Tichys Einblick
Paris, Berlin und Brüssel hören nicht

Wendesignale: Washington, Wien, Rom und so weiter

Mainstream-Journalisten können sich offensichtlich nicht vorstellen, dass die gegen ihre Norm Gewählten das, was sie im Wahlkampf sagen, nachher auch tun. In Wien und Rom und immer mehr Hauptstädten.

© ANDREAS SOLARO/AFP/Getty Images

Für Rom beschreibt Der Standard: «Bisher war es so, dass der Staatspräsident nach Wahlen und Sondierungsgesprächen eine Persönlichkeit mit der Regierungsbildung beauftragte – in der Regel den Chef der stärksten Partei. Dann beauftragte er diesen, eine Kabinettsliste und ein Regierungsprogramm zu entwerfen. Der Premier war die starke Figur in der Exekutive. Bisher. Bei Conte läuft alles umgekehrt: Zwei Antisystemparteien schustern ein oft widersprüchliches, schwammiges und unrealistisches Programm zusammen und präsentieren dem Staatspräsidenten dann den „Koalitionsvertrag“ und einen Alibipremier. Denn den Ton soll nicht Conte angeben, sondern Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio und Lega-Führer Matteo Salvini selbst.»

Wie bei Beiträgen von Mainstream-Journalisten auch über andere Politiker, die der bisherigen Norm nicht entsprechen, entgleitet dem Standard-Korrespondenten in Rom erst einmal die Contenance. „Koalitionsvertrag“, diese politische Verödung des Parlamentarismus, ist keine italienische Erfindung. Dieses Korsett zur Lähmung und Zähmung von Parlamenten mit nur noch theoretisch freien Abgeordneten ist das zweifelhafte Verdienst der Berliner Republik, das sich von dort nach Wien und nun Rom ausgebreitet hat.

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Dass Politiker zunächst einmal alle Personen sind wie alle anderen Menschen auch und nicht gleich Persönlichkeiten, sei dem Standard-Korrespondenten nur pars pro toto ins journalistische Stammbuch allgemein geschrieben. Bloß weil jemand von einer noch höher gestellten Person für die Führung einer Regierung ausgewählt wird, verwandelt sich diese Person noch lange nicht in eine Persönlichkeit. Der neue Bundeskanzler Österreichs als Gegenbeispiel wurde durch sein öffentliches Handeln eine Persönlichkeit und nicht durch das Wort des Bundespräsidenten van der Bellen. Ob es sich beim präsumptiven italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte um eine Persönlichkeit handelt, wird sich weisen.

Mainstream-Journalisten tun sich mit etwas schwer, was eigentlich sehr einfach ist. Sie können es nicht lassen, Politiker, die gegen die bisherige Norm von Politik und Politikern gewählt wurden, obwohl sie, die Mainstream-Journalisten, dagegen angeschrieben haben, nach dem quasi unerlaubten Erfolg nur daran zu messen, ob und wie schnell und wie sehr sie sich nach der unerwünschten Wahl der Norm vor ihnen anpassen. Mainstream-Journalisten können sich offensichtlich nicht vorstellen, dass die gegen die Norm Gewählten das, was sie im Wahlkampf sagen, nachher auch tun. (Bei Eintritt der Grünen in die Etabliertenwelt war das genau so, da aber wurde die Erwartung, dass sie nicht tun, was sie sagen, nach einiger Zeit immer mehr erfüllt.)

Mainstream-Journalisten finden ihre Entsprechung in Wählern, nicht nur im Wahlland, sondern auch in anderen Ländern, die es nicht akzeptieren können, wenn jemand auch nur das Geringste an der tatsächlichen Politik der gegen die Norm Gewählten kritisiert.

Ich habe keine Ahnung, was Trump, Kurz und Conte von dem im Wahlkampf Versprochenen am Ende verwirklichen können und werden. Kurz und Trump haben das jedenfalls in Teilen schon getan. Aber eines sollten alle, von den Mainstream-Journalisten bis zu den noch Herrschenden in Paris, Brüssel und Berlin so langsam doch erkennen können: Genormt wie bis 2011 geht es offenkundig nicht weiter.  Manche Lawinen kommen langsam ins Rutschen. Den auf ihnen sitzenden Herrschenden entgeht das wohl bisher. Aber dass sie nichts merken, heißt nicht, dass sich nichts bewegt. Dass sie es in Wahrheit spüren, beweisen ihrer Hilfstruppen zunehmend hektischen Versuche, andere als Mainstream-Meinungen mit viel Aufwand und Geld zu unterbinden.