Tichys Einblick
Kein vorteilhaftes Bild

Wehrbeauftragte kritisiert Zustand der Bundeswehr und charakterliche Eignung einiger Soldaten

Wer sich den aktuellen Bericht der Wehrbeauftragten Eva Högl (SPD) für das Jahr 2021 und die nachfolgende Presseberichterstattung zu Gemüte führt, den beschleicht der alte Kalauer: Es ist zwar schon alles gesagt, aber nicht von allen.

Vorstellung des Jahresberichts 2021 durch die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Eva Högl, in der Bundespressekonferenz, Berlin, 15. März 2022

IMAGO / Chris Emil Janßen

Damit wollen wir die Bedeutung dieses 176 Seiten umfassenden Berichtes nicht abtun. Denn manchmal ist es wichtig, wenn der „hohen“ Politik immer und immer wieder ein Spiegel vorgehalten wird. Vor allem dann, wenn sich an bekannten Defiziten seit Jahren nichts geändert hat. Was die Bundeswehr betrifft, so hätten sich die Merkel-Kabinette an die Beseitigung der mehrfachen Defizite heranmachen müssen, die die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr erheblich einschränkten. Aber nein, diese Kabinette vergrößerten die Probleme gar noch. Insofern ist der desolate Zustand der Bundeswehr ein Erbe einer Regierungschefin Merkel, die im Kriegsfall übrigens die Oberkommandierende der Bundeswehr gewesen wäre. Aber das spielte für sie keine Rolle, sonst hätte sie nicht eine überehrgeizige Dilettantin wie Ursula von der Leyen für fünfeinhalb Jahre zur Verteidigungsministerin machen können.

Nun also der aktuelle Bericht der Wehrbeauftragten. Dort steht auf vielen Seiten, was hier auf TE seit Jahren thematisiert und analysiert wird. Wie widersprüchlich die deutsche Presse den Högl-Bericht dennoch rezipiert, zeigen allein zwei Schlagzeilen der Berichterstattung. Die Zeit titelt: „Högl hält die Bundeswehr für einsatzbereit“. Die HNA titelt „Högl äußert Zweifel an Einsatzfähigkeit der Bundeswehr“.

Namen hinter dem Versagen
Wer für den desolaten Zustand der Bundeswehr hauptverantwortlich ist 
Es ist jedenfalls kein vorteilhaftes Bild, das die Wehrbeauftragte von der materiellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zeichnet. Aber auch das wussten wir seit Langem: Schiffe, die nicht schwimmen; Panzer, die nicht fahren; Flugzeuge, die nicht fliegen. Keine Ersatzteil- und Munitionsbevorratung. Personalmangel bis in die Größenordnung von 40.000 „Mann“, wenn das Ziel eines Aufwuchses der Bundeswehr von 183.000 auf 203.000 Angehörige gelten soll. Ein endloser Bürokratismus des mit 10.000 Leuten besetzten Beschaffungsamtes der Bundeswehr in Koblenz – und vieles mehr. All dies wurde von den Leitmedien über Jahre hinweg nahezu ignoriert. Man machte auch dort auf endlose Friedensdividende und gefiel sich in einem strammen Pazifismus. Erst der verbrecherische Überfall Putins auf die Ukraine beendete das Wachkoma. Hoffentlich nicht nur vorübergehend. Immerhin mahnt Högl an: „Das Geld muss erstens in der Truppe ankommen und zweitens zügiger ankommen.“
Die Bundeswehr unter der Herrschaft eines rechtsextremistischen Verdachts?

Die Wehrbeauftragte Högl und große Teile der deutschen Presse würden freilich ihrem selbstgeschaffenen Image nicht gerecht, wenn sie nicht aus dem aktuellen Bericht heraus ein spezielles Problem besonders akzentuierten. Defizite macht Eva Högl bei den Soldaten selbst aus, nämlich Defizite bei der charakterlichen und demokratischen Grundausrichtung Einzelner (sic!). Vor allem beschreibt Högl einen weiteren starken Anstieg gemeldeter extremistischer Vorkommnisse. Die Zahl der „meldepflichtigen Ereignisse“ stieg um fast ein Viertel (exakt 23,4 Prozent) auf 226 Fälle an.

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Zudem wird aus dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) ein abermaliger Anstieg der bearbeiteten Fälle im Phänomenbereich Rechtsextremismus von 477 im Jahr 2020 auf 589 im vorigen Jahr berichtet. Dazu gehören: antisemitische, sexistische und den Nationalsozialismus bagatellisierende Chatgruppen; das Posieren in Wehrmachtsuniformen und mit NS-Devotionalien, das Anhören von Musik-CDs mit Titeln wie „Sonderzug nach Dachau“. Der MAD bearbeitete zudem 40 neue Verdachtsfälle im Bereich „Islamismus“ und 13 Fälle im Bereich „Linksextremismus“.

Eva Högl führt den Anstieg aller Verdachtsfälle auf eine gestiegene Sensibilität innerhalb der Truppe zurück und dass mehr Verdachtsfälle aus dem Kreis der Soldaten angezeigt würden. Dies sei „gutes, kameradschaftliches Verhalten“, sagte Högl. Als ein „echtes Ärgernis“ kritisierte die Wehrbeauftragte die lange Verfahrensdauer bei den Dienstgerichten in solchen Verdachtsfällen. Zudem müsse es künftig schneller gehen, auffällig gewordene Soldatinnen und Soldaten aus dem Dienst zu entlassen.

Damit eines klar ist: Jeder dieser nicht nur unappetitlichen, sondern strafrechtlich relevanten Fälle muss konsequent verfolgt und geahndet werden – gegebenenfalls bis hin zur Entlassung der Betreffenden. Die Zahl der betreffenden Fälle sollte aber auch neben die Gesamtzahl aller Bundeswehrangehörigen gestellt werden: 183.000.

Was jetzt allerdings wieder geschieht, ist, dass die Bundeswehr pauschal unter die Herrschaft eines bestimmten Verdachts gestellt wird. Eine Ministerin von der Leyen war hier 2017 eine unrühmliche Vorreiterin, als sie der Truppe ein „Haltungsproblem“ vorhielt und „Säuberungen“ (!) in den Kasernen anordnete, um Devotionalien oder Modelle von Panzern und dergleichen der Wehrmacht herauszufischen. Ganze 41 „Andenken“ an die Wehrmacht wurden gefunden.

Versachlicht würde die Empörung über solche Fälle von Extremismus, wenn nach geraumer Zeit auch berichtet würde, wie viele der „Verdachtsfälle“ sich definitiv als solche gerichtlich oder disziplinarrechtlich bestätigten. Bislang schrumpfte deren Zahl dann nämlich erheblich zusammen. Immerhin – darüber wurde nicht öffentlich berichtet – wurden im Berichtsjahr 37 Soldatinnen und Soldaten vorzeitig aus dem Dienstverhältnis entlassen.

Es wurde zudem nie nachgewiesen, dass in der Bundeswehr jemals ein höheres Maß an extremistischer Gesinnung oder Betätigung herrschte als in anderen öffentlichen Einrichtungen.