Tichys Einblick
Zurück in die 70er

SPD-Parteitag: Die Sonderbare Partei Deutschlands

Früher war sie die Schutzmacht der kleinen Leute. Heute lässt sie die Masse der Zuwanderer ebenso alleine im Anpassungsdruck und Verdrängungswettbewerb wie jene, die schon länger da sind und um ihre Existenz kämpfen müssen.

SPD-Parteitag, 25.06.2017

© Maja Hitij/Getty Images

Seit 153 Jahren kämpft die SPD für Soziale Gerechtigkeit. Sie hat Reichspräsidenten gestellt und mit Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder Bundeskanzler. Ihre Sozialminister fallen einem gar nicht mehr alle so ein; Riester, der mit der Rente war dabei, einer ihrer Ratgeber hat die Rürup-Rente erfunden; Hartz steht für einen Manager und für eine komplette Sozialreform.

Bei so viel Geschichte ist es schon schwer, sich noch mal abzugrenzen, sich neu zu erfinden. Zwerge, die auf den Schultern von Riesen stehen, werden bekanntlich nicht gewählt. Auch wenn sie laut krähen wie ein Hahn vom höchsten Misthaufen. Wer auf den Schultern der Vorgänger steht, könnte aber auch beweisen, dass man von da oben den Überblick hat. Weitblick hilft bei der Vermessung des Raums, dem Finden neuer Wege. Ist Martin Schulz nun ein krähender Hahn oder ein Politiker mit Weit- und Überblick? Es lässt sich an ein paar der tollen Reformideen prüfen, die er in diesen Tagen unter Applaus der Hauptstadtpresse so vorstellt.

Die Rentenpolitik

Die SPD wirbt mit einem Spruch von Bundessozialministerin Andrea Nahles: „Mein Vater war Maurer und ist mit 73 Jahren gestorben. Wenn mir da einer mit Arbeiten bis 70 kommt, werde ich sauer.“

Man erschrickt, wenn man das liest. Erschreckend ist der radikale Subjektivismus, der zu Politik gemacht wird, die totale Individualisierung und Infantilisierung als Maßstab für das Gemeinwohl: Hat noch jemand eine Lebenserfahrung auf Lager, die jetzt als Gesetzesbegründung taugt? Wenn Nahles Senior 75 oder 78 Jahre alt geworden wäre, wäre dann die Verlängerung der Lebensarbeitzeit doch „ok“ und  Tochter Andrea „nicht sauer“? Ist Politik so einfach? Ist ihr „werde ich sauer“ eine passende Kategorie im Kindergarten oder in der Gesetzgebung? Man sieht eine mit dem Fuß aufstampfende Ministerin vor sich und ist irritiert.

Auf ähnlichem Niveau bewegt sich das Rentenprogramm der SPD, zudem sich ihr Kanzlerkandidat Martin Schulz bekennt. Das Rentenvieau soll festgezurrt werden.
Nun darf zwar der frühere Bundeskanzler Gerd Schröder wieder auf dem Parteitag sprechen. Aber von ihm haben wir halt mal gelernt, dass die Menschen länger leben, viel, viel länger, und dass die Zahl der aktiven Erwerbstätigen früher oder später rapide abnimmt. Irgendwie gerät das System aus den Fugen. Wie hieß doch der SPD-Parteivorsitzende und Sozialminister, der die Rente auf 67 erhöhte? Ach ja, Franz Müntefering. Irgendwie hat er sich verrechnet. Und Schulz kräht Zahlen in die Welt, die ihm keiner mehr abnimmt.

Martin Schulz glaubt wohl, durch festes Augenzudrücken die Wirklichkeit einfach auszublenden. Und so macht er billig weiter. Es ist ja so einfach. Höhere Beiträge will er begrenzen: Bei schnell steigenden Beitragssätzen würde ja deutlich, dass diese Art von Sozialpolitik nur von der linken in die rechte Hosentasche umverteilt. Die Mehrausgaben von 24 Milliarden sollen daher zum Teil vom Steuerzahler kommen. Auf den Steuerzahler greift man immer gerne zu, das geht immer. Es ist die Art von Sozialpolitik, die den Sozialstaat zerstört, weil sie „Geldausgeben“ grundsätzlich als „Verbesserung“ darstellt.

Geradezu infam ist die zweite Geldquelle, die Schulz gefunden hat: Zukünftig sollen Selbständige in die Rentenversicherung einzahlen. Das bringt zunächst die Einnahmen – die Schulz für sein Wahlprogramm auch braucht. Allerdings folgen auf Beiträge auch Rentenansprüche. Die werden dann ein Dutzend Jahre später fällig, wenn die Schulz-Beitragszahler zu Schulz-Rentnern werden. Das ist dann der Fall, wenn wegen der demographischen Entwicklung das Rentensystem endgültig aus dem Gleichgewicht gerät. Der Trick von Schulz wirkt problemverschärfend, weswegen seine „Rechnungen“ auch schon im Jahr 2030 enden – und ist übrigens alt. Mit sensationell günstigen Beiträgen für Selbstständige hat schon Helmut Schmidt die Rentenkasse künstlich aufgepolstert – und die nachfolgenden Renten seinem Nachfolger vererbt. Und mit diesem angestaubten Trick zieht jetzt wieder Martin Schulz in die Wahl: Die Zeche wird bezahlt, wenn er längst in Pension ist. Der Hahn kräht.

Die Beamtenversorgung

Nun ist es ja nicht so, dass es keine sozialen Probleme gäbe. Es fehlen nur die Antworten. Die Riester- und Rürup-Renten, so überbürokratisch und ängstlich sie angelegt sind, waren ja nicht grundverkehrt. Die SPD unter Schulz bleibt nicht nur die Antwort schuldig, wie die Finanzierung ihrer eigenen Reformprojekte länger als ein paar Jahre gesichert werden soll. Warum wird eigentlich mit der Null-Zinsphase die Eigenvorsorge von Menschen bestraft, Riesterrenten und Lebensversicherungen entwertet? Solche Vorhaben werden für Jahrzehnte angelegt, denn so lange müssen Menschen kalkulieren, die für sich selbst sorgen wollen. Offensichtlich tritt die SPD ihre früheren Projekte einfach in die Mülltonne und geht gedanklich in die 60er zurück, in der für sie die Wachstumsraten noch unendlich und hoch erschienen, ungebrochen. Aber damals war Ludwig Erhard schon abgesägt, und damit der Ast, von dem, ach ja: der Hahn kräht ja nicht vom Ast, den er sich absägt, sondern vom Misthaufen.

Und dann gibt es ein weiteres Dilemma: Die 1,25 Millionen Pensionäre kosten derzeit den Steuerzahler pro Jahr 40 Milliarden Euro – Tendenz in den kommenden Jahren um über 60% steigend – während für 20,9 Millionen Rentner lediglich 250 Milliarden Euro (Anmerkung: Gemäß der Deutschen Rentenversicherung 245,7 Milliarden Euro) zur Verfügung stehen. Der seit 30 Jahren berechnete und erwartete Anstieg der Pension wird dazu führen, dass auch die ins Feuer geraten werden. Natürlich wird es dann auch „kleine“ Pensionäre treffen, die Polizisten beispielsweise. Aber da schauen wir lieber nicht hin, sondern wechseln den Misthaufen.

Die neue soziale Frage

Lange hat ja Martin Schulz so getan, als ob Flüchtlinge, „wertvoller als Gold“, diese Probleme lösen könnten. Nun wissen wir alle zuletzt auch durch die Leitmedien, dass das eine falsche Hoffnung war. Jede Million Migranten kostet den Sozialstaat 30 Milliarden. Im Jahr. Seit 2013 wanderten 1,6 Millionen Asylantragsteller zu; 90 bis 95 Prozent werden bleiben, egal, ob sie als asylberechtigt anerkannt werden oder nicht. 2017 kamen allein bis Mai weitere 100.000; Illegale nicht mitgezählt. Nicht erfasst wird der Familiennachzug anerkannter Flüchtlinge – nachziehende Ehefrauen, Eltern und Kinder werden statistisch nicht erfasst, denn sie sind ja keine Asylbewerber. Stützt man sich auf die Zahlenwerke der wenigen Wissenschaftler, die sich damit beschäftigen, dann ergibt schon heute eine Nachhaltigkeitslücke im Staatshaushalt von 1.000 Milliarden; zugegeben: grob geschätzt. Aber bei dieser schwindelerregenden Zahl kommt es auf ein paar Dutzend Milliarden plus oder minus nicht an. Allerdings nicht für die Beitrags- und Rentenzahler. Die hätten gern gewusst, wie das weitergeht. Aber das verrät uns Martin Schulz nicht.

Selbstverliebt debattieren er und seine SPD über eine Sozialpolitik nach dem Muster der 60er und 70er Jahre, die schon in den 80ern unfinanzierbar geworden war, in den Nuller-Jahren von Gerhard Schröder irgendwie passend geprügelt wurde – und jetzt wieder aufgetischt wird. Dabei wird die größte Frage ausgeblendet.

Die neue soziale Frage

Im unteren Teil der Gesellschaft nimmt der Wettbewerbsdruck längst brutale Formen an – etwas, was die Schönredner in Parteien, Kirchen und Stiftungen nicht sehen oder sehen wollen. Es ist der brutale Kampf um die wenigen Arbeitsplätze, die für wenig qualifizierte Einheimische und für die Einsteiger zur Verfügung stehen.

Da beklagt die SPD zu Recht die prekären Arbeitsverhältnisse. Aber so viele einfache, und trotzdem gut bezahlte Arbeitsplätze gibt es einfach nicht, wie wir bräuchten. Und während der SPD-Parteitag darüber schweigt, nimmt der Konkurrenzdruck schon wieder zu.

Es ist der wachsende Konkurrenzkampf zwischen denen, die schon länger da sind und sich als Paket- und Pizzaboten, Reinigungskräfte und Lagerarbeiter irgendwie durchschlagen und genau wissen, dass ihr mies bezahlter Job für viele Neuankömmlinge ein Wohlstandsversprechen ist.

Was für ein trostloses Bild
Koalitionsbedingung "Ehe für alle"
Die Zahl dieser Jobs kann und wird nicht steigen – aber dann droht einer Vielzahl bleibeberechtigter Migranten – trotz ihres Interesses an Arbeit – ein Dasein als Langzeit- oder Dauerarbeitsloser Hartz-IV-Empfänger. Dieses Risiko steigt mit jedem zusätzlichen bleibeberechtigten Flüchtling, der dauerhaft in Deutschland sesshaft werden will . Doch mit jedem Versorgungsfall gerät der Sozialstaat weiter unter Druck. Die SPD verspricht weitere Sozialleistungen und unterschlägt, dass heute bereits 2/3 der Harzt-IV-Empfänger Zuwanderer sind: Armut in Deutschland ist vor allem ein Problem für Zuwanderer – und ihre wachsenden Kosten für den Sozialstaat. Die SPD ist so stolz darauf, dass sie mitgeholfen hat, die Außengrenzen des Landes zu schleifen. Jetzt werden die Grenzen im Inneren hochgezogen. Vor jeder Disco stehen Einlasskontrolleure, vor jedem besseren Laden „Security“. Fabriktore bleiben für Einwanderer geschlossen, weil sie nicht geeignet sind für die Hochleistungswirtschaft im globalen Wettbewerb, und die Vermieter geben ihre Wohnungen eher nicht her für Mietbewerber unvertrauter Herkunft, unklarer Kultur und unsicherer Zahlungsfähigkeit.

So weit es geht, springt der Staat ein. Die letzten preiswerten Wohnungen der Kommunen gehen an wen? Einwanderer. So werden auch die jetzt ausgegrenzt, die schon länger da sind und darauf angewiesen wären – aber abgewiesen werden bei der Wohnungssuche.

Es ist ein Konkurrenzkampf ganz „unten“ – unter denen, die nicht in jenen Einkommensniveaus schweben wie SPD-Parteitagsdeligierte und mit jenem alerten Abkassier-Know-How ausgestattet sind.

Dabei wird der von den Größen der SPD ausgebaute, reformierte und wieder reformierte Sozialstaat gerade demontiert. Die demographische Krise einer schrumpfenden Bevölkerung wird weiter verschärft, wenn Unqualifizierte zuwandern, die „Versorgungssuchende“ sind, wie es Professor Gunnar Heinsohn auf eine knappe Formel bringt. Dass der Sozialstaat zunächst nur für Beitragszahler Leistungen bereithält oder für Notfälle – dieses konstitutive Merkmal des Sozialstaats seit Bismarck wird zerstört. Ankommen reicht.

Darüber müsste man reden, neue Formen finden, wirklich wirksame Maßnahmen ergreifen. Es wäre Gesprächsstoff, Material für echte Debatten, für neue Ideen.

Aber die Sonderbare Partei Deutschlands redet auf dem Niveau der 70er. Das jedoch andauernd und laut.

Früher verstand sie sich als Schutzmacht der kleinen Leute. Als selbsternannte Migrantenpartei läßt sie die Masse der Zuwanderer ebenso alleine im mörderischen Anpassungsdruck und Verdrängungswettbewerb wie jene, die schon länger da sind und um ihre Existenz kämpfen müssen.