Tichys Einblick
Berlin-Wahl

TE legt wegen Berlin-Wahl Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein

Der Bundestag will in Berlin nur eine Wahlwiederholung in überschaubarem Rahmen – trotz Chaos bei der Berlin-Wahl, trotz der kompletten Wiederholung der Abgeordnetenhaus- und Bezirkswahl, die vom Verfassungsgerichtshof angeordnet wurde. Dagegen legt TE Beschwerde in Karlsruhe ein.

IMAGO / Dirk Sattler

Der Bundestag hat am 10. November entschieden, dass die Bundestagwahl in Berlin wiederholt werden muss – aber nur zum Teil. Während der Berliner Verfassungsgerichtshof wegen des Wahlchaos vom 26. September 2021 entschieden hat, die Wahl zum Abgeordnetenhaus und zur Bezirksverordnetenversammlung komplett wiederholen zu lassen, weil ansonsten das Vertrauen in die Demokratie beschädigt werden könne, begnügt sich der Bundestag mit einer Wiederholung in nur 431 von 2.256 Wahllokalen.

Dabei geht es nicht nur um „Pannen“ und Manipulationen – sondern auch um Wahlfälschung. Aufgrund der Erkenntnisse aus vielen Wahlniederschriften, die TE veröffentlicht hat, hätte sofort Strafanzeige gegen viele Wahlvorstände erfolgen müssen. Die Verniedlichung eines der größten Skandale der Nachkriegsrepublik soll fortgesetzt werden. Der Bundestag – genauer gesagt: die Parteien, die sich aus Eigeninteressen dazu entschieden haben – befördert damit den Vertrauensverlust.

TE legt daher Beschwerde gegen den Beschluss des Deutschen Bundestages ein, die Bundestagswahl in Berlin nur in Teilen zu wiederholen. Stattdessen ist die gesamte Wahl im Bundesland Berlin als ungültig anzuerkennen und vollständig zu wiederholen. Sie ist unzureichend vorbereitet und rechtswidrig durchgeführt worden und dabei wurden Vorschriften des Grundgesetzes, Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung verletzt.

Der Bundestag verkennt – anders als der Berliner Verfassungsgerichtshof –, dass unter der „Mandatsrelevanz“, die Wahlfehler haben müssen, damit eine Wahl wiederholt werden kann, potenzielle Mandatsrelevanz und nicht auch in allen Fällen abschließend nachgewiesene Mandatsrelevanz zu verstehen ist. Ein abschließender Nachweis ist im Nachhinein fast nie möglich, aber dennoch bleibt die Feststellung des Berliner Verfassungsgerichtshofs richtig: „Bei ordnungsgemäßer Vorbereitung und Durchführung der Wahl wäre ein anderes Stimmergebnis und damit eine andere Sitzverteilung konkret möglich gewesen.“

Wenn angesichts besonders drastischer und schwerwiegender Wahlfehler in zahlreichen Einzelfällen die konkrete Möglichkeit kaum von der Hand zu weisen ist, dass es auch in sonstigen Fällen zu weiteren und ähnlich erheblichen Wahlfehlern gekommen sein wird, so gilt: Nicht jede Unsicherheit bei der Tatsachenfeststellung und nicht jeder Zweifel an der Mandatsrelevanz gehen zu Lasten der Einspruchsführer! Sondern: Gerade weil das genaue Ausmaß der Fehler nicht mehr aufzuklären ist, muss im Zweifel die Wahl wiederholt werden!

Der Rechtsanwalt und Verfassungsjurist Ulrich Vosgerau vertritt die Causa vor Gericht. Die Atlas Initiative für Recht und Freiheit hat die Finanzierung übernommen. Beschwerdeführer ist unter anderen der Betriebswirt Jan Kopfmann. Er sieht das eigene Vertrauen in den Rechtsstaat aufgrund der Maßnahmen der letzten drei Jahre „massiv beschädigt“.

„Diese rechtsstaatlichen Prinzipien, auf denen unsere Ordnung aufbaut, werden in vielerlei Hinsicht – ob bewusst oder nur aus Dummheit der Handelnden – massiv mit Füßen getreten“, sagt Kopfmann. „Die vergeigte Berlin-Wahl steht für dieses Versagen sinnbildlich, war die Kulmination des Desasters. Das dürfen wir den Verantwortlichen nicht durchgehen lassen. Ich tue dies, damit unsere Kinder wieder in den Genuss von rechtsstaatlichen und demokratischen Leitlinien kommen. Diese Prinzipien lasse ich mir von niemandem wegcanceln! Diese Prinzipien wären das Einzige, was ich auf die Straße kleben würde!“

Zahlreiche Aspekte weisen darauf hin, dass die „Pannen“ nicht nur mandatsrelevant waren, sondern keine andere Entscheidung als eine vollständige Wiederholung zulassen. Wahlberechtigte konnten nur nach langem Warten ihre Stimme abgeben – oder taten es gar nicht, weil sie ihre Stimme wegen der Wartezeiten nicht abgaben. Stimmzettel konnten oftmals nur mit Verzögerung verteilt werden, in einigen Fällen gar nicht. Eine Wahl ohne Beeinflussung von außen konnte in vielen Fällen nicht gewährleistet werden, weil die Stimmabgabe erst nach 18 Uhr möglich wurde und die ersten Hochrechnungen bereits veröffentlicht worden waren. Die Zahl der abgegebenen Stimmzettel übertraf die Zahl der Stimmberechtigten, statt sachgemäßer Dokumentation erfolgten „Schätzungen“.

Zudem ist dokumentiert, dass EU-Ausländer und Minderjährige an der Wahl zum Bundestag teilnahmen, obwohl sie nicht stimmberechtigt waren. Dies geschah unter anderem deswegen, weil an diese nicht nur Stimmzettel zur Bezirkswahl, sondern ein ganzes Paket – und damit zur Abgeordnetenhaus- und Bundestagswahl – ausgegeben wurde. Nachweilich wurden Briefwahlunterlagen an Verstorbene gesendet, deren Verwandte zur Wahl gehen und mehrfach abstimmen konnten.

Und es gibt noch einen weiteren Punkt, der bisher kaum angesprochen wurde: die zwielichtige Rolle der Briefwahl. Dass die Briefwahl ohne Angabe von besonderen Umständen für alle Bürger frei zugänglich ist, hatte das Bundesverfassungsgericht 2008 nur unter der Auflage zugelassen, dass die Briefwahl nicht zum Regelfall werde. Bei der damals streitgegenständlichen Wahl – der EU-Wahl von 2009, bei der rund 18 Prozent per Briefwahl abstimmten – war dies laut Gericht „offenkundig nicht der Fall“. Bei der Berliner Bundestagswahl sieht das freilich anders aus. Der Anteil der Briefwähler lag bei rund 47 Prozent.

Die Briefwahl ist für Wahlbetrug so viel anfälliger als die Urnenwahl im Wahllokal, dass sie schon als solche zur Hypothek für jede demokratische Wahl wird. Daher wäre die Wahl schon allein deswegen zu wiederholen, weil mittlerweile jeder zweite Berliner per Brief abstimmt, statt in Präsenzwahl an der Urne – die einzige Wahlform, die das Grundgesetz kennt. Daher wäre die Bundestagswahl in Berlin selbst dann zu wiederholen, wenn es das Berliner Wahlchaos gar nicht gegeben hätte; dessen geschichtlich beispiellose Fehler kommen aber eben noch hinzu.

Die gesamte Wahlprüfungsbeschwerde können Sie hier nachlesen.


Roland Tichy, Herausgeber von TE, hat sich entschieden, eine Initiative zu gründen, die die Wiederholung der Bundestagswahl in allen Berliner Bezirken einklagen wird. Die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wird von dem namhaften Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau in Karlsruhe im Namen von zwei Tichys-Einblick-Lesern geführt. Unsere Leser haben bereits mit einer Formulierungshilfe von TE Antrag auf Wahlwiederholung gestellt und sind damit klageberechtigt. Die Klagefrist läuft am 10. Januar 2023 ab. Die Finanzierung hat „Atlas – Initiative für Recht und Freiheit“ übernommen.

Unterstützen Sie bitte die Öffentlichkeitsarbeit dieses Vorhabens.

Für Spenden haben wir bei der Commerzbank Köln das Konto mit der IBAN DE14 3704 0044 0543 2000 02 eingerichtet (Empfänger: TE Sonderkonto Rechtsstreitigkeiten).

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