Tichys Einblick
Untersuchung von Ökonomen

Stilllegung der Wirtschaft hatte kaum Einfluss auf Corona-Verlauf

Zwei Wissenschaftler des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung untersuchten die Wirkung von Eindämmungsmaßnahmen. Das Ergebnis fällt für die Politik nicht erfreulich aus.

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Welche von der Politik durchgesetzten Maßnahmen führten in Deutschland zu einem Rückgang von Corona? Und zu welchen Nebenwirkungen führen die Einschränkungen? Über diese Frage findet gerade eine heftige öffentliche Debatte statt. Angeregt wurde sie vor allem durch das Papier eines Mitarbeiters des Bundesinnenministeriums: Es kommt zu dem Ergebnis, dass die weitgehende Stilllegung der Dienstleistungswirtschaft, der so genannte Shutdown, sich nicht messbar auf die Infektionszahlen von Covid-19 niederschlägt – weshalb die Maßnahmen bisher in der Summe mehr schadeten als nützten.

Diese Sicht unterstützt nun eine Untersuchung der Ökonomen Tobias Hardl und Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), das der Bundesarbeitsagentur angegliedert ist. Sie untersuchten die Wirksamkeit von einzelnen Maßnahmen der Bundesländer und der Bundesregierung auf den Verlauf der Covid-19-Pandemie in Deutschland. Das Fazit der IAB-Forscher: Der Rückgang der Infektionszahlen geht fast ausschließlich auf die Schließung von Schulen und Kindertagesstätten, die Ausgangsbeschränkungen und das Verbot von Großveranstaltungen zurück. „Für die Schließungen der Dienstleistungsbranchen des öffentlichen Lebens finden sich dagegen kaum zusätzliche Effekte“, schreiben Weber und Hardl.

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Bei ihrer Analyse stützen sich die Wissenschaftler auf die Zahlen der bestätigten Corona-Infektionsfälle des Robert Koch-Instituts nach Bundesländern seit dem 11. März. Ab dem 20. März zeige sich, so die IAB-Forscher, eine Reduktion der Wachstumsrate der bestätigten Infektionsfälle in Deutschland um 13 Prozentpunkte, am 30. März um weitere acht Prozentpunkte. Der Einfluss von Schließungen im Dienstleistungsgewerbe auf den Kurvenverlauf mache sich kaum bemerkbar. „Moderat negative Koeffizienten finden sich bei Beherbergung und Bars/Clubs, aber auch diese sind wie alle anderen Koeffizienten von Branchenschließungen statistisch insignifikant“, so Weber und Hardl.

Auch die Maßnahmen von Bundesländern, die über die Einschränkungen in anderen Ländern hinausgingen – in Sachsen etwa die Begrenzung des Bewegungsradius für Bürger auf 15 Kilometer – habe sich auf den jeweiligen Verlauf der Infektionen nicht messbar ausgewirkt. In der Untersuchung heißt es:

„In Bayern, im Saarland und auch in Sachsen gab es über die Regeln der anderen Bundesländer hinausgehende Ausgangsbeschränkungen. Deshalb ermöglichen wir zusätzlich für die entsprechende Variable in diesen drei Ländern einen gesonderten Effekt. Es zeigen sich aber keine Unterschiede in der Wirkung verglichen mit den übrigen Bundesländern.“

Weber und Hardl halten einen Verzicht auf Großveranstaltungen weiter für sinnvoll, empfehlen aber angesichts ihrer Resultate ansonsten eine weitgehende Rückkehr zur Normalität:

„Nach unseren Ergebnissen könnte es aber gute Chancen geben, dass eine kontrollierte Öffnung der Dienstleistungsbranchen des öffentlichen Lebens ohne beträchtliche Verstärkung des Infektionsgeschehens möglich ist.“

Gleichzeitig weisen sie auf die gravierenden Folgen der Wirtschaftsstillegung hin: Nach den Berechnungen des IAB erhöhe schon ein einzelner weiterer Tag der Wirtschaftsschließungen durch Entlassungen und unterbliebene Neueinstellungen die Arbeitslosenzahl bundesweit um 28.000.

„Die Ergebnisse der vorliegenden Studie können Anhaltspunkte nicht nur für eine weitere Öffnungsstrategie geben, sondern auch für das Vorgehen, falls – gegebenenfalls lokal – erneute Eindämmungsmaßnahmen notwendig werden“, schreiben die Ökonomen.

Bestätigt wird diese Sicht auch durch die Praxis der Pandemiebekämpfung in Südkorea und Singapur, wo die Virusinfektionen durch Quarantänemaßnahmen erfolgreicher als in Deutschland und den allermeisten anderen europäischen Staaten eingedämmt wurden – allerdings ohne einen Shutdown der Wirtschaft.

Gegen den Beamten des Bundesinnenministeriums, der mit Hilfe von mehreren Wissenschaftlern seine Abwägungsuntersuchung vorgenommen hatte, verhängte die Ministeriumsspitze am Montag ein Arbeitsverbot. Dem Mitarbeiter sei ein „Verbot zur Führung der Dienstgeschäfte“ nach dem Bundesbeamtengesetz mitgeteilt worden, hieß es am Montag aus dem BMI.

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