Tichys Einblick
TE-Interview 07-2022

Rupert Scholz: Berliner Senat nur geschäftsführend im Amt

Kritik an langen Verfahren vor Berliner Verfassungsgericht: Das Gericht muss rechtsstaatlich arbeiten und operieren – Rechtsstaatsverstoß wäre verheerend.

Rupert Scholz

imago images / photothek
Berlin. Der Berliner Senat ist nach Meinung des Staatsrechtlers Prof. Rupert Scholz wegen der massiven Fehler bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus nur „geschäftsführend“ im Amt. „Man muss sich klarmachen, dass ein Parlament, das mit solch erheblichen Mängeln gewählt worden ist, insbesondere das Berliner Abgeordnetenhaus, massiv an Legitimität einbüßt. Das ist eben nicht das, was der Souverän gewählt hat“, sagt Scholz im Gespräch mit dem Monatsmagazin Tichys  Einblick, das am nächsten Dienstag erscheint.

„Sobald ein berechtigter Zweifel besteht, dass eine korrekt durchgeführte Wahl ein anderes Ergebnis hervorgebracht hätte, findet keine adäquate Repräsentanz aller Bürger statt, wie es unsere Verfassung vorsieht. Der Berliner Senat darf allenfalls geschäftsführend bis zu einer Wahlwiederholung im Amt bleiben.“

Erschüttert ist Scholz über das Ausmaß der Fehler bei den Wahlen in Berlin. „Hier sind die Mängel so massiv, und es ist vor allem manipuliert worden. Ich erinnere hier an die Äußerungen des damaligen Innensenators Geisel, der sofort erklärte, es handle sich lediglich um ein paar Versehensfälle und es sei nichts wirklich Relevantes passiert. Das war schon eine sehr kühne Äußerung“, so Prof. Scholz. „Er konnte zu dem Zeitpunkt gar nicht wissen, was wirklich passiert war. So hat man begonnen, zu manipulieren und zu verstecken – das hat die Geschichte noch schlimmer gemacht.“

Auch die Rolle der Justiz in Berlin sieht Scholz kritisch, etwa in der langen Laufzeit der Verfahren zur Wahl vor dem Berliner Verfassungsgericht. „Wenn jemand klagt und seine Klage wird auf Halde gelegt, ist das ein Rechtsverstoß gegen seine Grundrechte. Wenn dieser Vorwurf sich voll realisieren sollte, wäre das eine zweite Katastrophe für unseren Rechtsstaat“, erklärt der Verfassungsrechtler. „Wenn wir jetzt noch einen Rechtsstaatsverstoß bei unseren höchsten Gerichten feststellen müssten, wäre das wirklich verheerend. Auch der Verfassungsgerichtshof muss hier ordentlich, rechtsstaatlich arbeiten und operieren. Er hat diese hohe Verantwortung, und der muss er gerecht werden.“


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