Tichys Einblick
Die Stunde der Realität

„Es ist uns nicht gelungen, Antisemitismus in Schranken zu weisen“

Die Realität ist in den Bundestag eingebrochen. Vertreter von Linke über Grüne bis zur CDU machen jetzt Aussagen über muslimische Einwanderung, für die sie jahrelang jeden anderen mit dem Vorwurf des Rechtsextremismus überzogen haben.

IMAGO - Collage: TE

Benjamin Strasser ist ein unerbittlicher Berichterstatter: Der Slogan „Kill Juden“ wird an Reste der Berliner Mauer geschmiert. Wohnungen von Juden werden als solche öffentlich markiert. Ein Paar wird attackiert, weil es auf der Straße Hebräisch gesprochen hat. Öffentliche Veranstaltungen finden statt, obwohl sie verboten wurden. Israelische Fahnen werden auf öffentlichen Plätzen verbrannt.

All das schildert Benjamin Strasser mit der unerbittlichen Härte eines kritischen Journalisten. Eines fachkundigen Sachbuchautoren. Oder eines Dozenten der Politikwissenschaften oder der Geschichtskunde. Nur ist Benjamin Strasser das alles nicht. Er ist Staatssekretär im Justizministerium des Bundes. Der Freidemokrat ist also für all das politisch verantwortlich, was er da so präzise und richtig im Bundestag aufgezählt hat.

Und wie reagiert Strasser in der Aktuellen Stunde des Bundestags? Er attackiert Beatrix von Storch, weil deren AfD sich nicht genügend gegen Antisemitismus gestellt habe. Der Staatssekretär kritisiert das deutsche Feuilleton, weil das es gewesen sei, das sich geweigert habe, über den „importierten Antisemitismus“ zu reden. Würde Strasser jetzt noch das Internet, Putin und Donald Trump bemühen, hätte er das Sündenbock-Bingo gewonnen.

Benjamin Strasser ist mit der Situation überfordert. Er räumt das eigene Versagen offen ein: „Trotz vieler Bemühungen – auch der Politik – in den letzten Jahren ist es uns nicht gelungen, Antisemitismus in die Schranken zu weisen.“ Nach einer solchen Bankrotterklärung bleibt Strasser eigentlich nur noch der Rücktritt – oder halt zwei Jahre an Amt und Privilegien zu kleben, bis der Wähler ihm diese Arbeit abnimmt.

Linke, SPD, Grüne, FDP und Union haben die Aktuelle Stunde „Verherrlichung von Terror unterbinden“ beantragt. Wer mitgezählt hat, dem wird es aufgefallen sein: Die AfD haben sie die Stunde nicht mit beantragen lassen, „die demokratischen Parteien“™. Da haben sie noch Mal Kante gezeigt, ein Zeichen gesetzt, die Brandmauer gestärkt. Der Kampf gegen Rechts geht weiter.

Seit zehn Jahren führen die „demokratischen Parteien“ den Kampf gegen Rechts“. Genau so: Mit Attacken gegen die AfD und einem peinlichen Wegducken immer dann, wenn rechtes Gedankengut nicht durch die sechste Partei im Bundestag ausgelöst wird – sondern eine Folge der Einwanderung ist, deren Scheitern aus der jüngsten der Parteien die zweitstärkste deutsche Partei gemacht haben. Erst so konnte das migrantische Rechts gedeihen.

Nun bricht die Realität in den Bundestag ein. Die „demokratischen Parteien“ wollen die „Verherrlichung von Terror unterbinden“. Nur ist es halt nicht die AfD, die sich in Neukölln zu verbotenen Kundgebungen auf der Straße trifft und Polizisten attackiert. Es ist nicht mal Skinhead Ronny, der Hebräisch sprechende Paare angreift oder Nazi-Paule, der die israelische Fahne verbrennt. Die das tun, sind meist Jugendliche, die in erster, zweiter oder dritten Generation in Deutschland leben – und sie sind auch meist nicht zur Jugendweihe gegangen oder wurden getauft.

Die Realität ist in den Bundestag eingebrochen. Aber so ganz als einen der Ihren akzeptieren, das wollen die dort sitzenden Politiker sie nicht. Schon gar keine Grüne wie Lamya Kaddor. Sie schildert die widerlichen Verbrechen, die die Hamas in Israel verübt hat. Sie räumt ein, dass es so etwas wie importierten Antisemitismus gebe. Aber sie will doch lieber darüber reden, dass es in Deutschland „reichlich hausgemachten Antisemitismus“ gebe. Warum also über den anderen reden?

Nun gut. Das Thema der Aktuellen Stunde lautet „Verherrlichung von Terror unterbinden“. Und so sehr die „demokratischen Parteien“ sich wünschen würden, lieber über AfD, Skinhead Ronny oder Nazi-Paule zu reden – die dominieren nicht die Straßen von Neukölln. Sie sind es nicht, die am Potsdamer Platz Polizisten einkesseln und so dem Staatsversagen ein Bild geben – für das Benjamin Strasser nur Worte hatte.

Also verspricht das Innenministerium konsequentes Vorgehen. Nicht in Person von Nancy Faeser (SPD). Das nicht. Die Innenministerin lässt sich von ihrer Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) vertreten. Die räumt ein, dass die Situation aktuell nicht ausschließlich gut ist, dass aber bald viel passiere und eigentlich alles doch irgendwie gut sei. Wer vermisst da schon Nancy Faeser.

Nun. Eigentlich jeder. Nancy Faeser ist das Gesicht des deutschen Scheiterns im Umgang mit migrantischen Rechten. Die Innenministerin ließ noch letztes Jahr ein Bild von sich im Netz verbreiten, auf dem sie neben Jugendlichen stand, die das Zeichen der rechtsextremen Grauen Wölfe zeigten. Eine Ministerin, die rechtsextreme Zeichen nicht erkennt, wenn sie danebensteht. Ein Ministerium, das rechtsextreme Zeichen nicht erkennt, wenn es sie im Netz verbreitet. Das sind die in Deutschland Zuständigen für den Kampf gegen migrantische Rechtsextreme. Wundert es dann jemanden, wenn es zu einem Fazit kommt, wie vom zuständigen Staatssekretär Benjamin Strasser: „Trotz vieler Bemühungen – auch der Politik – in den letzten Jahren ist es uns nicht gelungen, Antisemitismus in die Schranken zu weisen.“ Engagement gegen Rechts ist schön – Kompetenz wäre aber auch hilfreich.

Was bleibt? Politiker, die Fluchtbewegungen von der Realität versuchen. So wie Kaddor, die einfach weiter über andere Themen reden will. Oder so wie Alexander Hoffmann (CSU). Der erinnert daran, dass Friedrich Merz (CDU) vor über 20 Jahren mit der Idee der „Leitkultur“ das Richtige gesagt habe, dass Rot-Grün damals aber falsch abgebogen sei. Allerdings lässt Hoffmann weg, dass die CDU unter Angela Merkel danach nicht umgekehrt ist – sondern mit 300 Stundenkilometern in die falsche Richtung weitergefahren ist.

Es bleibt, bei dem was Strasser gesagt hat. Und bei dem, was Martin Hess (AfD) ergänzt. Etwa wenn er an den Fußballverein Makkabi Berlin erinnert, der in Deutschland nicht mehr spielen kann, weil Zuschauer und Mannschaft nicht mehr sicher sind. Juden, die keine Kippa mehr in Deutschland tragen sollen, weil sie dann in Gefahr sind. Dass dem so sei, das nennt Hess ein „Staatsversagen“. Er schildert damit die gleiche Realität wie Strasser. Doch der zieht um Hess‘ Realität lieber weiter eine Brandmauer.

Nur: Die Realität ist stärker als Brandmauern. Das dämmert den „demokratischen Parteien“ im Bundestag. Deswegen schwören sie sich darauf ein, „Verherrlichung von Terror unterbinden“ zu wollen. Aber so ganz akzeptieren wollen sie es halt immer noch nicht. Es sieht so aus, als ob die Realität den Parteien von Linke über Grüne bis zur CDU noch einige Lektionen erteilen muss.

Anzeige