Tichys Einblick
TE-Interview

Vahrenholt: Wir haben doppelt so viel Zeit, unseren CO2-Ausstoß zu senken

CO2 lässt Pflanzen stärker wachsen, Temperatur steigt langsamer.

Berlin. Die Menschheit hat nach Einschätzung des früheren Hamburger Umweltsenators und Industriemanagers Fritz Vahrenholt (SPD) bis zum Ende des Jahrhunderts und damit doppelt so viel Zeit, als bisherige Szenarien darstellen, um den CO2-Ausstoß abzusenken. Zum einen trage der Mensch nur etwa die Hälfte zum weltweiten CO2-Anstieg in der Atmosphäre bei, zum anderen verlaufe der Temperaturanstieg deutlich langsamer als erwartet, so Vahrenholt im Gespräch mit dem Magazin Tichys Einblick. Es gäbe inzwischen „reichlich Quellen, die sagen: 50 Prozent der Erwärmung ist menschengemacht. Der Rest hat natürliche Ursachen“, so Vahrenholt. „Wenn die Menschheit nur zur Hälfte den Klimawandel verursacht, dann ist das ein ziemlich großer Unterschied. Denn das bedeutet, dass wir doppelt so lange Zeit haben, unseren CO2-­Output zu reduzieren. Und darum geht es am Ende. Wollen wir in drei Legislaturperioden die Energiebasis einer Industrienation ändern, oder haben wir drei Generationen Zeit? Ich glaube, dass wir drei Generationen Zeit haben, weil die Einwirkung des CO2 überschätzt worden ist.“

Vahrenholt nennt in seinem neuen Buch, das er mit dem Geologen Sebastian Lüning geschrieben hat, verschiedene Effekte, die viele Klimaforscher in der Vergangenheit unterschätzt haben. So verläuft die Erwärmung der Atmosphäre langsamer als vorhergesagt. „Sämtliche Prognosen haben die Erderwärmung stärker eingeschätzt, als sie dann tatsächlich eingetreten ist. Statt der 0,4 Grad Erwärmung pro Jahrzehnt, von der wir in der Modellwelt ausgegangen sind, waren es nur 0,15 Grad.“ Das liege daran, dass die Klimamodelle sehr komplex sind und viele Einflüsse wie Wolken, Sonneneinstrahlung, Pflanzenwachstum und Meeresströmungen nur schwer abbilden können. So wurde der positive Einfluss des CO2 auf das Pflanzenwachstum unterschätzt. „Der Weltklimarat hat einen Fehler gemacht. Der ging nämlich immer davon aus, dass die Pflanzen und die Ozeane immer weniger CO2 aufnehmen könnten“, so Vahrenholt. Doch das Gegenteil sei der Fall. „Die Pflanzen können das viel besser als gedacht. Die lieben CO2 regelrecht. Die wachsen viel stärker. Jedes Jahr wächst eine Pflanzenmasse, eine Blättermasse von der Fläche Deutschlands hinzu.“ Auch die Ernten fallen größer aus. „Wir konnten feststellen, dass aufgrund des höheren CO2-Anteils in der Luft in den vergangenen 50 Jahren Weizen, Reis und andere Früchte um 15 Prozent stärker gewachsen sind. Es wächst also mehr Essen auf den Feldern aufgrund des CO2. Kohlendioxid ist nicht nur schädlich, es hat auch eine positive Wirkung.“

Vahrenholt hofft, dass eine neue Debatte einsetzt, um den CO2-Ausstoß reduzieren zu können, ohne die wirtschaftliche Basis der Industriestaaten zu schwächen. „Die meisten Wissenschaftler sagen, wir müssen unseren CO2-Output reduzieren. Viele sagen, das muss bis 2050 oder 2070 geschehen. Ein paar wie ich sagen, es reicht bis 2100. Insofern erwarte ich auch von der Wissenschaft, dass sie sich öffentlich infrage stellt.“


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