Tichys Einblick
LKA will zur Not abschieben

Stuttgarter Gangkrieg: Bald Zustände wie in Schweden?

Der Bandenkrieg in und um Stuttgart verweist längst auf Tieferes. Handgranaten und Maschinenpistolen kommen zum Einsatz, junge Männer sterben reihenweise in Schießereien. Das LKA will die Kriminellen angeblich sogar abschieben lassen. Vor der Fußball-EM will man so zumindest optisch für etwas Ordnung im Ländle sorgen.

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In der Stuttgarter Gegend hält der Bandenkrieg an. Es geht im Großen und Ganzen um zwei Gruppen, die sich bis hin nach Esslingen und Ludwigsburg breitgemacht haben und einander im Wortsinn bis aufs Blut bekämpfen. Die Kampflinien verlaufen laut Stuttgarter Nachrichten so: Stuttgart, Zuffenhausen und Göppingen sind das Revier der einen Bande, Ludwigsburg, Esslingen und Plochingen das der anderen. Das wären dann also neue „Gebietskörperschaften“ paralleler Natur, die sich auf formal deutschem Territorium ausbreiten.

Auch nicht mehr ganz neu sind die Kriegswaffen, die hier zum Einsatz kommen. Aber deren Einsatz häuft sich. Die Handgranate auf eine Trauergemeinde in Altbach bei Esslingen hatte schon vor einiger Zeit für Aufsehen gesorgt. 15 Verletzte gab es damals. Nun explodierte wieder eine Handgranate, angeblich jugoslawischer Produktion, diesmal in Markgröningen. Es war laut dem Focus die vierte, die im Stuttgarter Bandenkrieg Verwendung fand. Allerdings war diesmal keine Sprengkapsel an Bord. Die Granate wurde also zum Blindgänger. Daneben kommen Maschinenpistolen, angeblich sogar Panzerfäuste zum Einsatz.

In Frankreich spricht man in solchen Fällen nicht mehr von Parallelgesellschaft, sondern von Separatismus, wie jüngst in einem Fall in La Courneuve bei Paris, wo es nach dem Tod eines 18-jährigen Verkehrsrowdys zu Ausschreitungen kam – unter anderem mit Feuerwerkskörpern und Molotowcocktails gegen eine Polizeiwache.

Der Parteigründer Éric Zemmour sprach von einem „verlorenen Viertel Frankreichs“. Die Angriffe sind laut ihm in gewisser Weise „Routine“ in den großen und kleineren Orten des Landes, wie die Nahel-Unruhen des letzten Sommers zeigten. Zemmour spricht lieber von Guerilla und Kolonisierung des Staatsgebiets. All das passiert, während Emmanuel Macron über französische Truppen in der Ukraine spricht. Zemmour spricht von dem „Tod in der Seele“ derjenigen Franzosen, die – mangels finanzieller Möglichkeiten – in den umgewandelten Vierteln wohnen bleiben müssen. Im zweiten Tweet wird von dem offenbar arabischstämmigen Nutzer gescherzt: „So zündet man das Kommissariat in La Courneuve ordentlich an.“ Wobei der Nutzer nicht Kommissariat sagt, sondern „comico“ – also komisches Kommissariat, zum Lachen, nicht zum Ernstnehmen.

Fast wäre es zum Blutbad im Stuttgarter Zentrum gekommen

Zurück ins beschauliche Stuttgart: Wie man verschiedenen Berichten https://www.bild.de/regional/stuttgart/stuttgart-aktuell/schuss-serie-in-stuttgart-kurde-bewachte-bande-mit-maschinenpistole-85460498.bild.html entnehmen kann, geht es hier einesteils um Kurden, die zumindest teilweise aus dem Irak stammen. Daneben sollen aber auch viele weitere Ausländer aus anderen Ländern Teil der Gangkultur sein. Sie alle haben sich in und um Stuttgart in Banden organisiert und patrouillieren zum Teil bewaffnet auf dem Josef-Hirn-Platz in der Stuttgarter Innenstadt – wie nun ein Kurde mit der geladenen MP in der Umhängetasche. Ein Richter hatte keinen Zweifel, dass er die Waffe auch eingesetzt hätte. Die Folge wäre womöglich ein Blutbad gewesen.

Entdeckt wurde die Waffe, weil die Konkurrenz-Bande ausblieb, dafür aber die Polizei am Ort war. Der 21-jährige Wachmann Söüt N. wurde zu zweieinhalb Jahren Erwachsenenhaft verurteilt (übrigens in Stammheim, aber das will nichts heißen). Er saß zuvor schon zweimal in Jugendhaft, daher die Strafverschärfung. Insgesamt hat es eine ganze Reihe von Schießereien unter den beiden Banden gegeben, von Zuffenhausen bis hin nach Schorndorf-Weiler, wo es in diesen Tagen zur Fortsetzung kam: Ein 20-Jähriger schoss mit einer Maschinenpistole auf Gegner.

Nun kam es zur 58. Festnahme im Kontext des Stuttgarter Bandenkriegs. Die Eskalation geht dabei keineswegs zurück – auch nicht was die Rhetorik der beteiligten Polizei und des LKA angeht. So wird im grün regierten Baden-Württemberg inzwischen auch presseöffentlich die Ausweisung und letzten Endes Abschiebung von Straftätern diskutiert und für machbar gehalten.

Batterie der Abschiebungshindernisse

Der Präsident des Landeskriminalamtes (LKA), Andreas Stenger, hält Ausweisungen der Bandenmitglieder demnach für durchaus wirksam. Das habe man schon mit „rockerähnlichen Gruppierungen“ so praktiziert, auch die sind ja seit längerer Zeit Anlaufpunkt für kriminelle Zuwanderer. Die „konsequente Abschiebung nach mehrjähriger Haftstrafe“ habe in diesen Fällen „eine starke abschreckende Wirkung entfaltet“.

Laut Stenger ist man konsequent darin, bei gefährlichen Ausländern aufenthaltsbeendende Maßnahmen anzustreben, „sofern die Voraussetzungen vorliegen“. Aber diese Andeutungen des LKA-Präsidenten zeigen bereits, dass man dieses Mittel nur in ausgesuchten Fällen anwenden kann und dass es auch einiges an Zeit braucht, bis man dazu greift. Wird man in der aktuell sich dynamisierenden Stuttgarter Lage damit noch rechtzeitig kommen? Zudem erfährt man, dass ein Bandenmitglied in dem aktuellen Bandenkrieg auch von der Türkei aus weiterhin die Fäden in der Stuttgarter Gegend zieht.

Zuletzt sind auch die bekannten Abschiebungshindernisse durchaus nicht zu verachten. Es sind mindestens drei. Erstens machen Herkunftsstaaten Schwierigkeiten, die sich weigern, straffällig gewordene Individuen zurückzunehmen. Zweitens steht häufig eine deutsche Staatsbürgerschaft der Abschiebung im Wege, und das gilt eben auch für Doppelstaatler. Auch sie sind durch ihren deutschen Pass oder Personalausweis gegen Abschiebung geschützt. Bei den Bandenkriminellen in Stuttgart soll das zum großen Teil der Fall sein.

Einbürgerungen nehmen seit 2022 deutlich zu

Das dritte Problem kommt in dem Fall zum Tragen, in dem es nur die deutsche Staatsbürgerschaft gibt, der Banden- oder Clankriminelle also durch deren Entzug staatenlos würde. Das wäre die höchste Hürde, betrifft aber eher die in Norddeutschland operierenden Clans türkeistämmiger Libanesen, deren erste Vertreter einst als Staatenlose nach Deutschland kamen.

In Baden-Württemberg bewegten sich die Einbürgerungen lange zwischen 10.000 und knapp 17.000 pro Jahr. Im Jahr 2022 gab es – wie bundesweit auch – eine deutliche Steigerung auf über 20.000 Einbürgerungen. Dabei dominierten bis nach 2015 die Türken, Kosovaren und EU-Ausländer; Iraker und Iraner waren im Vergleich weniger.

In den letzten Jahren wurden aber vermehrt Nicht-Europäer, vor allem aus dem Nahen Osten, eingebürgert. Die Einbürgerungsquoten der Iraner, Syrer und Iraker gehören inzwischen zu den höchsten. Dabei liegen sie allerdings noch recht niedrig: 2021 waren laut Statistischem Landesamt nur 2,25 Prozent der Syrer und lediglich 1,35 Prozent der Iraker eingebürgert worden. Hinzu kommen die doppelten Staatsbürgerschaften, die Migrantenkinder schon durch ihre Geburt erwerben können. Darum dürfte es sich in der Stuttgarter Gegend meist handeln.

Knackpunkt EM: Kann man sich so der Welt präsentieren?

Es bleiben die beschwörenden Worte des baden-württembergischen LKA-Chefs: Man nehme „keine Gefährdungen der Bevölkerung in Kauf“. Die Sicherheit von Unbeteiligten habe „immer oberste Priorität“. Das gibt den Beamten vor allem angesichts der kommenden Fußball-EM zu denken, die auch in Stuttgart stattfinden soll. Aber auch in anderen Ausrichterstädten hat sich die organisierte Kriminalität in unguter Weise ausgebreitet.

In Berlin wurde ein 44-Jähriger jüngst in zentralster Touristen-Lage am Checkpoint Charlie durch mehrere gezielte Schüsse ermordet. Auch hier führen die Spuren in das Milieu türkisch-kurdischer Großfamilien. Zwei Tage später wird ein 39-jähriger Kölner in seinem VW Golf angeschossen und schwer verletzt. Auch in Bielefeld artet ein Clankrieg in dieser Zeit aus: Der Profiboxer Besar Nimani starb durch sechs Schüsse.

In Stuttgart will man „den weiteren Zulauf junger Menschen in die Gruppierungen reduzieren und verhindern, dass Mitläufer in die kriminelle Karriere abrutschen“. Die 58. Festnahme am Montag soll nicht die letzte gewesen sein. Doch die Polizei kämpft auch mit dem Schweigen der Verdächtigen. Einmal festgenommen, halten sie sich strikt an den Ehrenkodex ihrer Gruppe. Erst wenn wieder eine Gewalttat passiert, kann die Polizei tätig werden.

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