Tichys Einblick
Der Spitzel-Lehrer

Wen trifft es härter: Aiwanger oder seinen früheren Lehrer?

Darf ein Lehrer 35 Jahre später mit Material aus der Schulzeitung einen früheren Schüler denunzieren? Der Fall Aiwanger könnte auch zurückschlagen auf einen Lehrer, der sich zu sehr als politischer Aktivist versteht. Am Donnerstag trat Aiwanger vor die Presse.

Imago – TE Collage
Die Schule ist nicht nur ein Ort des Lernens, sondern auch der Erziehung. Konflikte in Schulen sind Teil des Geschehens. Selbstverständlich gibt es Leitplanken und Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Dazu gehören auch Strafen – und Schulverweis. Aber auch Lehrer sind an Gesetze und Schulordnung gebunden. Wen könnte das Gesetz und seine Folgen härter treffen – Schüler oder Lehrer?

Aiwanger trat am Donnerstagabend vor die Presse – es wurde erwartet, dass er seinen Rücktritt ankündigt. Stattdessen sprach er von einer „Kampagne“, die gegen ihn geführt wird – und entschuldigte sich für die durch die Aussagen in dem „ekelhaften“ Flugblatt verletzten Gefühle.

Hinter den Vorwürfen gegen Hubert Aiwanger steht nach übereinstimmenden Aussagen zahlreicher ehemaliger Mitschüler von Hubert Aiwanger der ehemalige Deutschlehrer Franz Graf. Graf ging zudem mehrfach mit der Flugblatt-Geschichte bei ehemaligen Mitschülern hausieren und prahlte damit, sie zu besitzen und eventuell gegen Aiwanger einsetzen zu wollen. Unter anderem bei der diesjährigen Abitur-Feier der Schule. Graf trat zudem immer wieder als leidenschaftlicher Sammler alter Dokumente in der Presse in Erscheinung. Und er hat nach Focus-Angaben versucht, frühere Mitschüler von Aiwanger anzustiften, mögliche Vergehen, etwas angespitzt, in der Öffentlichkeit zu lancieren. Politisch aktiv war er bei der SPD, die sich derzeit mit besonders aggressiven Forderungen gegen Aiwanger hervortut.

Aber betrachten wir die rechtliche Lage.

Strafen für ungezogene Schüler

Im Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz (§86) sind Strafen beim Fehlverhalten eines Schülers festgelegt: zunächst der Verweis, also das mahnende Schreiben an die Eltern in 3 Stufen. Empfindlicher ist Unterrichtsausschluss bis zu 4 Wochen – was für den Bauernbuben Aiwanger keine Strafe gewesen wäre, sondern allenfalls ein genehmigter Ernteeinsatz. Schärfere Drohung ist die Androhung oder tatsächliche Entlassung, im äußersten Fall von allen Schulen einer bestimmten Schulart des Landes Bayern. Dafür allerdings ist eine Entscheidung des Kultusministeriums nötig.

Doch der Disziplinar-Ausschuss, dem nach Schulordnung der Direktor, sein Stellvertreter und sieben vom Kollegium gewählte Lehrer angehören, hat sich damals im Falle Aiwanger für eine Strafarbeit entschieden. Aus diesem Ausschuss hat der Lehrer, der sich über Aiwanger geärgert hat, das fragliche Flugblatt; oder er hat es durch seine schulische Aktivität erhalten, archiviert und zum gegebenen Zeitpunkt die Bombe aktiviert.

Eigentlich hätte mit der Strafarbeit die Sache erledigt sein müssen. Man mag 35 Jahre später die Strafe zu mild empfinden – aber sie stellt einen Schlussstrich dar. Eine lebenslange Strafe oder ein lebenslanger Pranger sind auch mit dem neuerdings angeschlagenen Rechtsstaatsverständnis nicht vereinbar. 

Strafen für den Lehrer

Und hier wird es eng für den ehemaligen Lehrer. Im Paragraphen 14 der Lehrerdienstordnung heißt es eindeutig:

„Die Lehrkraft hat, auch nach Beendigung des Dienstverhältnisses, über die ihr bei ihrer dienstlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren.  … Spannungen und Gegensätze innerhalb der Schule erfordern vertrauliche Behandlung.
(2) Auskünfte an Presse, Rundfunk und Fernsehen erteilt nur die Schulleiterin oder der Schulleiter oder die von ihr oder ihm beauftragte Lehrkraft.“

Und genau an der Stelle wird es eng für den pensionierten Lehrer Graf, der bislang alle Journalistenanfragen, auch von TE, unbeantwortet gelassen hat. Denn jetzt könnte das Bayerische Disziplinargesetz einschlägig werden. Bei Verstößen gegen die Verschwiegenheits- und Dienstpflichten eines Beamten sind scharfe Strafen vorgesehen. So kann die Pension in einem Zeitraum von 5 Jahren um jeweils 20 Prozent abgesenkt werden. Im schlimmsten Falle droht ein kompletter Wegfall einschließlich der Hinterbliebenenversorgung – allerdings wird es dazu nicht kommen.

Eine Kürzung der Dienstbezüge halten Kenner der Materie durchaus für möglich, wenn sich bestätigt, dass Graf tatsächlich hinter der Kampagne gegen Hubert Aiwanger steht und dafür schulisch erworbenes Wissen und Material eingesetzt hat. Genau dafür aber liegen Indizien vor. Auch die Frage, ob Aiwanger vielleicht sogar strafrechtlich hätte verfolgt werden müssen, falls er tatsächlich in extremem Umfang aufgefallen wäre, ist hinfällig. Das Strafrecht kennt viele Verjährungsformen, um den Rechtsfrieden zu wahren und Sozialisierung zu ermöglichen. 

Der Fall Aiwanger wird damit zu einem Fall Graf. Wird der Fall aus dieser Perspektive aufgerollt, würde es sich nicht um einen Racheakt handeln. Stellen wir uns vor, der Fall Aiwanger macht Schule. Dann müsste jedermann damit rechnen, dass die eine oder andere Verfehlung während der Schulzeit in erpresserischer Weise auch Jahrzehnte später eingesetzt werden kann. Dem in den Schulordnungen begrifflich immer genannten „Schulfrieden“ würde das nicht dienen; und auch der Erziehungsauftrag wäre in Frage gestellt. Denn der kann nur dann erfüllt werden, wenn bei Fehlverhalten der Diszplinarausschuss eine Strafe festlegt – oder eben davon absieht. Auch die von der Bundesregierung neu eingeführte Regelung, über die Einrichtung von Denunziationsstellen zu bewirken, dass jedermann zu jederzeit verleumdet werden kann, ohne sich dagegen wehren zu können – rückwirkend wirkt die Spitzelrepublik nicht. 

Hubert Aiwanger erhält politisch viel Rückenwind. Er kann die Angriffe politisch in Rückenwind verwandeln. Dem Lehrer droht eine empfindliche Strafe.

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