zu erarbeiten. Auch wenn seine Forderung, das Rentenalter von Maurern faktisch von der Lebenserwartung von Verwaltungsbeamten abhängig zu machen, kaum ein Schlager im Wahlkampf werden dürfte.

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Spahns größtes Problem aber bleibt Corona. Wer CDU-Vorsitzender werden will, will auch Kanzlerkandidat werden und der will wiederum Kanzler werden. Und dann? Wird Spahn der erste Bundeskanzler, der in der Gesundheitspolitik auf seine Richtlinienkompetenz verzichtet, weil er darauf nicht mehr angesprochen werden will? Er wird die bösen Geister seiner Vergangenheit besiegen müssen. Gelingt ihm das nicht, wird er bestenfalls Minister für Gedöhns oder bleibt der beste Redner im Bundestag.

Carsten Linnemann (45). Wenn Konservative überhaupt noch Hoffnungsträger in der CDU haben, dann gehört Carsten Linnemann dazu: Er stimmte konsequent gegen Merkels Rettungspolitik für den Euro, forderte stattdessen eine europäische Insolvenzordnung. Er setzte sich für eine nachvollziehbare Kontrolle von Moscheen ein und für eine Vorschulpflicht für Kinder, die nicht ausreichend Deutsch sprechen. Jüngst machte Linnemann durch vernünftige Vorschläge auf sich aufmerksam, Überstunden und Zweitjobs weniger bis gar nicht mehr zu besteuern, um des Arbeitskräftemangels Herr zu werden.

Merz gab Linnemann den Auftrag, das neue Grundsatzprogramm der Partei zu erarbeiten. Damit verhob er sich dann. Er entwickelte einen umständlichen Prozess, der über ein Jahr dauern soll, von dem keiner genau weiß, wer wann welchen Satz ins Programm schreibt, und der die CDU noch bis Mai 2024 so quälend richtungslos lässt, wie sich die Partei derzeit präsentiert.

Einen hochpeinlichen Moment brachte Linnemann ein Konvent ein, der den langen Prozess zum Programm begleiten sollte: Zusammen mit Merz ließ er sich vom grünen Vordenker Ralf Fücks diktieren, was die CDU dürfe und was nicht, weil es pfui-buh-rechts sei und es so nichts werde mit den Grünen als Koalitionspartner. Linnemanns Image war das des Rebellen, der sich im Bundestag hält, weil er bürgernah ist und in Paderborn sein Direktmandat holt – es brach in sich zusammen, als er an Fücks Lippen klebte wie ein Schulbub dem Lehrer, der vom Krieg erzählt.

Hendrik Wüst (47). Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen wäre Angela Merkel 2.0: Ein grün gespülter Weichling. Mit dem Unterschied zu Merkel, dass er nicht mal Quoten wie Frau oder Ostdeutscher erfüllt und auch über keine bundespolitische Erfahrung verfügt. Wüst will an die Spitze der CDU kommen durch seine Erfolgsbilanz in Nordrhein-Westfalen. Angesichts der Erfolgsgeschichten zwischen Rhein und Ruhr eine interessante Strategie.

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Für ein paar denkwürdige Tage im Juni hatte Wüst die Unterstützung der Bild. Doch die Zeiten, in denen man mit Bild, BamS und Glotze Politik machen konnte, sind vorbei. Nach ein paar eher peinlichen Versuchen, Wüst zum Macher hochzuschreiben, wendete sich das Blatt wieder Merz zu. Durfte Wüst noch Anfang letzter Woche eine Anti-Clan-Strategie abgeben, hat Bild diese Schlagzeile ein paar Tage später Justizminister Marco Buschmann (FDP) geschenkt. Flüchtig ist die Liebe auf dem Boulevard.

Mario Czaja (47). Er ist Generalsekretär der CDU. Was bliebe noch über Mario Czaja zu sagen? Als Berliner Senator war er für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig. Die war so katastrophal, dass es zu Klagen führte. Echte. Vor Gericht. Politisch profiliert hat Czaja sich, als er in seinem Landesverband Berlin vor dem „riskanten Rechtskurs“ Kai Wegners gewarnt hat. Der dann überraschend die Wahl gewann und nun Regierender Bürgermeister ist. Während Czaja als Generalsekretär unter Merz für die politischen Attacken zuständig ist – die es nicht gibt. Weshalb er auch nicht oft öffentlich gelobt wird. Außer von Karl Lauterbach (SPD), was für einen CDU-Politiker jetzt aber eher eine zweifelhafte Ehre ist. Aber immerhin hat Czaja einen schönen Vornamen.

Daniel Günther (49). Das gleiche wie Hendrik Wüst. Nur ohne Bild, dafür mit einem Bundesland im Rücken, das noch weniger erfolgversprechend als Nordrhein-Westfalen ist.

Julia Klöckner (50). Die Schatzmeisterin der CDU ist die einzige Kronprinzessin in der CDU. In einer Partei, die sich weiblicher aufstellen will und sich selbst eine Frauenquote verpasst hat, ist das durchaus ein Argument. Im Bundestag gehörte die ehemalige Ministerin für Landwirtschaft zu den wenigen, die der CDU ein Erfolgserlebnis beschert hat: Wie sie im Ausschuss Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zum Thema Graichen-Skandal auseinandergenommen hat, war ganz großes Tennis. Jedes Wort saß, jede Frage quälte den Vizekanzler.

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Doch auch Klöckner trägt Gepäck auf dem Rücken. In Rheinland-Pfalz ist sie zweimal gescheitert: Erst gegen Kurt Beck, dann gegen Malu Dreyer (SPD). Zu spät konnte sie sich vom Landesvorsitz der Partei trennen und trug so mit an der Verantwortung für die Wahlniederlage von Christian Baldauf 2021 – dem schlechtesten Ergebnis, das die CDU jemals im Land von Helmut Kohl geholt hat.

Genau der Name steht aber für eine Stärke von Julia Klöckner: Sie kann versöhnen. Erst schaffte sie es, den ehemaligen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel mit seinem Landesverband wieder zu vereinen. Dann band sie den Kanzler der Einheit wieder ein, der unter Angela Merkel seinen Ehrenvorsitz ruhen lassen musste. Noch eine Stärke Klöckners: Sie gehört zu den letzten Großen in der CDU, die sich auch in der grünen Medienrepublik wagen, konservative Positionen zu beziehen – etwa, wenn es darum geht, islamische Mädchen vom Kopftuch zu befreien.

Norbert Röttgen (57). Wenn Hendrik Wüst der oder die oder das neue Angela Merkel wäre, dann hat Norbert Röttgen das Potenzial zu einem zweiten Friedrich Merz: Er hat eigentlich schon jede Wahl verloren – in der Partei und beim Wähler – doch er hat seine Niederlagen stets geduldig ausgesessen, bis ihm eine neue Chance in den Schoß fiel. Pointierte Positionen standen ihm dabei nie im Weg. Das machte ihn auch zum Liebling der Talkshows, die ihn im vergangenen Jahr öfter als jeden anderen Politiker einluden. Dort gibt er den Alibi-Oppositionellen, der eigentlich ja auch ein Grüner ist. Röttgen wäre der ideale CDU-Vorsitzende für alle in der Schnittmenge: Merz muss weg, aber nichts soll sich ändern.

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