Tichys Einblick
Hersteller hätten neue Impfstoffe verfügbar

Virologe Alexander Kekulé: Geimpften „falsche Sicherheit“ eingeredet

Die 2G-Politik der falschen Versprechen für Geimpfte ist mitverantwortlich für die aktuelle vierte Corona-Welle, sagt Alexander Kekulé. Ein weiteres Problem: Die Impstoffhersteller wollen lieber alte Vakzine verimpfen, als neue aufwendig testen zu lassen, die an die Delta-Variante angepasst wurden.

Alexander Kekulé, Professor für Medizinische Mikrobiologie und Virologie an der Universität Halle

IMAGO / Sven Simon

Der Virologe Alexander Kekulé spricht aus, was auch für Nichtfachleute offensichtlich ist, aber von fast allen Politikern der regierenden Parteien im Gleichklang mit der veröffentlichten Meinung hinter einer zunehmenden Hatz auf Ungeimpfte verschleiert wird: Hinter der vierten Welle steht nicht nur die Weigerung großer Teile der Bevölkerung, sich „impfen“ zu lassen, sondern auch der Irrglaube der Geimpften, vor Corona sicher zu sein. Das 2G-Modell der Einschränkungen nur noch für Ungeimpfte, das von der Politik als besonders konsequentes Handeln gegen die Pandemie verkauft wird, ist, so Kekulé im Interview mit der Welt, „Teil des Problems“. Denn: „Geimpfte und Genesene glauben, sie wären sicher, weil man ihnen das bis vor Kurzem so gesagt hat. Aber auch sie infizieren sich zu einem erheblichen Teil. Dadurch haben wir jetzt diese massive Welle unter den Geimpften.“

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Die „Pandemie der Ungeimpften“, die das politmediale Pandemie-Orchester behauptete, ist angesichts von fast 50 Prozent geimpften älteren Covid-Kranken in den Kliniken eine offensichtliche Falschinformation. Die Geimpften wurden „falsch informiert“, wie Kekulé sagt: „Sogar das Robert-Koch-Institut hat das noch bis vor Kurzem auf seiner Website falsch dargestellt. Immerhin haben sie inzwischen den Satz entfernt, dass Geimpfte so gut wie nichts zum Infektionsgeschehen beitragen. Diese Kommunikation ist schlecht gelaufen.“

Eine ehrliche Kommunikation wäre gewesen: Die „Impfungen“ schützen vor schweren Verläufen und verringern damit die Gesamtzahl der Intensivbehandlungen und der Todesfälle. Das ist schon sehr viel und eine „Impfung“ für jeden Einzelnen daher wohl ratsam, wer sich nicht „impfen“ lässt, trägt ein deutlich höheres Risiko für sich selbst. Aber so wurde eben nicht kommuniziert. Stattdessen wurde „Impfen“ zu einem solidarischen Akt in einem NoCovid-Kampf bis zum totalen Vernichtungssieg über das Virus inszeniert. Und der Ruf nach 2G-Regeln trug dazu wesentlich bei.

Kekulé stellt die Frage: „Wieso hat man das so verkauft?“ Aber er versucht nicht, sie zu beantworten.

Eine wahrscheinliche Erklärung ist nicht medizinisch, sondern politisch induziert: Die wider besseres Wissen fortgesetzte Kommunikation kam schließlich von denselben Stimmen, die zuvor die „Impfung“ als Ausweg aus der Pandemie in Aussicht gestellt hatten. Dass die „Impfung“ eben nicht alles liefert, was versprochen wurde – und implizit immer noch versprochen wird: NoCovid/ZeroCovid, also den totalen Sieg über Corona – ist die politische Klasse in Deutschland und den meisten anderen westlichen Staaten nicht bereit einzugestehen. Dieses Eingeständnis fürchtet man vielleicht mehr als die Pandemie selbst. Stattdessen wählt man also die blindwütige Flucht nach vorn: „Impfverweigerer“ werden als Sündenböcke, als vermeintlich asoziale Saboteure des guten Kampfes ausgemacht.

Therapie statt Impfung
Pandemie-Bekämpfung für Fortgeschrittene
Natürlich hat Kekulé recht: „Man kann nicht von einer Tyrannei der Ungeimpften sprechen, wenn fast die Hälfte der älteren Covid-Kranken in den Kliniken doppelt geimpft ist.“ Aber der Nicht-Politiker Kekulé unterschätzt da womöglich die Sturheit von Politikern, die das Scheitern ihrer eigenen Politik nicht wahrhaben wollen. Zu attraktiv ist die Beschimpfung eines Feindes, und allzu unbequem das Eingeständnis eigener Fehler. Also spricht man eben gegen die Evidenz und die Zahlen trotzdem von der Pandemie der Ungeimpften oder gar von deren Tyrannei, obwohl man es argumentativ nicht unterlegen kann.

Der Vorwurf von Kekulé geht noch weiter und betrifft ein weiteres Versäumen der Regierungspolitik, nämlich gegenüber den „Impfstoff“-Herstellern: Die „Impfstoffe“ hätten, so sagt er, längst an die aktuell vorherrschende Delta-Variante angepasst werden können: „Dass die weltweit vorherrschend werden würde, war spätestens seit März klar, und da stellt sich mir die Frage, warum das nicht geschehen ist. Da stellt sich die Frage, warum wir mit dem gegen die ursprüngliche Wuhan-Variante entwickelten Impfstoff boostern, statt die neu angepassten Vakzine zu verimpfen.“

Dem stehen die naheliegenden Interessen der Herstellerunternehmen entgegen, denn die neuen Stoffe müssten vermutlich neu getestet und neu zugelassen werden. „Deshalb drängen Pfizer und Moderna darauf, für die Boosterung noch einmal die alten Produkte zu verwenden.“ Dass diesen Interessen offenbar nachgegeben wurde, braucht Kekulé nicht mehr auszusprechen.

Anzeige