Tichys Einblick
Dokumentation

Verfassungsbeschwerden gegen das PSPP-Staatsanleihenkaufprogramm der EZB

Mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht am 30. Juli 2019 über die Verfassungsbeschwerden gegen das PSPP-Staatsanleihenkaufprogramm der EZB. Wir dokumentieren das Eröffnungsstatement von Dietrich Murswiek, Prozessvertreter von Peter Gauweiler.

© Hannelore Foerster/Getty Images
Professor Dr. Dietrich Murswiek, Prozessbevollmächtigter von Dr. Peter Gauweiler, erklärte zu Beginn der mündlichen Verhandlung:

Im Rahmen des PSPP hat die EZB zusammen mit den Nationalen Zentralbanken des Eurosystems für über 2 Billionen, also für über 2.000 Milliarden Euro Staatsanleihen der Eurostaaten gekauft. Das dafür benötigte Geld wurde von den Zentralbanken aus dem Nichts geschaffen, bildlich gesprochen: neu gedruckt. Die gesamte Zentralbankgeldmenge des Eurosystems wurde zu diesem Zweck weit mehr als verdoppelt. Finanzierung der Eurostaaten mit Zentralbankgeld – das nennt man „monetäre Staatsfinanzierung“. Und die ist nach dem AEUV verboten. Das PSPP ist eine Kompetenzüberschreitung gigantischen Ausmaßes.

Und diese wird vom EuGH für rechtmäßig erklärt. Das kann niemanden wundern, der die Rechtsprechung des EuGH seit Jahrzehnten beobachtet hat. Der EuGH hat in allen Kompetenzkonflikten zwischen EU und Mitgliedstaaten zugunsten der EU entschieden. Es gibt keinen einzigen Fall, in dem der EuGH festgestellt hätte, dass ein EU-Organ seine Kompetenzen zulasten der Mitgliedstaaten ausgedehnt hätte. Alle Kompetenzausdehnungen, und das sind nicht wenige, wurden vom EuGH gebilligt. Wer diesen Gerichtshof als Hüter der Kompetenzordnung eingesetzt hat, hat den Bock zum Gärtner gemacht. Denn immer noch verfolgt der EuGH eine aktivistische Kompetenzausdehnungsagenda. Immer noch versteht er sich als „Motor der Integration“, auch wenn diese Bezeichnung jetzt sorgsam vermieden wird. Deshalb war es so wichtig, dass das Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil die Kompetenz zur Ultra-vires-Kontrolle für sich in Anspruch genommen hat. Nur wenn es bereit ist, diese Kompetenz auch zur Anwendung zu bringen, lässt sich verhindern, dass EU-Organe ihre eigenen Kompetenzen immer weiter zulasten der Mitgliedstaaten ausdehnen, das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zur Farce machen und damit der demokratischen Legitimation des Unionsrechts den Boden entziehen.

Freilich hat sich die EZB mit ihren Staatsanleihenkäufen die Zentralbanken der USA und Japans zum Vorbild genommen. Wenn die Fed und die Bank of Nippon Staatsanleihen kaufen dürfen, warum dann nicht die EZB? Sprechen die Ankaufprogramme in den USA und in Japan nicht dagegen, dass es sich um verbotene Staatsfinanzierung handelt?

Der Vergleich mit diesen Ländern ist suggestiv und mag ökonomisch naheliegend sein. Rechtlich ist er aber falsch. Und zwar einfach deshalb, weil in jenen Ländern ein Verbot der monetären Staatsfinanzierung nicht existiert. Staaten mit eigener Währung finanzieren sich nicht selten mit der Notenpresse. Es ist kein Zufall, dass das Verbot der monetären Staatsfinanzierung in der Europäischen Währungsunion gilt, in Staaten mit eigener Währung aber nicht. Denn in einer Währungsunion gibt es strukturelle Besonderheiten, die dieses Verbot zur Absicherung der parlamentarischen Haushaltsautonomie und des Demokratieprinzips notwendig machen.

Wenn Parlament und Regierung der Auffassung sind, dass sie den Haushalt über die Zentralbank finanzieren wollen, dann ist dies in einem Staat mit eigener Währung kein Problem für die demokratische Legitimation. In einer Währungsunion aus verschiedenen Staaten mit je eigenständiger Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik ist die Lage anders: Wenn einzelne Staaten ihre Defizite mit Hilfe ihrer nationalen Zentralbank oder mit Hilfe der EZB finanzieren dürften, würden damit die entsprechenden Haushaltsrisiken letztlich auf die anderen Eurostaaten umverteilt, ohne dass die Parlamente der damit belasteten Staaten dies genehmigt hätten oder verhindern könnten.

Ein weiterer Unterschied zwischen der EZB und den Zentralbanken von Staaten wie den USA oder Japan besteht darin, dass das Mandat der EZB auf die geldpolitische Sicherung der Preisstabilität beschränkt ist, während in den USA oder Japan die Unterscheidung von Geldpolitik einerseits und Wirtschafts- oder Fiskalpolitik andererseits für das Zentralbankmandat keine Rolle spielt. Auch dieser Unterschied ist nicht zufällig, sondern er ist eine Konsequenz, die der Vertrag von Maastricht daraus gezogen hat, dass die Legitimationsbedingungen der Zentralbank einer Währungsunion sich strukturell von den Legitimationsbedingungen nationaler Zentralbanken unterscheiden. Der EZB fehlt jede demokratische Legitimation. Sie kann sich nur expertokratisch legitimieren. Das lässt sich nur rechtfertigen, wenn ihr Mandat vertraglich eng gefasst und strikt begrenzt ist.

Die fehlende demokratische Legitimation der Zentralbank ist in Staaten wie den USA oder Japan ein geringeres Problem. Denn zum einen ist in keinem Staat außerhalb der Eurozone die Unabhängigkeit der Zentralbank verfassungsrechtlich garantiert, so dass dort die demokratisch gewählten politischen Organe auf die Zentralbankpolitik einwirken können. Und zum anderen können die Staaten außerhalb der Eurozone durch Gesetzesänderungen das Mandat der Zentralbank jederzeit ändern und begrenzen, wenn das jeweilige Parlament mit der Zentralbankpolitik nicht einverstanden ist. Eine solche indirekte demokratische Rückbindung der Zentralbankpolitik gibt es in der Europäischen Währungsunion nicht. Deshalb musste primärrechtlich das Mandat der EZB klar begrenzt werden, und deshalb ist es mit dem Demokratieprinzip völlig unvereinbar, wenn die EZB das ihr von den Mitgliedstaaten übertragene Mandat eigenmächtig ausdehnt.

Als die Währungsunion gegründet wurde, hat niemand daran gedacht, dass die EZB mit aus dem Nichts produziertem Geld in Billionenhöhe die Eurostaaten finanzieren würde. Der AEUV erlaubt zwar Staatsanleihenkäufe am Sekundärmarkt, aber doch nur im Rahmen der herkömmlichen Geldpolitik, nicht hingegen mit einem Volumen und einer Haltedauer, die sich auf die Finanzierungsbedingungen der Eurostaaten und auf die Anreize, die der Markt für eine solide Haushaltspolitik setzt, massiv auswirken. Mit einer solchen EZB-Politik konnten die Mitgliedstaaten beim Abschluss des Vertrages von Maastricht nicht rechnen, und deshalb ist eine solche Politik demokratisch nicht legitimiert. Sie ist vom Mandat der EZB nicht gedeckt.

Die Auslegung von Art. 123 Abs. 1 AEUV durch den EuGH verfehlt diese Zusammenhänge. Sie zielt darauf ab, das Mandat der EZB möglichst weit auszudehnen und dem Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung seine praktische Wirkung zu nehmen. Der EuGH verschafft damit der EZB eine Position, wie sie die Zentralbank eines souveränen Staates hat. Das hebt die Konzeption der Währungsunion aus den Angeln.

Mit dem Grundsatz, dass die Kompetenzen eines demokratisch nicht legitimierten Organs wie der EZB eng auszulegen sind, ist das ohnehin nicht vereinbar. Auf diesen Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht den EuGH in seinem Vorlagebeschluss eindringlich hingewiesen. Wie schon im OMT-Verfahren hat auch dieses Mal der EuGH die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts einfach ignoriert und ist mit keinem Wort auf die Legitimationsproblematik eingegangen. Dies erfordert jetzt eine entschiedene Antwort des Bundesverfassungsgerichts.

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