Tichys Einblick
Gefahr für die Grünen

Unzufriedene Klimaschützer kosten die entscheidenden Stimmen

Rund 10 Prozent der Stimmen fielen im Saarland an Splitterparteien. Vor allem den Grünen erwächst aus diesem Lager eine Gefahr. Denn Hardliner in Sachen Klimaschutz könnten einer jungen Partei wie Volt Auftrieb verschaffen.

Klimaaktivisten wollten am Freitag noch ein letztes Zeichen vor der Landtagswahl im Saarland setzen, Saarbrücken, 25. März 2022

IMAGO / BeckerBredel

Der Aufprall für die saarländischen Grünen war am Sonntag denkbar hart: Anders als in der Prognose verkündet, kehrten sie nicht in den Landtag zurück. 24 Stimmen fehlen, hieß es um Viertel nach Neun. Kurz darauf kam die Korrektur: Es sind sogar nur 23 Stimmen, die fehlen. Selbst im kleinen Saarland ist das denkbar wenig. 4,9952 Prozent lautet ihr vorläufiges amtliches Endergebnis.

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Rund 10 Prozent holten indes die Splitterparteien – im Balken-Diagramm meist als „Andere“ aufgeführt. Dort wären die 23 Stimmen leicht zu holen gewesen, die den Grünen am Ende fehlten. 6.216 Stimmen erhielt zum Beispiel die Initiative „Bunt Saar“. Das macht 1,4 Prozent der Gesamtstimmen aus. Für den „sozial-ökologischen Wandel“ trete sie ein, stellt sich die Initiative auf der eigenen Internetseite vor. Als wichtigstes Thema nennen die Mitglieder den Schutz von Grundwasser.

Für die Initiative angetreten ist unter anderem der amtierende Bürgermeister der Gemeinde Illingen, der dienstälteste im Saarland: Armin König war 47 Jahre Mitglied der CDU. Der neue Kurs gefalle ihm nicht, sagte er gegenüber dem Focus, als er die Partei im vergangenen Jahr verließ. Friedrich Merz rücke die Partei nach rechts, unter Angela Merkel sei die CDU fortschrittlicher geworden. Zu den Projekten, die König als Bürgermeister nach vorne trieb, gehört die Renaturierung der Ill. Dabei arbeitete er eng mit dem Naturschutzbund „Nabu“ zusammen.

Nun sagt schon der Name „Bunt Saar“, dass die Initiative einen speziell saarländischen Hintergrund hat. Aber die Tendenz, dass Grünen Stimmen an „Andere“ verlieren, ist nicht regional begrenzt. An diesem Sonntag war die größte Partei im Block der „Anderen“ die Tierschutzpartei. Sie holte 10.391 Stimmen, also 2,3 Prozent. Um die Zuständigkeit für das grüne Wohlfühlthema Tierschutz streiten sich in den Fraktionen die Abgeordneten. Die Partei Volt kam auf 2.642 Stimmen, also 0,6 Prozent. Die ist kein saarländisches Phänomen. Im Gegenteil: In dem Bundesland, aus dem viele nach dem Abitur wegziehen, um woanders besser bezahlte Jobs zu bekommen, ist Volt eher schlecht vertreten.

Volt ist eine internationale Bewegung, Volt-Parteien gibt es nach deren eigener Auskunft in 30 anderen Ländern. Sie werben mit Themen wie „inklusive Gesellschaft“, Kampf gegen die Obdachlosigkeit, für die Möglichkeit zur Abtreibung oder für ein einheitliches europäisches Eisenbahnnetz. In Deutschland ist die Partei in Städten stark – lebt von jungen Wählern, die materiell eher sorgenfrei sind. Kurz gesagt: Sie sind Fleisch vom Fleisch der Grünen. Mit Damian Boeselager stellen sie bereits einen Europa-Abgeordneten. Bei den Landtagswahlen in Hamburg und Berlin erreichte Volt 1,3 beziehungsweise 1,1 Prozent. Noch trauen die Wähler offensichtlich Volt einen Einzug in die Parlamente nicht zu. Ist diese mentale Hürde aber erstmal genommen, könnte Volt das Sammelbecken für unzufriedene Wähler der Grünen werden.

In der Opposition konnten die Grünen eine Politik des Wolkenkuckuckheims machen: So lange es gut klang, war es egal, wie unrealistisch ein Vorschlag war. Umsetzen mussten die Grünen ihn ja nicht. Und eine kritische Prüfung von Journalisten hatten sie auch nicht zu fürchten. Eher wird in Friedrichshain ein Caffè Latte mit Kuhmilch getrunken, als dass ein Faktenchecker von ARD und ZDF eine grüne Idee auf Machbarkeit prüft. Nun sind die Grünen aber in der Regierung. Und da heißt feministische Außenpolitik, dass ein Robert Habeck vor einem homophoben Diktator buckelt, um an dessen Gas zu kommen. Realpolitik kann auch bedeuten, dass eine Annalena Baerbock für einen späteren Kohleausstieg wirbt. Oder dass sich eine Anne Spiegel die 134 Toten im Ahrtal politisch anrechnen lassen muss.

+++Aktuelle Zahlen+++
Vorläufiges Ergebnis im Saarland: Grüne verpassen Einzug in den Landtag - um 23 Stimmen
Erste Risse sind schon sichtbar: Als die Grünen sich vor einer Woche an den „Klima-Streik“ heften wollten, erklärte der Frankfurter Account von Fridays for Future: „Wir demonstrieren nicht mit euch sondern gegen euch. Nur so zur Info.“ Die FFF-„Aktivistin“ Carla Reemtsma sagte gegenüber der Bild: „Die Grünen tragen Entscheidungen mit, die nicht mit dem vereinbar sind, was sie sagen – insbesondere nicht mit dem 1,5-Grad-Ziel.“ Eine Partei wie Volt hätte Chancen, solch Unzufriedene an sich zu binden – bei einer Wahl in einem für sie günstigeren Milieu als dem Saarland. Und mit entsprechender Aufmerksamkeit im Vorfeld der Wahl.

Unzufriedenheit mit Regierungsparteien führt oft zu Absplitterungen in deren politischen Lager. Die ersten AfD-Mitglieder waren ehemalige Parteigänger der CDU. Schon der Name „Alternative für Deutschland“ ist ein Bezug darauf, dass die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ihre Politik selbst als „alternativlos“ bezeichnete. Die Grünen selbst fanden sich Ende der 70er aus verschiedenen Gruppen zusammen, die sich in der SPD nicht mehr vertreten sahen: Linke Sektierer, die der SPD das Godesberger Programm nicht verziehen. Umweltschützer oder Mitglieder der Friedensbewegung, als Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) für den Nato-Doppelbeschluss warb.

Das ist über 40 Jahre her. Wer auf den grünen Parteitagen damals stillte, bringt heute vielleicht schon den Urenkel mit zu Veranstaltungen. Das von Grünen immer noch gern gepflegte Selbstbild, jung und kompromisslos zu sein, bröckelt. Damit kommen sie vielleicht noch bei ARD und ZDF durch – aber immer weniger bei radikalen Klima-Aktivisten.

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