Tichys Einblick
Gemeinsame Kredithaftung in der EU

Statt „Corona-Bonds“ kommen Tricks, Hebel und Garantien 

Die vieldiskutierten Corona-Bonds wird es wohl nicht geben. Aber die gemeinsame europäische Kredithaftung für Corona-Kosten kommt nun eben auf verschlungeneren Wegen.

imago Images

Noch vor einigen Tagen wurde insbesondere von den Grünen die Einführung von gemeinsamen Anleihen der EU-Staaten (früher Euro-Bonds, heute Corona-Bonds genannt) gefordert. „Deutschland darf in der Coronakrise nicht die Fehler der Eurokrise wiederholen und Europas Süden de facto zum Ausverkauf zwingen“, verlangte etwa Franziska Brantner, Bundestagsabgeordnete der Grünen im Cicero. Auch Grünen-Chef Habeck plädierte in der Welt für Corona-Bonds. Es brauche die „fiskalische Solidarität“ der EU-Staaten. „Ökonomisch starke Staaten wie Deutschland müssen jenen helfen, die gerade nicht so gut dastehen“. Es sei kein Wunder, dass Italien sich auch von Deutschland alleingelassen fühle. 

In den Eurostaaten erwartete Ministerpräsident Conte Ende März in einem ARD-Interview, in Italien könne die Corona-Krise bald zu einer Staatsschuldenkrise werden, weshalb es zur Abfederung Euro-Bonds brauche. Er wollte in dem Interview „daran erinnern, dass die Deutschen bei dem Wiederaufbau, vor dem Italien steht, nicht nur einen Euro für die italienischen Schulden bezahlen müssen“, versicherte Conte. 

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In der Bundesregierung war Wirtschaftsminister Altmaier strikt dagegen und Finanzminister Olaf Scholz hielt sich bei dem Thema bedeckt. Nach heftigem Streit in den Mitgliedsstaaten wird nun wohl stattdessen ein Sammelsurium von Einzelmaßnahmen verabredet. Unter dem Strich heißen die dann zwar nicht „Corona-Bonds“, aber letztlich haften vermutlich wohl doch alle Euro-Staaten gemeinsam. Deutschland an erster Stelle. 

EU-Kommissionschefin von der Leyen verspricht 100 Milliarden Euro für einen EU-Plan für Kurzarbeitergeld. Grundlage dafür wären Garantien der Mitgliedstaaten. Sie würden also abhängig von der Höhe ihrer Wirtschaftsleistung haften, Deutschland somit etwa für ein Viertel der Gesamtsumme. Die Staaten sollen für diese Kredite Garantien geben, aber nicht gesamtschuldnerisch haften, heißt es. Was ein Widerspruch in sich selbst ist. Was nützen Kredite, wenn niemand dafür haftet? 

Der ESM, der Europäische Schutzmechanismus, der nach der Eurokrise eingerichtet wurde, soll mehr als 200 Milliarden Euro auf dem Kapitalmarkt aufnehmen. Die kann ihm dann wieder die EZB abkaufen und in die Bilanz nehmen – ging doch vorher auch schon prima. Deren Bilanzsumme ist seit 2005 von gut einer Billion auf inzwischen über 4,5 Billionen Euro angewachsen – vor allem durch den Ankauf von Staats-Schuldpapieren. „Das war bereits ein Riesenschritt zur Vergemeinschaftung der Schulden“, kommentiert Hans-Werner Sinn. 

Denkbar sei es, beim ESM beispielsweise zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in Anspruch zu nehmen. Das wären im Fall von Italien in etwa 35 Milliarden Euro. Dazu wäre eine Kapitalaufstockung des ESM nötig. Auf Deutschland kämen Lasten in Höhe von 22 Milliarden Euro zu, heißt es beim Manager-Magazin. 

Außerdem soll der ESM ein neues Instrument schaffen, so genannte vorsorglichen Kreditlinien (ECCL). Von weiteren 80 Milliarden Euro ist die Rede, wie die Welt berichtet. „Der Moment für Solidarität in Europa ist jetzt“, beteuert ESM-Chef Regling zugleich in der FAZ. 

Und weiter geht’s. Die Niederlande legen ein Non-Paper namens „Covid-Notfall-Fonds“ vor, wonach jeder Mitgliedstaat entsprechend seiner Wirtschaftsleistung beitragen soll. Zehn bis 20 Milliarden Euro sollen dadurch in das Fonds-Säckel, weiß die Welt zu berichten. 

Kreditlinien von 40 Milliarden Euro will die Europäische Investitionsbank (EIB) einrichten, weitere fünf Milliarden Euro sollen vorrangig in Projekte im Gesundheitssektor investieren werden. 

Dazu gib es Pläne für einen „Pan-europäischen Garantiefonds“, der offen sein soll für betroffene Unternehmen jeder Größe. „Er soll ein Volumen von 25 Milliarden Euro haben, und die EIB-Mitglieder sollen sich daran gemäß ihrem Anteil am Kapital der Bank beteiligen“, meldet die Welt: „Durch Hebelungen und Garantien soll der Fonds bis zu 200 Milliarden Euro mobilisieren“. 

Im Umkehrschluss: Gehebelte Fonds mit Garantie versehen, für die anteilig der Wirtschaftsleistung gehaftet wird, sind de facto Corona-Bonds. Beim ESM haftet Deutschland mit Stand Februar 2019 mit 26,9 Prozent. Dies entspricht rund 21,7 Milliarden Euro eingezahltem und rund 168,2 Milliarden Euro abrufbarem Kapital. 

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